dokumentarfilm

Kippfigur, Klarhaben Tour-Tagebuch und Kompendium im Umgang mit Rechtsextremismus: Zu Wildes Herz von Charly Hübner & Sebastian Schultz

Von Matthias Dell

© Charly Hübner & Sebastian Schultz

 

Am Anfang steht ein Körper im Studio und schwitzt. Dieser Körper ist ein Faszinosum: von Tattoos übersät, von Normproportionen weit entfernt, Brüste hängen, Taille wölbt sich. Der Körper hat etwas Monströses, und passend dazu liegt in dem Gesicht, das zu ihm gehört, etwas Kindliches. «Riesenbaby» wird später jemand über den Träger des Körpers sagen (auch wenn er damit eine gewisse Lernunwilligkeit meint, die Formen des Zusammenlebens in einer WG berührt). Man merkt dem Körper an, dass ihm die Blicke und Zuschreibungen von außen egal sind. Dass sein Charisma größer ist, dass es um Präsenz geht, die so ein Körper einfach herstellt. Wenn einen eh keiner übersehen kann, muss man Rampensau werden. Frontmann einer Band.

Wildes Herz heißt der Dokumentarfilm, der Jan «Monchi» Gorkow portraitiert, den gerade 30-jährigen Mann mit besagtem Körper. Den Sänger der Band Feine Sahne Fischfilet, zu deren besonderer Prominenz gehört, jahrelang im Verfassungsschutzbericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern aufgetaucht zu sein. Der Film ist Spin-off eines ARD-Dokumentarfilmprojekts von vor fünf Jahren: 16 × Deutschland hieß die Kompilation von lauter viertelstündigen Beiträgen über alle Bundesländer. Den für Mecklenburg-Vorpommern verantwortete der Schauspieler Charly Hübner, der grassierenden Neonazismus in der dünnbesiedelten Region schon damals nicht hinter der Schönheit der Landschaft verschwinden lassen wollte und als antifaschistischen Lokalpatrioten Monchi in die Kamera sprechen ließ.

Die Langversion, die Wildes Herz nun bietet, verfolgt mit dieser das Publikum einnehmenden Figur gleich mehrere erzählerische Strategien. Der Film ist eine ‹Coming of Age›-Geschichte in Zeiten der «Blühenden Landschaften», ein Kompendium im Umgang mit Rechtsextremismus, ein Tour-Tagebuch vor der Landtagswahl im September 2016. Ästhetisch mag Wildes Herz uneinheitlich wirken. Die dokumentarische Idee aber ist deutlich zu erkennen, die sich durch das heterogene Material zieht (darunter Familien-Footage und Nachrichtenbilder eines marodierenden Hansa Rostock-Mobs, in dem trotz aller schwarzer Verkleidung nach dem prominenten Körper zu suchen durchaus eine Versuchung ist) – sie hat mit einem zeitlos straighten Begriff von Engagement zu tun.

Die Vielschichtigkeit des Protagonisten von Wildes Herz zeigt sich daran, dass er – das wäre das Coming of Age-Kapitel – durchaus als Kippfigur vorstellbar ist. Als jemand mit unbändigen Energien, die früh in den exzessiven Hooliganismus von Hansa Rostock-Ultras flossen; als einem Zahnärztinnen-Sohn, der trotz behütetem Elternhaus die irrationale und unartikulierte Faszination von Gewalt erfahren hat. Ein Gewahrsam in Dortmund, bei dem Monchi der einzige minderjährige Hansa-Anhänger ist und deshalb von seinen Eltern abgeholt werden muss, und die Eskalation in Stendal, wo er ein Polizeiauto anzündet und mit einer Bewährungsstrafe davonkommt, markieren die ambivalenten Endpunkte dieses Wegs jugendlichen Aufruhrs. Einen Ausweg bietet die Musik, die wiederum rasch weitere Entscheidungen erzwingt. Der Punk, der textlich zu Beginn vor allem von «Ficken und Saufen» (Monchi) handelte, zieht auch Neonazis an. «Du musst dich positionieren, sonst wirst du vereinnahmt», lautet das nüchterne Fazit, das aus Feine Sahne Fischfilet eine dezidiert antifaschistische Band macht. Beeindruckend bei Monchi ist – das wäre das Kapitel Kompendium «Umgang mit Rechtsextremismus» – die seltene Gleichzeitigkeit von Theorie und Praxis, die sich der Bushaltestellenödnis einer Kleinstadt wie Jarmen verdankt. Hier gehört das Hören von Bands wie Landser zur Pubertät, stellt sich die Frage, wo man sich verortet, wegen zu großer Überschaubarkeit unausweichlich. Gerade ob solcher Momente erweist sich WildesHerz als kluger und pointierter Beitrag zu der naiv-depperten Feuilletonbegeisterung für den Ziegenkäse vermeintlicher rechter Intellektueller, als klare Antwort auf die in unterreflektierten Berliner Redaktionen für unglaublich interessant befundene Frage, ob man «mit Rechten reden» solle.

Es geht im Angesicht von Rassisten, Neonazis und Demokratiefeinden ums «sich Gerademachen», ums «Klarhaben». Das macht aus der Musik von Feine Sahne Fischfilet das Basale – eine Art gut gelaunte Sozialarbeit, die zuerst dazu da ist, den Leuten, die sich den Rechten im Land entgegenstellen, Unterstützung zuzusichern («Ihr seid die geilsten Ficker»). Und das schließt ein – das wäre das Kapitel Tour-Tagebuch –, selbst permanent Gesicht zu zeigen. Auf einer eigens organisierten «Noch nicht komplett im Arsch»-Tour zur Landtagswahl oder auch beim Nazi-Aufmarsch am 8. Mai in Demmin, bei dem der Freitod von Hunderten Bewohnern im Frühjahr 1945 aus Angst vor der Roten Armee für neonazistische Zwecke instrumentalisiert wird. Über diesen perfiden Twist, die Stadt und ihren Umgang damit, hat Martin Farkas, einer der beiden Kameraleute von Wildes Herz, mit ÜberLeben in Demmin im übrigen einen eigenen Dokumentarfilm gemacht, der nicht zuletzt wegen eines Kurzauftritts des protestierenden Monchi seinerseits wie ein logisches Spin-off von WildesHerz erscheint. 

 

Wildes Herz (Hübner/Schultz) D 2017 | Kinostart am 12. April 2018