produktionskultur

Im Angesicht des Verbrechens

Von Dominik Graf

Magma in Lava verwandeln, das ist es, was manchmal passiert im Schneideraum (sorry für das pathetische Bild), gewissermaßen das glühende Leben vom Drehen in eine erkaltete 490 Minuten lange Schnitt-Form gießen, die halbwegs stimmt; in der die Amplituden von Vitalität, Zärtlichkeit, Kitsch, aber auch von Wildheit mit den süßen Giften Sex und Gewalt noch in jede Richtung weit genug ausschlagen … also eine Fassung erstellen, in der irgendwie all das, was Rolf Basedow da geschrieben hat, erhalten bleibt und in der Schwebe gehalten wird. Wer weiß nach 15 Monaten Schneideraum noch, ob’s geklappt hat? Räume erzählen, Orte, Topographie, Berlin, polizeiliche Abläufe, Action – aber auch Feiern, Suff, Gier, dieses ganze Fresko Basedows aus fröhlichem und auch korruptem Bullen-Spießertum, aus Familienkonflikten, ethnischen Zugehörigkeiten, aus Aktion und Erschöpfung, Rache, Trauer, aus schierer Kraft direkt neben kalter Berechnung, all die tollen Bilder, die das Drehbuch ausmachten … – Aber wer weiß jetzt noch, ob all das aus dem komplett übergelaufenen Bassin beim Drehen dann beim Schnitt auch ins geradezu Baum-förmige Delta der Erzählströme hinübergerettet werden konnte? Zweifel ohne Ende, Selbstzweifel natürlich vor allem anderen, Grund genug für Selbstzweifel gibt es immer, trotzdem bloß keine Pause, weitermachen. Es war schon beim Drehen eine Art Blindflug, 115 Tage lang, völlig unchronologisch durcheinander gedreht und mit harten Unterbrechungen und Auseinandersetzungen (aber dafür wie ein Geschenk fast jeden zweiten Tag als Wegmarkierung eine dieser typischen Basedow-Szenen, dieser Szenen, derentwegen ich allein schon das Ganze inszeniert hätte.) Und jetzt immer die Angst im Nacken, womöglich nochmal auf den letzten Metern verheerende dramaturgische Schnitt-Fehler zu machen beim zehnten mal 48 ½ Minuten-Serien – «Konfektionieren»; jetzt könnte ich womöglich nochmal falsche Töne beim Sprachsynchron oder beim Mix überhören. Die Musik war Gottseidank schon während des Drehens oder sogar zuvor großteils fertig, wir arbeiten immer so im Voraus, die Komponisten Florian und Sven (F. van Volxem und S. Rossenbach) und ich. Die kleine Angst im Nacken kommt jetzt auch eigentlich ganz woanders her: dies war der größte Thriller für mich seit den Siegern, deren nachgerade geniales 1. Drehbuch (Günter Schütter) damals durch endlose Diskussionen und falsche Kalkulationen schließlich gekillt wurde. Das bloß nicht nochmal passieren lassen, hatte ich mir vorgenommen. Es macht ja nichts, wenn man einen Flop landet mit einem Film, den man auch im Nachhinein liebt. Aber wenn der Film am Ende nur ein Torso dessen wurde, was möglich gewesen war (auch aus eigener Schuld! Falsche Kompromisse! Selten so dämlich inszeniert!) – dann ist es, egal ob Flop oder Hit, in jedem Fall bitter. Also das nicht nochmal. – Und beinahe wäre es trotzdem prompt wieder soweit gekommen. Wieder war alles grottenfalsch finanziell gerechnet, wie beinahe immer bei größeren Filmen; und dann, nachdem ich bereits eine Million Euro rausgekürzt hatte, als ein Großteil der Schauspieler fast für einen Bruchteil ihrer Gage drehten, dann sollte noch immer weiter gekürzt werden, inzwischen ganz ohne Sinn und Verstand. Und wieder harsche Aufforderungen, Szenen, die am wichtigsten sind, Szenen, durch die das Ganze seine Größe und seinen inneren Zusammenhang im Buch bekam, sollten raus, egal, nur kürzen. Befehle gebellt ins Handy mitten im Hochsommerdreh einer Action-Sequenz. Krieg der Worte und Drohungen über Monate hinweg. Aber diesmal nicht, hab ich mir gesagt, diesmal zerstörst du nicht sehenden Auges nochmal ein Drehbuch. (Ohne den Wolf Brücker vom WDR und Stephanie Heckner vom BR und ohne die ganze Redaktionsgemeinschaft an diesem Film hätte ich es gar nicht geschafft, wäre ich längst aus dem Projekt geflogen. Bitte, deutsche Journalisten, jetzt versteht doch mal, dass unser Fernsehen zwei Gesichter hat – einerseits die grauen Quoten-Apparatschiks, die Funktionäre, die diesem Fernsehen die echte erzählerische Substanz auf Teufel komm raus entziehen wollen – und andererseits sind doch da die anderen, all die Redakteure, die genau die Art von TV-Kino lieben und verteidigen, das man ja schon allein deshalb lieben und verteidigen muss, weil es diese Art Kino im Kino selbst nicht mehr gibt … ) Claudia Wolscht, die Cutterin, seit 15 Monaten neben mir – bzw. ich neben ihr am Avid – immer an dem Film dran, Tag für Tag (bis auf die Wochen im Frühjahr, in denen die Insolvenz den Schneideraum abgeschlossen hatte und niemand mehr wusste, wie und ob es überhaupt weitergeht). – Jetzt also Endspurt, mit den engsten Mitarbeitern, mit Claudia, Florian und Sven, Kathrin Bullemer (die verbliebene Producerin von Rest-Typhoon sozusagen, die, die nie aufgegeben hat), mit Wladimir Podklioutchnikov, dem Russisch-Sprachcoach, nochmal alle Untertitel durchgehen, nochmal beim (auch Russisch-) Synchron in Berlin und München – und dann nochmal 490 Minuten Endmix im Tonstudio. So. Vorfreude darauf. (Aber was bis Ende Januar alles noch so schief gehen kann … oh, je … )