produktionskultur

Barbara

Von Christian Petzold

Ich schreibe und bereite vor in den ungeraden Jahren. Gedreht wird in den geraden Jahren. Aysun, meine Frau, macht das umgekehrt. Das ist ein Abkommen. Es funktioniert.

Dominik Graf, Christoph Hochhäusler und ich hatten anlässlich des 40-jährigen Bestehens der DFFB einen Briefwechsel über die Berliner Schule. Wir lernten uns kennen. Ein Projekt ist daraus entstanden. Am Anfang stand eine falsche Erinnerung. Ein Text von Schiller: Verbrecher aus verlorener Ehre. Ein Mann kommt unschuldig hinter Gitter. Er flieht, und auf dieser Flucht begeht er all die Verbrechen, auf Grund derer er verurteilt worden war. Zum Schluss ist alles wieder im Lot, alles ausgeglichen, eine Ökologie. Aber, wie gesagt, diese Erinnerung war falsch, der Text von Schiller ist ganz anders. Vielleicht stehen ja zu Beginn einer Arbeit immer falsche Erinnerungen. Vielleicht muss es so sein. Wir bereiten drei Filme vor, die an einem Ort und in einem Zeitraum spielen, im Thüringer Land. Ein Sexualstraftäter ist entkommen. Es gibt die Arbeit der Polizei. Die Arbeit des Flüchtenden. Die Arbeit eines Zivildienstleistenden, der sich an dem Verbrechen infiziert. Die Geschichten treffen sich, überlagern sich und sind doch für sich. Im ersten gemeinsamen Exposé ging es um die ungeraden Sommer. Das sind die, in denen es keine Fußballweltmeisterschaften gibt, keine Olympischen Spiele. In denen die Sommerlöcher tief und schwarz sind und tiefe und schwarze Geschichten nach oben gespült werden.

Daneben bereite ich einen anderen Spielfilm vor, der in der DDR spielt, Anfang der 80er Jahre. Meine Eltern sind Flüchtlinge und obwohl sie jeden Tag im Westen als Tag in der Freiheit bezeichneten, fuhren wir jedes Jahr in die DDR, in ihre Heimatorte. Gerade und ungerade Sommer. Mitte der 70er Jahre hatte mein Vater Zweifel, ob es richtig war, ob die DDR nicht doch lebenswerter war. Es war Ölkrise, Langzeitarbeitslosigkeit bestimmte unser Leben im Westen. In dem Ort unseres Sommerurlaubs sahen wir eine Gruppe Arbeiter aus einem Zellstoffwerk, die in ihrer Freizeit einen Fußballplatz bauten, mit Duschen und Umkleidekabinen. Zur Eröffnung des sehr schönen Rasenplatzes am Fluss neben dem Naturfreibad spielte Wismut Aue.

Jahre später las ich den Roman Rummelplatz von Werner Bräunig. Der Uranabbau in der Wismut. Auch hier gibt es einen Fußballplatz, der von den Arbeitern gebaut wird. Reproduktion und Produktion. Arbeiter und Bauern versuchen, einen Staat zu bauen. Im ganzen Roman ist Verzweiflung. Und das, was man der Verzweiflung abringt. Der Roman ist nicht zu Ende geschrieben. Bräunig geht unter. Dann wird die Mauer gebaut.

Die Zweifel meines Vaters verschwanden dann. Anfang der 80er sagte er, dass alles in der DDR zu Ende geht. Im Westen hatte er wieder einen Job.

Um eine Frau, eine Ärztin, die einen Ausreiseantrag gestellt hat und zur Strafe in ein Provinzkrankenhaus versetzt wird, geht es in dem Film. Sie arbeitet in diesem Krankenhaus, wartet nur darauf, dass ihr westdeutscher Geliebter ihre Flucht organisiert. Transitwochen, Übergangswochen. Sie ist eigentlich schon nicht mehr da. Eine Liebesgeschichte, die sie abzuwehren versucht, stört den Übergang, irritiert das Transitleben.

«Barbara» wird die Geschichte heißen. Im Dezember wird sie fertig sein. Dann beginnt bald das gerade Jahr.