praschl

racing car passing by like Lady Godiva

Von Peter Praschl

Wie ich zuerst sagte, bei mir sei es gar nicht so viel anders als sonst, ich säße ja auch so immer zu Hause, und es dann schon am dritten oder vierten Tag kaum aushielt, nicht unter die Leute gehen zu können, wie ich jeden Tag vier-, fünfmal hinaus musste, um den Block zu umrunden, und es mit jedem Tag auf den Straßen immer leerer wurde, bis die Menschen einander so anzusehen begannen wie in einem verdammten Dorf, wie ich mich darum riss, für den Supermarkt zuständig zu sein, Handyfotos von der Warteschlange schickte und hinterher erzählte, wie das Einkaufen gewesen war («eigentlich ganz normal»), wie überall Schilder aufgetaucht waren, die einem verboten, sich hinzusetzen, wie S. aus Italien mailte, dass es sie erwischt hatte und ihre Symptome auflistete («ich konnte nichts mehr schmecken»), wie K. erzählte, dass ihr Vater in der Intensiv lag, keine Ahnung, wo er sich das geholt hat, wie F. und H. immer trauriger wurden, bis mir nach drei Wochen auffiel, dass sie drei Wochen lang keine anderen Kinder mehr aus der Nähe gesehen hatten, wie F. stundenlang mit ihrer Freundin facetimte, Ls. Gesicht auf dem Iphone-Bildschirm vor sich auf dem Schreibtisch, einander ihre Bilder und Choreos zeigend, wie O. und ihre Freundinnen damit begonnen hatten, statt sich im Muse zu treffen, Zoom-Abende miteinander zu verbringen, bei denen sie sich alle 40 Minuten wieder einloggen mussten, wie die Welt ganz allmählich zu einer Videowelt geworden war, in der ich mir auf Instagram Live-Videos von Bataille-Lesungen ansah, mir Arsenal-Filme reinzog, wir uns vor dem Fernseher versammelten, um uns auf YouTube das Alba Berlin-Trainingsprogramm für Kinder anzusehen (das wir nach zehn Minuten für völlig überflüssig befanden), oder ich mir DJ-Sets aus leeren Clubs anmachte, in denen man nichts anderes zu sehen bekam als DJs, die in einem leeren Club Schallplatten auflegten, (aber sie waren noch da! es gab sie noch! sie ließen sich nicht unterkriegen!), wie F. sich zweimal die Woche mit ihrer Schulklasse zu Zoom-Terminen traf und hinterher gleichzeitig total euphorisch und total niedergeschlagen war, wie ich dabei einmal R. sagen hörte, dass sie ihre Kamera lieber nicht einschalten würde, und ich sofort Ach, R.! dachte, weil ich wusste, wie schüchtern sie und wie unbegründet ihre Angst war, von den anderen nicht gemocht zu werden, wie ich im leeren Kindergarten Zoom auf dem Laptop installierte, damit die Kindergärtnerinnen zu virtuellen Morgenkreisen einladen konnten, wie ich eines Abends, während ich um den Block ging, ein Flugzeug am aufgehenden Mond vorbeifliegen und einen Kondensschweif hinter sich herziehen sah und sofort ein Handy-Video davon machte, das natürlich nichts wurde, um den Moment aufzubewahren, in dem ich in meiner Sehnsucht, wieder in einem Flugzeug zu sitzen, mich in vollen Bars an die Theke drängen oder in irgendeinem egal welchen Pulk stehen zu dürfen, so deprimiert war wie seit vielen Jahren nicht mehr, und wie dann, als schon klar war, dass es endlich wieder halbwegs losgehen würde ( jedenfalls ein paar Wochen lang, bis wir es wieder vergeigt haben und uns erneut einsperren müssen würden), dieses Video auftauchte, das die Lehrer eines Gmundener Gymnasiums aufgenommen hatten, dreieinhalb Minuten lang Lipsyncing zu Queens Don’t Stop Me Now, bei dem sich alle weggaben ohne Scheu, lächerlich zu wirken, sogar die, denen man sofort ansah, wie beklommen sie sich fühlten, da sind aber ganz schöne Hotties dabei, sagte O., den Elternabend stelle ich mir interessant vor, alberner Quatsch eben, aber endlich wieder, und wie ich mir nicht helfen konnte und einfach losflennte,