spielfilm

Wall Street 1987

Von Christian Petzold

© 20th Century Fox

 

Die beiden Türme stehen noch. Der Film fliegt darauf zu. Überhaupt wird in den Filmen, in denen es um Banken und Finanzkapital geht, geflogen. Es ist schwer, eine Bank zu filmen. Es ist aber auch schwer, eine Fabrik zu filmen. Auf Fabriken wird aber nicht zugeflogen. Fabriken, das sind Mauern und der Werkseingang und Schichtwechsel. Arbeiter verlassen die Fabrik, das hat sich tief eingegraben.

Nach der Fliegerei kommen auch bei Oliver Stone diese Bilder. Die Bankangestellten auf dem Weg zur Arbeit, das Gedränge in der U-Bahn, im Fahrstuhl, die Hetze. Da scheint schon die ganze Idee des Films durch. Das Neue mit dem Alten erzählen. Das Fernsehen mit dem Kino. Die Geldströme mit den Menschenströmen. In der einzigen Fabrik, die zu sehen ist in diesem Film, werden Flugzeuge gewartet, mit denen man auf Türme zufliegen kann.

Die Idee bei Stone. Oft ist er davon wie benebelt. Er sieht nichts mehr. Die Komparsen in der U-Bahn. Sie spielen: eine Frau setzt einen Gesichtsausdruck auf: Mann, ist das eng hier, geht mir das auf die Nerven, immer die gleiche Mühle. Das bringt schon alles in Schieflage: Wenn Komparsen spielen in Bildern, die wie dokumentarisch daherkommen, dann hat der Film etwas nicht gesehen, oder sich nicht die Mühe gemacht, etwas zu sehen. Dann hat er keine Geduld. Dann hat er nur ein Programm. Vielleicht ist es ja das. Wenn Stone eine Idee hat, dann braucht er nichts mehr zu sehen.

Später wird auch noch die Kamera eingegraben, und Passanten hetzen darüber hinweg. Der Film stellt sich auf die Seite des Proletariats, aber gleichzeitig interessiert er sich nicht dafür. «Ein Bier für meinen Sohn», ruft Martin Sheen in der Arbeiterkneipe – so, wie das ins Bild gesetzt ist, so schlampig und abgerufen, zubereitet fürs blitzschnelle Decodieren.

Aber worum geht es?

Die Frauen. Manchmal werden sie beiläufig erwähnt, wie die Mutter. Manchmal schmieren sie durchs Bild, gesichtslos. Manchmal macht man Ivy-League-Buddy-Witze über sie: Bist du nicht mehr mit Natalie zusammen? Nein, sie hat die falsche Frage gestellt. – Welche? – Was denkst du gerade?

Manchmal sind sie bestellt, von einem Mann für einen anderen zu einem Blowjob auf einem Rücksitz.

Sie sind Sekretärinnen oder Vorzimmerdamen. Oder Ehefrauen, die auf der Welt sind, um «Meine Frau» genannt zu werden.

Eine ist Innenarchitektin. Mit ihr gibt es eine Liebesgeschichte. Auch die ist so hundsmiserabel schlampig erzählt, dass klar ist, dass sie nicht zählt. Trotzdem dauert diese Geschichte und bekommt Einstellungen und Musik und einen kleinen «march of time». Weißwein und Sushi und Nudelmaschine und Sex vor Penthousepanoramafenster, Blue Hour und Score und zurückgeworfenes Haar.

In diesem Film sind die Frauen wie das Geld. Summen, gewaltige, schwirren durch die Luft und durch die Dialoge. Aber was kann man anstellen, mit dem Geld? Da fällt dem Film nichts anderes ein als dem Postamt in der Skalitzerstraße in Kreuzberg, das unten auf dem selbstgebastelten Werbeposter mit der Überschrift «5 000 Euro Kredit für ihre Träume» das schlecht hineinkopierte Bild irgendeines Strandes mit irgendeiner Palme gesetzt hat. Wer hier liegen will, der braucht keinen Kredit mehr. Bei Stone gibt es ein Beachcar-Rennen, und die Broker und ihr Mädchen rasen kreuz und quer über die Dünen und kreischen vor Ausgelassenheit, während irgendwelche Fischer hinten ihre Netze flicken.

Aber worum geht es?

Es geht um Söhne.

Und es geht um die Väter.

Es geht um die Energien junger Männer. Die keinen Ort finden in einer erstarrten Welt, die von alten Säcken verwaltet und vergreist wird. Man hat den Söhnen die Kolonien genommen. Und dann den Krieg. Und dann die Industrie. Jetzt bleibt nur mehr die Wall Street.

Stände und Zünfte, die vom Kapitalismus verdampft werden. Schweiß und Dampf. Die wirklich erotische Szene ist die zwischen Gekko und Charlie Sheen im Fitnessclub. Zwischen Squashspiel und Dampfbad, in Schweiß getränkt.

Die Vaterfiguren rauchen, wie ausgestellt ist das. Es soll nur Rauchen heißen. Wenn man sie rauchen sieht, dann ist das Rauchverbot nicht weit. Wer so raucht, dem kann man es auch gleich verbieten.

Am Ende kommt der junge Broker nach Hause zurück. Unter Tränen gesteht er dem echten Vater seine Liebe. Er verrät den falschen, Gekko, den Verdampfer. Er verkauft sein Penthouse. Sein Vater begleitet ihn zum Gericht. Aber da geht die Kamera schon wieder nach oben. Der junge Broker wird ins Gefängnis gehen. Und nachher ist er so weit, in der Firma, in der sein Vater Betriebsratsvorsitzender ist, zu arbeiten. Seine Reise ist zu Ende. Das Gefängnis die letzte Ausbildungsstätte, um Mann zu werden.

Gekko. Er ist geblieben. Über 20 Jahre istder Film alt. Der Gewerkschaftler, der junge Broker, die Innenarchitektin, die Kollegen. Alle vergessen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie die schlechtesten amerikanischen Filme dann doch etwas treffen. Wenn Gekko am Strand steht, den Sonnenaufgang bewundert und davon am Telefon erzählt, wenn er erzählt von den Geldbesitzern, diesem faulen Pack, vom Vater, einem Elektromeister, der sich totschuftete, für andere, von seiner Verachtung, für all das, Gefühle, Romantik, Liebe und Schlösser, dann erscheint in diesem Film eine Figur, die die Politik in den nächsten zwanzig Jahren bestimmen wird. Auch Stone ist infiziert davon. Jämmerlich lässt er Gekko am Ende zugrunde gehen. Schlampig gefilmt und erzählt. Aber da ist es zu spät. Seine eigene Verdampfung hat schon eingesetzt.