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Mit Liebesknecht im Monarchenbett Man sagt, er sei wirklich hardboiled gewesen: Über den Reporter und Drehbuchautor Ben Hecht

Von Ralph Eue

Was verbindet Gone With The Wind, The Front Page, Scarface, His Girl Friday und Spellbound? All diese Filme sind nach Drehbüchern von Ben Hecht entstanden. Und drüber hinaus noch sechzig weitere. Insgesamt siebzig Titel weist seine «offizielle» Filmografie aus, an etwa fünfzig weiteren war er ohne Credit beteiligt.

1927 wurde Ben Hecht der erste Drehbuch-Oscar in der Geschichte der Academy Awards für das erste Drehbuch, das er überhaupt je geschrieben hatte, zugesprochen – für Josef von Sternbergs Debütfilm Underworld. Hecht war damals 35 Jahre alt, lebte erst seit kurzem an der amerikanischen Westküste und fand es dort nicht besonders lustig. Mit von Sternberg war der Drehbuchautor übrigens nicht besonders gut klar gekommen, und eigentlich wollte er, nachdem er einen 10 000 Dollar-Scheck als «Schmerzensgeld für die Arbeit von einer Woche kassiert hatte», darauf bestehen, dass sein Name nicht im Vorspann des Films auftaucht. Hecht war von den Bemühungen des ehrgeizigen Regisseurs, «expressionistische Stilmittel in der amerikanischen Filmkunst zu entwickeln», überhaupt nicht beeindruckt. Sein Befund: «Monokel tragende Aufschneider wie der sitzen hier zu Tausenden rum und spielen Schach.»

Sich selbst sah Hecht gern als virilen Counterpart dieser Art von Hollywood-Bohème – durchaus als Künstler, aber auf keinen Fall verkünstelt. Man sagt, er sei really hard boiled gewesen; ein Maulheld vor dem Herrn einerseits; aber auch eine handfeste und gesalzene Persönlichkeit, gejagt von einer Gier nach «lebendigem Stoff», gleich ob dieser unter den oberen oder den unteren Zehntausend zu finden war. Ein paar Facetten dieser Obsession kann man jetzt wieder nachlesen in dem neu aufgelegten Band Von Chicago nach Hollywood, worin eine kleine Reihe von Geschichten aus Ben Hechts Autobiografie A Child Of The Century (1954), sowie aus den Erzählbänden 1001 Afternoons in Chicago (1922) und Collected Stories (1943) erschienen sind.

Ein Blatt vor den Mund genommen hat Hecht nie. Während der 1920er Jahre hatte er sich in Chicago bereits eine gewisse Berühmtheit als Lokalreporter des Daily Journal erworben, in New York wurde er als vielversprechendes dramatisches Talent gehandelt und schon seine frühen Erzählungen und Romane – Exposure Stories und Pulp Fiction wie Broken Necks. Stories und Sketches oder The Florentine Dagger: A Novel For Amateur Detectives – verkauften sich nicht schlecht.

Oscar als Türstopper

Nach Hollywood hatte es ihn ursprünglich bloß verschlagen, weil er von Herman Mankiewicz, einem Freund und Kollegen, zum richtigen Zeitpunkt, als er nämlich in New York auf dem Sofa seiner viel zu großen, viel zu teuren Wohnung lag und mal wieder richtig abgebrannt war, ein Telegramm mit folgendem Wortlaut bekam: «Was hältst davon, für dreihundert Dollar pro Woche für Paramount Pictures zu arbeiten? Alle Auslagen werden dir erstattet. Dreihundert Dollar sind aber noch gar nichts. Millionen kannst Du hier scheffeln. Lass Dir das nicht entgehen!» Seinen ersten Oscar benutzte er später als Türstopper, sowohl in New York, wo er überwiegend – und mit Überzeugung – lebte, wie auch in Los Angeles, wo er bis 1944 zweimal pro Jahr mit kompletter Entourage – d.h. Ehefrau, drei Hausmädchen, Chauffeur, Masseur und den Lieblingsmöbeln – Einzug hielt. Der zweite Oscar, den er 1935 für das Drehbuch des von ihm selbst und Charles Mac Arthur inszenierten Films The Scoundrel gewann, diente ihm als Briefbeschwerer.

Er habe nie daran gezweifelt, ist in Von Chicago nach Hollywood zu lesen, dass er die Hälfte seiner immensen Drehbuchhonorare vor allem dafür bekam, dass er seine besseren Fähigkeiten nicht einsetzte. Im Nachsatz zu solchen Pointen zögert Hecht indes nicht, einer ungenannten Zahl seiner Zunftkollegen die Leviten gleich mitzulesen: «Ehe aber der Eindruck entsteht, ich schriebe hier über einen Stamm in Ketten gelegter Shelleys, möchte ich klarstellen, dass der größte Teil der Autoren, die durch Hollywood «ruiniert» wurden, aus einem Haufen gieriger Schreiberlinge und inkompetenter Dummköpfe bestand. Unter den tausend Schreibern, die durchs Filmland geisterten, gab es kaum 50 Männer und Frauen von Geist und Talent. Der Rest des Clubs war totes Holz. Eigenartigerweise war jedoch kaum ein Unterschied zwischen dem Produkt eines guten Autors und dem eines schlechten zu erkennen. Denn beide waren in derselben Tretmühle gefangen. (…) Die Studiobosse bringt solches Künstlerdilemma kaum aus der Ruhe. Die Erfahrung hat gelehrt, dass der revoltierende Hollywood-Künstler zumeist durch eine Gehaltserhöhung beruhigt werden kann. Meine eigene Unzufriedenheit mit dem, was man in Hollywood von mir verlangte, war so laut, dass ich schließlich 125 000 Dollar für Wochen Arbeit an einem Drehbuch erhielt.»

Literarische Art brut

Anekdoten klebten an Hecht wie Insekten am Fliegenpapier. Und er war nie abgeneigt, sich Flunkereien, die andere über ihn erzählten, anzueignen und dabei noch gehörig nachzuwürzen: «Ich kaufte mir einen neuen Hut, und ehe eine Woche vergangen war, stellte ich eine sonderbare Mischung aus Raufbold, Schurke und Gesellschaftsfeind dar.» Max Frisch hat diese Neigung zum Nachwürzen einmal als weit verbreitet unter Schriftstellern beschrieben und zum Recht eines jeden Mannes (!?!) erklärt, sich seine eigene Biografie – und alles, was daraus folgt – selbst zu erfinden. In diesem Sinne ist der Reporter-Schriftsteller Ben Hecht also sowieso komplett im Recht, umso mehr dort, wo seine Stories vermutlich nicht stimmen – wie etwa jene aus der deutschen Revolution (leider nicht in dem Band enthalten), die er zwischen 1918 und 1920 in Berlin als Korrespondent des Chicago Daily Journal miterlebt hat: Ob der bayerischen Revolutionsregierung Lenins berühmter Koffer – Inhalt: eine Million Goldmark – von einem Kurier zugestellt wurde; ob sich Karl Liebknecht nach Ausrufung der Republik im kaiserlichen Schlafgemach seiner Kleidung entledigte und ins Monarchenbett stieg, wo er gerade mit seiner Abendlektüre beginnen wollte, als der mit Akten und Büchern überhäufte Nachttisch zusammenbrach; oder ob Titus Tautz, der dadaistische Kunstkommissar, mit einer Fackel ein Rembrandt-Gemälde vernichten wollte, stets war Ben Hecht, ein Amerikaner, der kein Wort Deutsch verstand (geschweige denn sprach), als Augen- und Ohrenzeuge mit von der Partie – unter dem Bett versteckt, hinter einem Paravent lauernd oder durch Wände lauschend.

Was Hechts Stories auszeichnet, ist die mühelose und selbstverständlich erscheinende Kombination von Journalismus und Literatur, Reportage und Fiktion, die Art und Weise, wie er Beobachtung mit Erfindung ergänzte. Den Stallgeruch der Zeitungsredaktion ist er nie losgeworden, hat ihn vermutlich sogar bewusst konserviert. Das insgesamt fünfmal verfilmte Theaterstück, die gemeinsam mit Charles Mac Arthur geschriebene Komödie The Front Page (1928) zehrt deutlich von diesem Erfahrungsschatz.

Hechts «Erinnerungen an den amerikanischen Traum», wie der Untertitel des Buches heißt, verteilen sich auf fünf Geschichten aus dem Chicago der 1910er und 20er Jahre und drei aus dem Hollywood der 30er und 1940er Jahre. Sie machen jeweils ungefähr die Hälfte des 149-seitigen Buches aus, aber obwohl hier wie dort der gleiche Charakter, die identische Autorenpersönlichkeit sichtbar wird, klaffen die beiden Teile hinsichtlich Beteiligung, Vertrautheit und Kraft deutlich auseinander. Salopp formuliert: wenn’s um Chicago geht, wirft einem Hecht, wunderbar naiv, vital und gleichmütig, seine literarische Art brut vor die Füße; das andere Mal, in den Hollywood-Teilen, hinkt er, obzwar kunstvoll und sophistisch durchtrieben, der eigenen Mission hinterher, mit Hollywood abzurechnen. War Chicago für Hecht eine Realie, ein urbaner Organismus, auf die er seine Geschichten wie einen wütenden Hund losließ und deren Beschreibungen von geradezu taktiler Qualität sind, so ist ihm Hollywood eher Ankündigung und Chiffre für den ungeliebten Zustand, in den sich sein Amerika verwandeln sollte. Als instinktiver Reporter ist Hecht ganz groß, als intellektueller Beobachter des kalifornischen Entertainment-Betriebs nur amüsant.

 

Ben Hecht: Von Chicago nach Hollywood. Erinnerungen an den amerikanischen Traum. Ausgewählt, aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Helga Herborth (Berenberg Verlag 2009)