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When history is just too hard to hear Über Theaster Gates’ Ausstellung Amalgam im Palais de Tokyo, Paris

Von Tom Holert

«Kunsthalle» ist ein in der Regel unübersetzt bleibender, generischer Name – wie «Kindergarten». Er bezeichnet ein Museum ohne Sammlung, in dem, gern mit Direktanschluss an den Kunstmarkt, zeitgenössische Kunst gezeigt wird. Die Über-Kunsthalle dürfte gegenwärtig das Palais de Tokyo in Paris sein, eine Mischung aus Architekturdenkmal, Großgalerie, Multiplex-Themenpark und Buchhandlung. Die Beeindruckungskulisse vis-à-vis des Eiffelturms, ein Monumentalbau, der anlässlich der Weltausstellung von 1937 als «Palast der Kunst» errichtet wurde, gespiegelt im gegenüber liegenden Musée d’art moderne de la ville de Paris, hat sich seit ihrer Neueröffnung als Kuratorenmanege (oder: site de création contemporaine) im Jahr 2002 zu einer schmerzhaft angesagten Sammelstelle für die Pariser Kunst- und Modeszene entwickelt, inklusive Edelgastronomie, partygerechten Öffnungszeiten bis in die Nacht und den an solchen Orten zum Inventar gehörenden Skater-Kids im Außenbereich, die den hier überall eingeforderten Aufenthaltsmodus (aktives Abhängen) exemplarisch vorleben.

Mit einer Ausstellung im Palais de Tokyo zu bestehen ist also keine leichte Aufgabe. Das zu bewältigende Raumvolumen ist mehr als einschüchternd, Ähnliches haben sonst eigentlich nur die Turbinenhalle und die Tanks der Tate Modern in London zu bieten, dazu kommt die bewusst kultivierte Baustellen/Ruinenästhetik dieses Ortes, gegen die sich ein Werk behaupten muss. Oder es ist gerade die richtige Art von architektonischer Herausforderung, eben der Maßstab, der einer bestimmten künstlerischen Praxis zugute kommt, die dann auch, denn anders wäre es schlicht nicht zu finanzieren, eine der professionellen, marktgestützten Produktion sein sollte.

Es sind die arrivierten, überwiegend männlichen Künstler-Unternehmer wie Philippe Parreno, Jesper Just, Tomás Saraceno, Neïl Beloufa oder Thomas Hirschhorn, denen das Bestehen auf dieser Bühne (mit den dann unweigerlich aufs Grandiose zielenden, gesamtkunstwerklichen Gesten) zugetraut wird. Auch Theaster Gates gehört zu diesem Kreis von celebrity artists, denen der Umgang mit einer solchen Raumforderung keine Probleme bereitet, allerdings ist er im Unterschied zu den oben genannten Künstlern schwarz, was einen Unterschied macht. Seine Ausstellungsinstallation Amalgam, die Anfang dieses Jahres über die ganze, ausladende Kurvatur der zentralen Galerienflucht des Palais de Tokyo hinweg ausgebreitet war, demonstrierte aber auch für die Verhältnisse dieses kaum an mangelndem Selbstbewusstsein leidenden Künstlers eine gehörige Entschlossenheit, das Machbare auszureizen. Amalgam, von Gates gemeinsam organisiert mit der Palais de Tokyo-Hauskuratorin Katell Jaffrès, war eine fulminante, und als fulminant bewusst orchestrierte Setzung im Feld der Gegenwartskunst, wie sie immer noch nur wenigen (aber zunehmend mehr) Künstler*innen afrikanischer Herkunft auf den großen Bühnen installativer (oder wie Gates immer wieder betont: skulpturaler) Kunst zugebilligt wird – El Anatsui, Kara Walker, Nuri Ward, Kader Attia, Adrian Piper oder Ibrahim Mahama ließen sich hier ansonsten noch nennen. Gates’ Setzung kann auch als strategisch nächster Schritt in der Produktion forschungsbasierter, poetischer, multimedialer, immersiv-kinematografischer Ausstellungserfahrungen angesehen werden, für die er bekannt ist. Die Beziehung dieser Erfahrungen zu einem neofeudalen, von der Finanzindustrie und ihren Überlegenheitsfantasien abhängigen und ermöglichten Kunstverständnis, das sich kaum anders als in herrschaftlichem Spektakel äußern darf (aber auch nach einem Mehrwert aus Kritik und sozialer Verantwortung verlangt, der nicht allein in der pompösen Geste aufgehen darf), spielt eine wichtige Rolle für sein umfassenderes sozialästhetisches Projekt und die dieses umlagernden Narrative.

Denn seit den späten 2000er Jahren handelt Gates nicht nur in den Dimensionen der Großausstellung, unterstützt von den mächtigsten Kunsthändlern (Gagosian, White Cube, Regen Projects), die ihrerseits nach immer kolossaleren Inszenierungen verlangen; zugleich und komplementär dazu handelt er in den Größenordnungen von Immobilienentwicklung und Community-Building. In Chicagos South Side gründete Gates mittels einer gemeinnützigen Stiftung (der Rebuild Foundation) die Dorchester Projects, ein Archiv und eine Bibliothek für schwarze Kultur und Politik, die auch als Hörstation und Ort für Konzerte dient; des weiteren gehen auf ihn zurück: das Black Cinema House, die Stony Island Arts Bank und die Dorchester Art + Housing Collaborative (hier werden Wohnraum, Gemeinschaftsräume und Treffpunkte für Künstler*innen und Nachbar*innen bereitgestellt); außerdem ist er Direktor der Forschungsstelle Art + Public Life an der Universität von Chicago, Gründer von Arts Incubator (einem Ort für Residencies und Ausstellungen) sowie von Place Lab, einem kulturpolitischen Zentrum.

Diese von Gates begründete und betriebene «Chicago School» (Chris Dingwall) funktioniert als eine – viel gefeierte – Synergiemaschine, in der sich symbolische, materielle und soziale Kapitalsorten wechselseitig befeuern. Statt den Kunstmarkt zu verteufeln und ins moralische Abseits zu schieben, leitet Gates seine dort erzielten beträchtlichen Einnahmen in die genannten Projekte zur Rekonstruktion und Neuerfindung von Schwarzer Kultur und Schwarzem Alltagsleben um, vorrangig in diejenigen Schwarzen Stadtteile Chicagos, die von den Verwüstungen der Finanzkrise besonders schwer betroffen sind. Dabei versucht er sich an der Herstellung von systemsprengenden Verschränkungen und Wechselwirkungen. Der bei den Renovierungsarbeiten entstehende Bauschutt wird in institutionellen und Galerie-Ausstellungen recycelt, die Patina abblätternder Farbe auf alten Türen und Möbeln zur Ware, die in einer Ökonomie zirkuliert, in der sich die komplizierte Ethik des verantwortungsbewussten Sammelns als Ausdruck von Philanthropie mit dem steigenden, auch spekulativen Interesse an der Kunst afroamerikanischer Künstler*innen, Filmemacher*innen und Performer*innen verbindet. Gates bietet an dieser Front somit auch eine komplette Kosmologie, eine holistische Vorstellung von Schwarzer Kunst und Kultur an (der, wie er es nennt, «vastness of Black»), in der sich Kunsthandwerk (Gates ist ein geschulter Töpfer und Keramiker), Architektur, Stadtplanung, Musik (mit Joshua Abrams, Yaw Agyeman, Lisa Alvarado, Mikel Patrick Avery, Michael Drayton, Ben LaMar Gay und Kiara Lanier gründete Gates die Black Monks, eine experimentelle Gruppe, die sich auf Blues, Gospel, Jazz und buddhistischen Gesang als Grundlagen einer musikalischen Black aesthetics beruft) und neuerdings auch Film verbinden.

Einer dieser Filme, Dance of Malaga, markierte in Paris eine Entwicklung in Gates’ Werk, die ihn noch tiefer in die aktuellen Konjunkturen Schwarzer Kulturproduktion in einem von white supremacy und den Mobilisierungen von Black Lives Matter beherrschten Amerika eindringen lässt. In einer – natürlich: riesigen – Projektionsbox, die man nach etwa zwei Dritteln des Parcours durch die Ausstellung im Palais de Tokyo erreichte, um sich – schon etwas erschöpft – auf abgesägten Baumstämmen niederzulassen, lief der zwanzigminütige Film, den Gates gemeinsam mit dem Choreographen und Tänzer Kyle Abraham entwickelt hat. Montiert aus gespielten Szenen und Archivmaterial, sind TV-Footage von rassistischen Predigern, Fotografien aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, Dokumentarfilme aus den 1950er Jahren in eine Parade umwerfend schöner junger schwarzer und weißer Körper geschnitten, die sich in der Natur ergehen, in einer stilisierten Bukolik am Übergang vom Picknick zur Orgie, in rauschhaften, tänzerischen Begegnungen mit Pflanzen und untereinander, untermalt und überlagert von der Musik der Black Monks, die sich in diesem Fall auf die Gesänge des koreanischen Pansori, einer als UNESCO-Kulturerbe registrierten Tradition des singenden Erzählens bezieht («pansori» kann übersetzt werden mit «eine Situation, in der viele Menschen zusammengekommen sind» oder «ein Lied, komponiert aus wechselnden Tönen»).

Wie selbstverständlich bedient sich Gates der visuellen Idiome jener liquid Blackness, wie sie die Kameraleute des neuen Schwarzen Kinos und Musikvideos (Arthur Jafa, Kira Kelly, Tyler Mitchell, James Laxton usw.) in den vergangenen Jahren im größtmöglichen Abstand zu sensationalistischer Blaxploitation oder dokumentarischem Miserabilismus entwickelt haben, und ebenso selbstverständlich partizipiert er an der Bildsprache, auch an der Ikonografie anderer Schwarzer Videokünstler und Filmemacher wie Isaac Julien, John Akomfrah, Khalil Davis oder Steve McQueen. Die betörenden Bilder und Töne von Gates’ Film sind von einer gewissen Formelhaftigkeit, sie sind erkennbar Teil eines umfassenderen, nur eingeschränkt individualistischen ästhetisch-politischen Projekts, sie partizipieren – als Bilder und Töne – an einem Film der Filme des Black cinema. Weniger ein Interesse an den Brüchen und Irritationen avantgardistischer Filmkunst liegt ihnen zugrunde als die Dringlichkeit einer verbindenden, solidarischen und ermöglichenden, gemeinschaftsstiftenden und -bewahrenden zivilen und zugleich utopischen Grammatik.

Dabei ist schwer zu sagen, ob in einer Ausstellung im Palais de Tokyo, die mit dem Namen «Theaster Gates» wirbt, eine solche das Gegeneinander zu einem Miteinander, einem singulär Pluralen, transzendierende Praxis überhaupt Aussicht auf Erfolg haben kann. Die Beziehungen zwischen diesen Räumen und den Räumen einer Schwarzen Sozialität, die der Film und die Ausstellung, deren Teil er ist, vor Augen rufen, sind mehr als unklar. Und es ist dies ein Problem, das sich aus unterschiedlichen Blickrichtungen je anders stellen mag – als auf Lösung wartend oder diese gezielt vermeidend. Anders gesagt handelt es sich um eine typische Site/Non-Site-Konstellation, wie sie von Robert Smithson in den späten 1960er Jahren theoretisiert und politisiert worden ist, eine Nicht-Relation, die im besten (und hier: nicht unwahrscheinlichen) Fall eine dialektische Spannung erzeugt.

Der Ausstellungstitel Amalgam spielt unter anderem (Anagramm!) auf Malaga Island an, eine kleine Insel an der Mündung des New Meadows River in der Casco Bay im US-Bundesstaat Maine. Als Fellow am 2018 neu gegründeten Lunder Institute for American Art am dortigen Colby College erfuhr Gates von der Geschichte dieser Insel und beschloss, ihr ein Projekt zu widmen. In Folge von wirtschaftlichen Krisen, der Eugenik-Bewegung und früher touristischer Entwicklungspläne wurden die im Jahr 1911 verbliebenen etwa 45 Bewohner*innen von Malaga Island auf Befehl des Gouverneurs von Maine vertrieben, acht von ihnen endeten in einer psychiatrischen Einrichtung, eine der Familien trieb daraufhin jahrelang auf einem kleinen Boot herum; um jede Wiederansiedlung zu unterbinden, wurden Gräber ausgehoben und die Leichname auf dem Festland verscharrt. Für fünfzig Jahre war die Insel der Lebensraum (und wohl auch der gelebte Lebenstraum) von schwarzen, weißen und ethnisch gemischten Leuten gewesen, die vom Festland aus mit Misstrauen und Herablassung betrachtet wurden, dämonisiert als «strange community» und «peculiar people», als verdächtige Queers, deren «Verunreinigungen» die rassische Reinheit gefährdeten. Auf dem Höhepunkt dieser Hasskampagne, die irgendwann auch auf nationales öffentliches Interesse stieß, folgte die Räumung der Insel nur noch einem allseits geteilten ideologischen Auftrag zur eugenischen Säuberung.

Für Theaster Gates aber formierte sich in der Rekonstruktion des Insellebens und dessen Auslöschung das Bild einer utopischen Gemeinschaft, black and mixed-race, und deren Verwundbarkeit. Den traumatischen Erfahrungen von Blackness und Anti-Blackness, die als Geschichte, history, verdrängt, vergessen, überschrieben wurde, die nicht erzählt werden könnten, weil ihre Archive mutwillig, aber auch um weiter- und überleben zu können, zerstört worden sind, setzt er die Kunst, die ästhetische Form entgegen: «A poem when history is just too hard to hear.» Ein solches Gedicht wird in Gates’ Fall zu einer Installation in einer Kunsthalle, zu einer szenografischen Nachbildung und Überformung jenes Ortes, der Traum und Trauma beherbergt. Malaga Island, die Insel, die selbst ein «Amalgam» war und es teilweise heute noch ist («filled with trees from other places, micro-climates and people who represented the un-representable») kann zu jenen multiethnischen autonomen Hybriditätszonen gerechnet werden, von denen auch Peter Linebaughs und Marcus Redikers The Many Headed-Hydra erzählt, diese Geschichte der geflohenen Sklav*innen, Seeleute und Pirat*innen in den dissidenten Dschungel- und Inselgemeinschaften der Karibik des 17. und 18. Jahrhunderts. Gates nimmt den – zu Zeiten der Eugenikhysterie pejorativ besetzten – Begriff des Amalgams und versucht ihn zu wenden, indem er aus einer Theorie der Separation eine solche der bildhauerischen Produktion und Praxis der Kooperation macht.

Dazu verfolgt er eine annähernd Beuyssche Idee der sozialen Plastik, die auf dem ästhetischen Prinzip der Vermischung beruht: «The idea of interracial mixing led to the creation of a sculptural form, ‹amalgam›: a by-product of what happens when one artistic form from history meets another one to create a new kind of work. […] I wanted Malaga to be a place where all mixes felt that they had a home. The beauty of mixing is one of the cornerstones of the exhibition.» Ein solcher nicht unproblematischer, Postmoderne-Theorie, Biologie und Vitalismus kombinierender Formalismus der Mischung, des mixing, folgt mehreren Traditionen, den Synkretismen Schwarzer Ästhetik, der Produktionsästhetik des Remix und Sampling und der politischen wie kulturellen Negation der Phantasmen Weißer Suprematisten.

In der Ausstellung baut Gates ein horizontales Denkmal für die Kommune von Malaga Island, eine vielteilige, heterogene Installation, in der Dokument und Monument permanent ineinander übergehen – die Andeutung eines versunkenen Holzhauses im Maßstab 1:1 (als «altar, not of race, but of the truth of this mixed moment») und eines Anlegestegs, eine installative Jam-Session über die Idee eines pädagogisch-archivalischen «Island Modernity Institute and Department of Tourism» (mit Museumsvitrinen und Schultafeln, hier liegt die Assoziation «Beuys» zum Greifen bereit), und ein alter Plattenspieler, wie aus einem Radiostudio der 1950er Jahre, umhüllt vom Klang eines Bluessongs (gesungen von Mahalia Jackson?); die Dislokation eines Waldes von hölzernen Stelen, gearbeitet aus vermeintlichem Totholz, gekrönt von Bronzeabgüssen afrikanischer Masken, akustisch gestanzt durch perkussive Sounds der Black Monks. Ohne Frage ist dies ein kollektives Unterfangen, seine künstlerische Handschrift lässt sich Gates von den Musiker*innen, Kameraleuten, Performer*innen und Handwerker*innen modulieren und erweitern, deren Zusammenarbeit er sucht und offenbar überall findet – irgendwo auf Instagram liest man so zum Beispiel einen Dank an Dan Bloomer und Mark Roman, zwei Tischler aus Maine.

Bis Ende Juli lässt sich eine solche transhistorische Feier von Kollaboration und Archiv auch in der Ausstellung The Black Image Corporation im Gropius Bau in Berlin besichtigen, der vorläufig finalen Ausgabe des «Black Madonna»-Projekts, das aus dem von Gates erworbenen Archiv der afro-amerikanischen Johnson Publishing Company (Ebony und Jet) generiert wurde. Gates bekennt sich zu einem «visceral deep desire to occupy the Black image», das in der Welt «positiven Schaden» anrichten solle, damit die Welt Schwarz werden wolle und die Komplexität der Geschichten Schwarzer Amerikaner begreife, «so that the image wins for us all – not just for me.»

Soll es Ironie oder Fügung genannt werden, dass Gates’ Amalgam-Ausstellung, die ebenso der Rückeroberung und Feier des «Black image» verpflichtet war wie die Berliner Ausstellung, zu einem Zeitpunkt lief, als im Musée d’Orsay die Ausstellung Le modèle noir: de Géricault à Matisse eröffnet wurde? Die Bilder Schwarzer Frauen und Männer, wie sie zwischen der Zeit der ersten Sklavenbefreiung und Abolitionismus-Bewegung um 1800 und der modernen Kunst bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts überwiegend von Weißen männlichen Künstlern produziert wurden, sollten im d’Orsay durch die Übernahme und Überarbeitung einer Ausstellung aus New York (Posing Modernity: The Black Model From Manet and Matisse to Today, Lenfest Center for the Arts, Columbia University) einer «Revolution des Blicks» unterzogen werden, wie es Laurence des Cars, die Präsidentin des Musée d’Orsay formuliert. Beide Ausstellungen nacheinander zu besuchen, war eine lehrreiche Erfahrung. Zum einen wurde deutlich, wie sehr beide in institutionelle Umgebungen eingebettet waren, in denen Widerspruch und Politik zwar angerufen werden, aber sich kaum materiell artikulieren. Andererseits wurde die – bisweilen schwer erträgliche, weil zwar didaktisch gemeinte, aber im Ergebnis überaus konventionelle, das heißt: den rassifizierenden Blick eher bestätigende als irritierende – Ausstellung im d’Orsay in den französischen Medien allein schon deshalb als eine politische Setzung verstanden, weil sie einen wohl vor allem im Inneren der Institution spürbaren Bruch mit den dort ansonsten üblichen Formaten und Fragestellungen bedeutete.

Theaster Gates’ vermeintlich so viel radikaleres Statement stieß im Palais de Tokyo im Jahr 2019 dagegen nicht unbedingt verschlossene Türen auf. Angesichts seines Status und des sich selbst zunehmend dekolonial und antirassistisch verstehenden Gegenwartskunstbetriebs dürfte er hier auf viel Entgegenkommen, Interesse, Unterstützung gezählt haben können. Das polemische Potenzial des Amalgam-Projekts liegt eher darin, wie sich Gates mit ihm innerhalb des Diskurses von Black theory positioniert, genauer: in der Frage, wie seine, Hybridität zum sozialen und künstlerischen Prinzip erklärende ästhetisch-politische Praxis und sein Begriff des «Black image» sich zur Ontologie der Anti-Blackness bei Vertreter*innen des Afropessimismus verhalten. In Paris kam dazu eine (wenn auch nicht so direkte wie etwa bei Kader Attia, der hier 2018 eine große Ausstellung hatte) Bezugnahme auf die französische Kolonialgeschichte und den Rassismus der französischen Gesellschaft – die Referenz auf eine Realität, die nur vermeintlich außerhalb der toleranten Welt des Palais de Tokyo zu verorten ist. Denn zum progressiven institutionellen Ambiente der Gegenwartskunst steht diese Realität der Ausgrenzung und Verdrängung in einer zutiefst bedingenden Relation. Jeder Versuch, zwischen Innen und Außen zu trennen, wirkt da heillos. Gates’ bisweilen am Kitsch lavierende Poesie des Schwarzen Bildes, seine didaktische Dialektik von Site und Non-Site, sein Update der Idee der sozialen Plastik führen zu einem Werk, das mit Macht auf den Eintrag in die Kunstgeschichte drängt und damit einem individuellen Anliegen dient, stellen aber zugleich eine Armatur der Möglichkeiten bereit, die institutionelle Matrix der Kunst anders zu denken – vielleicht auch anders als Gates selbst.

 

Theaster Gates – Amalgam war bis Ende Mai 2019 im Palais de Tokyo zu sehen