produktionskultur

Unter Dir die Stadt

Von Christoph Hochhäusler und Ulrich Peltzer

Ausgangsidee

Am Ausgangspunkt des Films lag das David-Bathseba- Motiv, der Geliebte, der den Ehemann seiner Geliebten davonschickt. Das war das Motiv, mit dem ich zu Ulrich gekommen bin. Der Anfang im Sinne eines Materials, mit dem ich etwas machen wollte. Ohne genaue Vorstellung, was. In der Bibel ist es ja so sehr Davids Geschichte, dass wir zum Beispiel gar nicht erfahren, ob auch Bathseba David liebt, und ob sie um den Plan weiß, ihren Mann Uriah an die Front zu schicken. In unserem Film kommt ihrem Wissen dagegen eine Schlüsselrolle zu. Dass Roland = David in das Leben ihres Mannes eingegriffen hat, um freies Spiel zu haben, erfährt sie, unsere Figur Svenja, in unserem Film mit Verzögerung. Plötzlich wird als Konstruktion sichtbar, was eben noch «Schicksal» war. Wir haben uns gefragt, wie «wirklich» Gefühle sind, wenn die Geschichten, die ihnen vorausgehen, unzuverlässig sind. Kann man mit Vorbehalt lieben? Vielleicht könnte man im Neusprech des Kapitals von «Liebesderivaten» sprechen, die in unserem Film gehandelt werden: komplizierte Wetten, die scheinbar unabhängige Werte in einen fatalen Zusammenhang bringen. Das Risiko, sich zu verletzen, sich zu verlieren steigt, aber der Gewinn liegt nicht zuletzt im Versprechen, das Leben in ein Spiel zu verwandeln, das intensiver und «wirklicher» ist als unser Alltag.

Recherche

Im Film wirkt nichts unglaubwürdiger als die Wahrheit. Die meisten Anekdoten, die wir gehört haben, wären für eine Dramatisierung zu extrem. Auch die Sprache kann man schlecht «dokumentarisch» verwenden. Es würde denunziatorisch wirken. Darum ging es uns nicht. Ich glaube auch nicht, dass sich Banker als Berufsstand in irgendeiner Weise «moralisch» oder sonst wie von anderen Berufsgruppen unterscheiden. Die Perversion der Finanzindustrie ist ganz und gar unsere Perversion, mit dem Vorzug, dass sie für uns Nicht-Banker sichtbarer ist. Es geht also um eine sehr fragile Balance aus Beobachtung und Erfindung, um eine Form, die glaubwürdig ist, ohne deshalb beweisbar zu sein, um Charaktere, die eigensinnig sind, aber zugleich wiedererkennbar.

Es war durchaus nicht einfach, Banker zu finden, die auskunftswillig waren. Wenn es aber zu einem Treffen kam, haben wir die meisten zum Sprechen gebracht. Ich glaube, nichts ist so bestechend wie Neugier. Was gibt es schöneres, als wenn jemand wirklich etwas wissen will? Zumal sonst wenig Gelegenheit besteht, zu sprechen. Die Kollegen sind Konkurrenten, die Presse ist der Feind, die Familie soll sich Illusionen machen. Wir waren bloß Künstler, harmlos.

Schreiben im Team

Unser Schreiben ist dialogisch. Wir bringen nur etwas zu Papier, wenn wir zusammen sind. Ulrich tippt, ich sitze ihm entgegengesetzt oder laufe herum. Ulrich schreibt jeweils nur das auf, was für uns beide «vorstellbar» ist, liest es wieder und wieder vor, wir formulieren vorläufig, formulieren um, schreiben Dialogfetzen etc. Natürlich bringt man Ideen mit, wenn man sich nicht gesehen hat, aber es gilt die Regel, nichts zu fixieren, bis man es dem anderen vorgestellt hat. Manchmal kämpft man für eine bestimmte Idee, merkt aber im Dialog, im Versuch, zu überzeugen, dass sie das Gemeinsame nicht fortsetzt. Schon die Tatsache, einen Vorschlag zu hören, seinen Klang wahrnehmen zu können, ist ein großer Vorteil. Wir werden weiter zusammenarbeiten.

Die Finanzkrise

Die neue Aufmerksamkeit war uns in Bezug auf das Projekt nicht willkommen. Die Tatsache zum Beispiel, dass «Banker» und «Verbrecher» im öffentlichen Bewusstsein so nahe gerückt sind, verhindert ambivalentere Lesarten. Wir haben deshalb versucht, die Krise eher im Hintergrund zu halten. Sie ist eine Tatsache, über die nicht viel gesprochen wird in unserem Film. Spürbar wird sie. Aber die Aufmerksamkeit ist auch eine Chance, gerade weil die Erklärungen, die man in der Presse lesen konnte, so primitiv waren. Mit «Gier» hat die Krise nichts zu tun. Die «Gier» zu kritisieren heißt nichts anderes, als auf «gute» Banker zu hoffen. «Seid doch anständig!» Das ist lächerlich. Es gibt also so etwas wie ein Deutungsvakuum. Natürlich ist unser Film kein Film zur Krise, will es nicht sein, kann es nicht sein. Aber vielleicht eignet er sich trotzdem als Werkzeug, das Geschehene zu interpretieren. Ich glaube an konkrete Poesie.

Dreharbeiten

Einen Film wie diesen zu machen, das ist eine erschreckend logistische Arbeit. Sehr arbeitsteilig, sehr abstimmungsintensiv. Die wichtigsten Entscheidungen werden lange vor den Dreharbeiten getroffen. Die Besetzung der Schauspieler und der Mitarbeiter, die Auflösung, die Drehorte, die Kostüme usw. setzen einen Rahmen, den auch freie Improvisation nicht mehr sprengen kann. Das Drehbuch ist ein Organisationsmedium! Trotzdem gibt es eine gewisse Flexibilität, gerade im Schauspiel. Zu meinem Glück hatte ich mit Nicolette Krebitz und Robert Hunger-Bühler Hauptdarsteller, die sich auf das Projekt wirklich eingelassen haben. So kamen zahllose kleinere und größere Veränderungen zu Stande. Diese Art der Vereinnahmung einer Rolle ist mir sehr willkommen, auch wenn ich nicht immer gewillt bin, Dialogsätze zum Beispiel für eine Idee des Augenblicks aufzugeben. Man reagiert auf das Spiel, die Eigenheiten realer Orte, auf Lichtstimmungen, Zufälle, den Wind. Aber öfter noch reagiert man auf Zeitdruck, Budgetgrenzen, hereinbrechende Dunkelheit etc. Es ist eine Kunst des Möglichen.

Christoph Hochhäusler

 

 

Der Vorstand einer Großbank betritt energischen Schrittes den Konferenzraum, legt mit Schwung seinen Blackberry, dazu noch ein gewöhnliches Handy und einen sicher teuren Füller am Rand der langen weißen Tischplatte ab, und sagt sehr entschieden: «30 Minuten.» Was nichts anderes heißen soll, als dass es schon außerordentlich großzügig von ihm sei, uns überhaupt zu empfangen, zwischen zwei anderen, auf jeden Fall aber wichtigeren Terminen. Mir scheint es sinnlos zu sein, ein Gespräch zu führen, das so begonnen hat, zumal es das letzte einer ganzen Reihe von Gesprächen mit Bankvorständen ist, die sich alle, von vorneherein, kooperativer zeigten; wir haben Material genug, eigentlich bräuchten wir uns das unter diesen Bedingungen nicht mehr anzutun.

«Wo würden Sie», beginnt Christoph unvermittelt, und anscheinend unbeeindruckt, «in Frankfurt mit einer Frau hingehen?»

Die Miene des Mannes, eines eleganten, gut aussehenden Mittfünfzigers, rutscht irgendwo in den Bereich zwischen Verwunderung, Irritation und Neugier.

«In ein Hotel?»

«Sie meinen …»

«Zum ficken, meine ich.»

Entweder schmeißt er uns jetzt raus, denke ich, selbst überrascht, wie konsequent Christoph eine Entscheidung angesteuert hat, oder er wird so privat werden, bzw. persönlich, wie wir es uns vorstellen. Nach einem Augenblick – in seinem Kopf tickt es merklich – sagt er:

«Zum … ficken würde ich in Frankfurt nirgendwo hingehen, nicht in ein Hotel, weil … hier kennt mich jeder.»

Vielleicht war es das derbe Wort allein, vielleicht auch das Signal, das von ihm ausging – wir müssen genau so wenig mit Ihnen reden wie Sie mit uns, wenn Sie nicht wollen –, jedenfalls entwickelte sich im folgenden ein Gespräch, das weit länger dauerte als die avisierten 30 Minuten (er sagte telefonisch tatsächlich einen Termin ab), und Bereiche berührte, über die er wahrscheinlich noch nie öffentlich, nennen wir es so, diskrete Öffentlichkeit, Auskunft gegeben hatte. Als sei er dankbar dafür, einmal erklären zu können, welche Vorteile etwa ein maßgeschneiderter Anzug hat, oder warum es geschmacklos ist, Armbanduhren für 100 000 Euro zu tragen – wie ein Landesbankkollege. Oder was Sex, eine Affäre, noch für jemanden bedeuten kann, der sich in einer zu ihm vergleichbaren Position befindet. Was man sich mit einem Jahreseinkommen von mehreren Millionen erlauben darf, und was man besser lässt. Macht und Begehren, Geld als abstrakte Ziffer und Sinnlichkeit, das Tote und das Lebendige. Was nicht immer einfach auseinanderzuhalten ist, und schon gar nicht in jenen Zonen der Finanzindustrie, die unseren Blicken gemeinhin verborgen bleiben, Rituale einer seltsamen Psychoökonomie, für deren Fremdheit es galt, ein Modell zu finden. Gesichter, Namen, eine Geschichte.

Als wir an jenem Abend nach Berlin zurückfahren, habe ich das Gefühl, mit unserem Stoff, mit unseren Entwürfen, genau in der richtigen Spur zu sein. Was mich nur wunderte und bis heute wundert, war, warum jede/r Befragte zwei Unbekannten derart bereitwillig Interna (aus dem Milieu) erzählte. Ob’s das Zauberwort Film gewesen ist? Oder die sich unerwartet bietende Möglichkeit, einmal alles zu beichten? Bevor das Gewitter, das sich am Horizont ihrer und unserer Welt schon so sichtbar zusammenbraute, mit Gewalt hereinbrechen würde. Möglicherweise von beidem etwas, ich weiß es wirklich nicht.

Ulrich Peltzer