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Stadtwasser Ein Gespräch mit Romuald Karmakar über das Berliner Wasser, «Ramses» und das Spielfilm-Projekt «Ich habe mich, und das war mir möglich, bemüht, nur Kinder zu erschießen»

Von Simon Rothöhler

Herr Karmakar, Ihre jüngste Arbeit ist eine Art Materialbeitrag zu Alexander Kluges DVD-Projekt «Früchte des Vertrauens. Finanzkrise, Adam Smith, Keynes, Marx und wir selbst: Auf wen kann man sich verlassen?» Bereits vor der Veröffentlichung haben Sie einen Ausschnitt ihres Films selbst bei Youtube eingestellt – warum?

Weil ich meine Berliner Freunde auf die Wassersituation aufmerksam machen wollte.

Ralf Otterpohl, der Wissenschaftler, den Sie für Kluge interviewt haben, ist Spezialist in Sachen Wasserwirtschaft und erläutert in dem Ausschnitt unter anderem, dass in Berlin ein bedenklich hoher Anteil des Abwassers nach einer unzureichenden Sandreinigung voller Fäkal- und Pharmazeutika-Rückstände wieder in die Trinkwasserversorgung gerät, weil die Spree generell übernutzt ist. Hat Ihre Begegnung mit Otterpohl zu lebenspraktischen Konsequenzen geführt?

Allerdings, bei meinem ganzen Team. Wir haben direkt im Anschluss an den Dreh nur noch Wasserflaschen gekauft. Die meisten Leute in meinem Umfeld wollen es aber leider nicht wahrhaben. Die haben Angst vor der Erkenntnis, wie schrecklich das Wasser ist, das sie da trinken. Ich habe mittlerweile einen Aktivkohlefilter gekauft. Da gibt es verschiedene Gebrauchskategorien, die unterste kostet 120 Euro. Den Filter befestigt man mit einem Schlauch am Wasserhahn, schraubt man einfach dran. Alle sechs Monate muss der Filter ausgetauscht werden, das kostet 30 Euro. Das ist das Einfachste, was man machen kann. Schmeckt dann auch alles gleich viel besser. Ich bin ja Teetrinker.

Hat Kluge Sie gebeten, etwas Bestimmtes beizusteuern?

Das Projekt besteht aus vier DVDs, die insgesamt sechs Stunden umfassen. Auf der vierten DVD geht es um «Menschen des Vertrauens», also um Leute, die ein Gegenbild darstellen zu denjenigen, die die Finanzkrise zu verantworten haben. Unter diese Kategorie fällt für mich Ralf Otterpohl, den ich über Harald Welzer kennen gelernt habe. Ich dachte Otterpohl verkörpert Parameter, die Kluge gefallen müssten, Sachen wie Sorgfalt und Expertise. Er überzeugte mich sozusagen auch filmisch, er sieht ja ein bisschen aus wie Daniel Düsentrieb, hat so ein Kinogesicht und kann gut erzählen.

Zum Kluge-Programm gehört auch, sich als Laie voller Enthusiasmus in neue Wissensgebiete einzuarbeiten, die Sprache der Experten nach- und mitsprechen zu lernen.

Es war allgemein ein besonderes und nachhaltiges Erlebnis für mich, jemandem wie Otterpohl zu begegnen, der sich mit Dingen beschäftigt, die das Leben wirklich ausmachen. Wie zum Beispiel Spültoiletten. (lacht) Die Spültoilette ist ja eine bemerkenswerte Errungenschaft, das Ergebnis einer Entwicklung. Das muss man in weitere Kontexte stellen. Städtebauer im Nahen und Mittleren Osten, wo es kaum Wasser gibt, setzen beispielsweise auch nur noch auf Spültoiletten, als Beweis des Fortschritts, obwohl es weder vernünftig noch realisierbar ist. Eigentlich müssten die dort die Errungenschaft der Spültoilette überspringen, so wie man in Afrika keine Telefonleitungen verlegt, sondern allen gleich ein Handy verkauft. So müsste das auch mit der Spültoilette sein. Oder denken Sie an die unglaubliche Wasserverschwendung bei uns. Ständig, überall. Zum Beispiel die Spülsysteme in Herrentoiletten, bei denen das Wasser die ganze Zeit läuft. Das ist Steinzeit. Hinzu kommen geopolitische Aspekte und alles, was mit der politischen Ökonomie des Wassers zu tun hat, die Börsenspekulation mit dem «Blauen Gold», Geschäftsstrategien von Großkonzernen, die die Entwicklung von Wasserverhältnissen in Ländern wie Bangladesch blockieren, um ihr eigenes Wasser überteuert verkaufen zu können usf. Hängt ja alles irgendwie miteinander zusammen.

Klingt nach Material für einen eigenen Langfilm.

Absolut. Im März nächsten Jahres gibt es einen Wasser-Tag bei Vox, das könnte ein Anlass sein, eine Langversion zu schneiden. Aber erst mal vertraue ich Kluge, dass er die richtigen zwanzig Minuten aus dem Material, das ich ihm geschickt habe, ausgewählt hat. Er schneidet nämlich alles selbst. Dann sehen wir weiter.

Ist das generell eine plausible Strategie zur Beschaffung von Produktionsmitteln: Kleinere, vorformatierte Projekte anzunehmen, dabei aber einen geplanten Überschuss an Material zu generieren? Wie war das bei «Ramses», Ihrem Beitrag über den iranischstämmigen Animierbarbesitzer für Deutschland 09?

Da habe ich mir von Anfang vertraglich zusichern lassen, dass ich die Dreharbeiten als Basis für einen Langfilm nutzen kann. Ich bediene die 13 Minuten des Formats, drehe aber soviel wie möglich und nehme die Materialrechte mit. Schon bei den Vorarbeiten habe ich festgestellt, dass das immer umfangreicher wurde. Spätestens als er mit der Stasi-Mappe ankam …

… «Ramses» ist ja nicht sein bürgerlicher Name.

Nein, so hat ihn die Stasi in ihren Überwachungsprotokollen genannt. Grund der Beobachtung war seine Liaison mit einer Frau aus Ostberlin, die irrtümlicherweise im Verdacht stand, Republikflüchtling zu werden. Als die Stasi-Leute dann während der Observierung den Iraner sahen, dachten die: soso, dass ist also der, der die Flucht organisiert.

In Deutschland 09 ist von dieser Episode nicht die Rede.

Da konzentriere ich mich ganz auf seinen gegenwärtigen Alltag, seinen Arbeitsplatz, seine heutige Realität. Die DDR-Geschichte wird da nicht aufgegriffen, genauso wenig wie seine Zeit in einem Teheraner Militärgefängnis oder die ersten Begegnungen mit den Deutschen in den 60er Jahren. Beim Drehen habe ich festgestellt, dass es ihm wahnsinnig schwer fällt, darüber zu reden. Nicht aus Betroffenheit, sondern weil ihm das Vokabular fehlt. Sein aktuelles Arbeitsumfeld konnte er sehr viel besser artikulieren, bis in alle Einzelheiten. Außerdem kann man ja nicht die ganze Geschichte in 13 Minuten erzählen. Ich kann es jedenfalls nicht. Andererseits: In Upsieht man, dass man eine ganze Ehe in 10 Minuten erzählen kann, das ist dort eigentlich sehr schön, aber es ist kein Dokumentarfilm.

Wie ist Ihr Protagonist denn damit umgegangen, dass er plötzlich eine über den Ku’damm hinausgehende Prominenz erlangt hat?

Ich zeige Ihnen mal ein Foto, das ich erst gestern gemacht habe [das Filmplakat steht im Schaufenster der Animierbar]. Ist das nicht die beste Plakatierung, die sich ein Verleih wünschen kann? (lacht)

Kommt vermutlich auf den Verleih an. Hat die Maßnahme das Tagesgeschäft von «Ramses» angekurbelt?

Er verflucht mich und den Film jeden Tag, wir sind ja Nachbarn. Er ist der Meinung, dass der Film ihn in den Ruin treibt, weil Hausverwaltung, Finanz- und Ordnungsamt sich nach der Berichterstattung bei ihm gemeldet haben. Die wussten offenbar nicht so im Detail, was in einer Champagnerbar alles an Dienstleistungen angeboten wird.

Werden Sie in nächster Zeit an dem «Ramses»-Projekt weiterarbeiten? Vom Kurzfilm her gesehen scheint das ja äußerst vielversprechend. Überhaupt ist kein Film von Ihnen vergleichbar einhellig positiv aufgenommen worden.

Stimmt, kann ich mich auch nicht daran erinnern. Aber im Moment habe ich keine konkreten Pläne, daraus eine Langversion zu machen, weil es einfach ein halbes Jahr in Anspruch nehmen würde, allein das gedrehte Material auszuwerten. Es war alles schon sehr kompliziert, vor allem seine Narration, seine Erzählsprache. «Ramses» ist auch kein einfacher Typ, im Vergleich zu Otterpohl etwa. Aber das Material habe ich, das ist ja nicht weg.

Wie ist denn der aktuelle Stand bei Ihrem historischen Spielfilm-Projekt über das Hamburger Polizeibataillons 101, eine Einheit, die 1943 in Lublin wesentlich an der «Aktion Reinhard» beteiligt war (Arbeitstitel «Ich habe mich, und das war mir möglich, bemüht, nur Kinder zu erschießen»)? Gibt es Finanzierungsprobleme?

Kann man so nicht sagen. Das Projekt hat ja von der FFA-Drehbuchförderung bekommen. Die habe ich jetzt aber zurückgezahlt, weil ich nicht fertig geworden bin.

Das muss man dann zurückzahlen?

Erstmal wird einem der Abgabetermin verlängert, das haben die bei mir sehr wohlwollend und oft gemacht. Als mein Film über Ricardo Villalobos dann diesen Sommer nach Venedig eingeladen wurde, war mir klar, dass ich bis zum 30. September kein Drehbuch fertig kriege. Da hatte ich dann auch keine Lust mehr, das künstlich zu verlängern, was nicht bedeutet, dass ich das Projekt nicht mehr mache, aber ich muss jetzt keine Arbeitsberichte mehr für die FFA schreiben. Die Förderung ist jedenfalls nicht schuld, die haben sich sehr kulant verhalten. Bei mir kamen einfach zu viele Sachen dazwischen: Ramses, Villalobos und ein Hörspiel habe ich auch noch gemacht. Es ist also nicht so, dass ich mit einem fertigen Drehbuch überall abgelehnt worden wäre.

Haben Sie nach dem kontroversen «Before-the-making»-Film Land der Vernichtung weitere Recherchen durchgeführt?

Ich habe ziemlich viele Interviews mit den beteiligten Personen auf der Seite der Ermittlungsbehörden geführt, die sind zwar alle 80 plus, aber es ging gerade noch.

Sie meinen die Staatsanwälte und Richter, die Anfang der 60er Jahre die Prozesse gegen Mitglieder des Polizeibataillons geleitet haben?

Genau. Ein Teil der Interviews war enttäuschend, teilweise bin ich auch auf hartnäckige antisemitische Vorurteile gestoßen.

Das heißt, Sie haben nach wie vor die Idee, sich der Geschichte auf zwei zeitversetzten Ebenen anzunähren: Einmal über die Taten jener «ganz normalen Männer», wie es bei Christopher Browning heißt, die im Distrikt Lublin Massenerschießungen durchgeführt haben. Und zweitens mit Blick auf die strafrechtliche Auseinandersetzung in der BRD.

Das ist weiterhin mein Ansatz. Ich habe auch schon Zeichnungen angefertigt, von dem Büro der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft, von den Räumen, in denen die Vernehmungen durchgeführt wurden. Das ist alles wahnsinnig umfangreich, weil sich der Prozess über mehr als eine Dekade erstreckt hat. Das Verfahren fing 1961 an und wurde 1974 eingestellt. Die beiden Polizisten, die verurteilt wurden, waren nur viereinhalb Jahre in Haft, sie sind 1978 wieder freigekommen.

Mit dem Projekt beschäftigen Sie sich nun schon seit vielen Jahren. Land der Vernichtung ist von 2003. Wie hat sich in Ihrer Wahrnehmung der geschichtspolitische Diskurs verändert?

Das Auffälligste für mich ist eine Lücke: Die Diskussion um Goldhagen, Browning und die so genannte Wehrmachtausstellung war Anfang bis Mitte der 90er Jahre. Eine filmische Übertragung dazu hat bis heute nicht stattgefunden. Es gibt keinen Film, der Verbrechen von Wehrmachtsangehörigen darstellt. In Anbetracht der Dimension der öffentlichen Debatte Mitte der 90er Jahre ist das eigentlich erstaunlich. Wir haben mittlerweile Filme über Dresden, die Gustloff etc. Praktisch alle Sujets, bei denen die Deutschen sich aus der Opferperspektive inszenieren können, wurden realisiert. Was soll man dazu sagen?

Das Gespräch führte Simon Rothöhler