dokumentarfilm

Verschwörungssammler Wahrheit in der Opposition: Über Collapse (2009) von Chris Smith und den whistle blower Michael Ruppert

Von Cord Riechelmann

© Vitagraph Films / Chris Smith

 

Zu Beginn des Films Collapse sagt eine Stimme aus dem Off, dass wir nicht einen Präsidenten wie Abraham Lincoln brauchen, sondern einen wie Thomas Jefferson. Jefferson war es, der gesagt hatte, dass die Amerikaner in jeder Generation eine Revolution benötigen. Thomas Jefferson, einer der Väter der amerikanischen Demokratie und Verfassung, war ein Revolutionär, der alle alten Nationen abschaffen wollte, ohne eine neue zu begründen. «Nieder mit den Nationen», könnte man über seinen Demokratieentwurf schreiben. Während Abraham Lincoln, der Präsident der Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg, für den Kampf für die Einheit der Nation steht.

Lincoln wird somit zum Totengräber der amerikanischen Revolution, zum Symbol für das Scheitern der Revolution. Das ist natürlich auch eine Absage an Barack Obama, der andauernd von der Einheit der Nation redet, und damit bestimmt kein Revolutionär ist.

Im Intro von Collapse zeigt der Regisseur Chris Smith Dokumentarbilder von Straßenkämpfen, Plünderungen und Polizeischlachten aus der jüngeren Vergangenheit.

Anlass des Films war ein Treffen mit einem «whistle blower» namens Michael Ruppert. Smith und sein Team recherchierten über die Verwicklungen der CIA in den Drogenschmuggel der 80er Jahre. Ruppert schien dafür der geeignete Informant. Bis zu seinem Ausscheiden 1978 hatte er als Drogenfahnder bei der Polizei von Los Angeles gearbeitet, war in Drogengeschäfte, die durch verdeckte Aktionen der CIA unterstützt wurden, verwickelt, und hatte darüber gesprochen und geschrieben. Es wurde aber bei dem Treffen schnell klar, das Ruppert wenig Lust hatte, nur über Drogengeschäfte zu reden. Smith machte das Beste daraus und ließ Ruppert reden. Was dabei herausgekommen ist, ist eine der besten filmischen Studien über das Verhältnis von Subjekt und Wahrheit in den letzten Jahren.

Ruppert sitzt in einem abgedunkelten Raum, den man auch für ein Verhörzimmer halten könnte. Sein Hemd ist oben offen, von Zeit zu Zeit steckt er sich eine Zigarette an und raucht. Er redet klar. Die Kamera nimmt ihn stets von vorn auf, zwischen Rupperts Rede werden Aufnahmen zur Geschichte der modernen Landwirtschaft, zur Praxis der Ölbohrungen und von öffentlichen Auftritten Rupperts gezeigt.

Es gibt neben Zeichentrickdarstellungen und eingeblendeten Worten wie «Oil» auch noch zwei Graphiken. Die eine ist die sogenannte Hubbert-Kurve, die den Verlauf der Ölfördermengen in Abhängigkeit von den Quellen gegen die Zeit aufträgt, und die andere zeigt die Entwicklung der Menschenpopulation über die Jahrhunderte. Den Zusammenhang zwischen den beiden Kurven stellt Ruppert in seiner Rede her. Ganz langsam folgt die Kamera der flachen gezeichneten Linie über die Jahrhundertzahlen, bis 1850 ein leichter Anstieg zu sehen ist, der 1900 als fast gerade Linie senkrecht nach oben explodiert. 1850: Industrialisierung. 1900: Oil! Wir leben im Ölzeitalter.

Keiner der vielen Milliarden Menschen, die heute die Erde bevölkern, lebt ohne Öl. Insektizide, Plastik, Landwirtschaft, Verkehrsmittel, Medizin, Dünger – alles basiert auf Erdöl oder Erdgas. Mit dem Öl aber geht es zu Ende. Die Hubbert-Kurve zeigt das. Der amerikanische Ölgeologe Marion King Hubbert hatte in den 50er Jahren die Gesamtfördermenge mehrerer Ölquellen in Form einer Glockenkurve beschrieben. Mit den Daten der damals zugänglich gemachten amerikanischen Ölvorkommen konnte er das Fördermaximum für die USA ziemlich genau für das Jahr 1971 voraussagen. Danach musste die Fördermenge stetig fallen. Und auch wenn die Hubbert-Kurve vielen Geologen global als spekulativ gilt, weil sie von einfachen geophysikalischen Annahmen ausgeht, die für die USA zwar stimmen, aber außerhalb Amerikas die politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, die die Ölforderung auch bedingen, komplett außer Acht lassen, traf sie für Amerika zu. Für Ruppert ist entscheidend, dass wir bei «peak oil» (Ölfördermaximum) angekommen sind, beziehungsweise diesen Punkt bereits überschritten haben. Sein darwinistischer Kurzschluss geht nun so: Wenn eine Art durch Veränderung der Umwelt sich Lebensmöglichkeiten erschlossen hat, die ein exponenzielles Wachstum ermöglicht haben, wird die Art mit dem Verschwinden der Bedingungen der Möglichkeit (Öl) auch wieder verschwinden. Das lehrt die Darwinsche Anpassungslehre, sagt er, und deshalb ist der Kollaps unvermeidlich, und deshalb sei er kein Prediger des Sozialdarwinismus, sondern ein aktueller Anwender der Lehren des Darwinismus. Das trägt er mit einer Sicherheit vor, die jeden prüfenden oder kritischen Blick auf Darwin und Hubberts Berechnungen überflüssig macht. Die Darstellungen der beiden Gaphiken liegen im Film etwa vierzig Minuten auseinander, was insofern großartig ist, als Ruppert zwischendurch Geschichten erzählt, die ohne den Mythos vom Öl auskommen, einen aber schon vom Zuhören paranoid machen könnten.

1996 hatte er bei einem öffentlichen Auftritt den damaligen CIA-Direktor John Deutch sehr konkret mit den Verwicklungen der CIA in Drogengeschäfte konfrontiert. Deutch mußte auf der tumultuarischen Veranstaltung Untersuchungen der Vorfälle versprechen. Seine schon beschlossene Nominierung zum Verteidigungsminister wurde nach Rupperts Intervention zurückgenommen. Ruppert selbst war nach seiner Entlassung aus der Polizei freier Autor geworden und bei der Recherche zu den Selbstmorden von mehr als einhundert US-Soldaten auf den Zusammenhang der Tode mit der Verwicklung der Soldaten in verdeckte Drogengeschäfte der CIA gestoßen. Für Ruppert war das der Rubikon. Heute ist er mit seiner Internetseite From the Wilderness und dem dazugehörigen Newsletter einer der bedeutendsten oppositionellen Autoren der USA. «The Wilderness» ist Programm: Es fügt ihn in die Tradition jener Amerikaner von Henry David Thoreau bis Walt Whitman, die in der Natur den Kontrapunkt zur korrupten Gesellschaft suchen und sehen. Sein Lieblingsschriftsteller ist Jack London, und Obama für ihn der Präsident der Banken, Militärs und Händler, eben des Establishments.

Einen Ausweg aus der Kollapskrisenlage (in der die jüngste Finanzkrise zu einem Epiphänomen wird) findet Ruppert ausgerechnet in Kuba. Im Unterschied zu Nordkorea schaffte Kuba es, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den dann ausbleibenden Öllieferungen seine Bevölkerung besser zu ernähren als davor. Kuba liberalisierte den Anbau von Nahrungsmitteln im großen Stil. Jeder Dachgarten, jeder Wegrand, jede irgendwie geeignete Stelle wurde zur Anpflanzung freigegeben. Jeder Kubaner wurde sein eigener Kleinbauer, die Ernährung war besser als je zuvor, jubelt Ruppert, und singt das Wort «organic». Lokale Liberalisierung hatte die Kubaner satt werden lassen, während die zentralistisch verwalteten Nordkoreaner in Hungerkrisen stürzten. Jede Lösung, die dem Kollaps entkommt, wird künftig lokal sein, meint Ruppert, und die Bilder von Kubanern, die am Wegrand ernten und noch in Dachrinnen Getreide anpflanzen, verfestigen seine Rede zur Gewissheit.

Es sind die kleinen, genauen Beobachtungen, die seinen Kampf gegen das alte Paradigma von Geld und Öl so eindringlich machen und einen fast schon glauben lassen, dass er, wie er sagt, kein Verschwörungtheoretiker, sondern ein Faktensammler ist. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, meint er, und liefert eine sehr schöne Defintion von Paradigma: Ein Paradigma sei das, was man über etwas denkt, bevor man darüber nach- und darüber hinaus denkt. Leider nur verfällt er immer wieder auf sein eigenes Ölparadigma. Seinen bisher größten publizistischen Erfolg verdankt Ruppert der These, dass der ehemalige US-Vizepräsident Richard Cheney einer der Haupttäter und Organisator der Anschläge vom 11. September 2001 sei. Sein in Kanada erschienenes Buch Crossing the Rubicon – The Decline of the American Empire at the End of the Age of Oil gehört zu den meistverkauften zum Thema in den USA. (Es enthält in etwa das, was wir hierzulande von Mathias Bröckers kennen.)

Interessant sind die Passagen zum amerikanischen Ölkrieg auch gegen die eigene Bevölkerung in Rupperts Version aber aus einem anderen Grund, als dem historisch Veri- oder Falsifizierbaren: Sie liefern das so nie gesehene Rohmaterial für eine Hermeneutik eines amerikanischen Subjekts der Gegenwart in der Opposition. Man kann in dem Film einem Menschen zusehen, der die alte griechische Tradition des Wahrsprechens bis zur Gefährdung des eigenen Lebens wiederbelebt. Und das sagt auch etwa über den Zustand der amerikanischen Demokratie: Revolution ist dort nach wie vor kein Fremdwort.