comic

Das Tagebuch der Anne Frank Ari Folman & David Polonsky

Von Ekkehard Knörer

© S. Fischer

 

Die rotwangige Marika Rökk, auf einem Plakat für den ersten deutschen Farbfilm Frauen sind doch bessere Diplomaten, die in einer Sprechblase sagt: «Ich singe nicht für Judenschweine!» Das Plakat ist prominent links im Bild, während rechts Anne Frank mit ihrer Schwester Margot auf einen Fährkahn steigt, die Nutzung öffentlicher Transportmittel ist Juden in Amsterdam da schon verboten. Noch lebt die Familie nicht im Versteck, rasch rekapituliert wird mit Originaltext in Auszügen aus Anne Franks Tagebuch «Kitty», was bis dahin geschah. Wobei hier wie später souverän die Subjektive regiert: Auf der Seite links neben dem Rökk-Bild, das dem Star die Obszönität nonchalant in den Mund legt, findet sich eine ganzseitig kitschig hingetuschte Anne Frank-Fantasie: Sie als erwachsene Braut neben dem Jungen, in den sie verliebt ist. Später ein anderes Bild, das genauso groß liebevoll ausmalt, was nie möglich sein würde: Frank als erwachsene Star-Schriftstellerin, die man als mise-en-abime noch mal an der Wand hinter ihr auf den Titelseiten internationaler Zeitschriften und Zeitungen sieht. Allerdings ist sie auf den Titeln gerade nicht der Star, als den das große Bild sie in der geträumten Zukunfts-Realität porträtiert: Man sieht Szenen der gefährdeten, der missgelaunten Anne Frank und der anderen Juden im Hinterhaus-Versteck. Eintrag des Realen als Traum-Tagesrest.

Ari Folmans (Szenarist) und David Polonskys (Zeichner) Comic-Version von Das Tagebuch der Anne Frank ist eine Art Auftragsarbeit, der Anne Frank Fonds hatte die beiden, die schon bei der Graphic-Novel-Version von Folmans Waltz With Bashir kooperiert hatten, von sich aus adressiert. Eine leicht zu lösende Aufgabe war das nicht. Treue zum Ausgangstext ist angesichts des Status des Tagebuchs als Zentraltext der Holocaust-Literatur unabdingbar; die Freiheit zur Deutung, gar zur Hinzufügung von Fremdmaterial entsprechend gering. Zudem konkurriert der Comic mit der proliferierenden medialen Aneignung des Stoffs: Anne Frank als Film, als Musical, als Oper, all das gibt es, sogar ein Comic existierte bereits.

Folman und Polonsky machen mehr als das beste aus diesem Dilemma. Einerseits sind sie außerordentlich treu. Sie übernehmen viel Text aus dem Buch und verfahren dabei comicsprachlich im Grunde ganz klassisch. In der Regel steht der Text als schmaler Kasten im Panel, das das Gesagte dann illustriert. Zentrale Passagen jedoch füllen immer wieder ganze Seiten, in grafischer Einbettung, die sich klug zurückhält. Etwa eine Doppelseite mit einem langen Eintrag aus dem Juli 1944, der auf die Verdunklungsmatten zweier Fenster « projiziert » wird. Dazwischen Anne Frank, die durch einen schmalen Lichtspalt nach draußen blickt.

Nicht wortwörtlich treu, aber teils dem Wortlaut, immer dem Geist des Textes eng verbunden, sind die Dialoge der Figuren. Unglaublich einfallsreich jedoch sind vor allem die  Illustrationen› zum Text, für die Polonsky alle Freiheitsspielräume des Mediums nutzt. Er schlägt dabei auf den ersten Blick nie über die Stränge, sucht für das Horrible des Geschehens so wenig wie Anne Frank in den Mitteln des Mediums selbst eine Darstellungsäquivalenz: Alles ist in der Regel sauber in Panels verteilt, puppenstubenhaft fast etwa im wandfreien Aufriss des Versteck-Hinterhauses, und noch, wo der Rahmen verschwindet, ist er nicht gesprengt, sondern scheint nur entfernt, damit sich engere Beiordnungen herstellen können. Zum ordentlichen Eindruck des Ganzen passt auch der farbflächenstarke, manchmal ins Kinderbuchhafte tendierende ligne-claire-Zeichenstil.

Innerhalb des selbst gesetzten Rahmens aber stehen Folman und Polonsky die unterschiedlichsten Register von Ironie, Sarkasmus, Groteske, Zärtlichkeit zu Gebote. Und vor allem von Bildwitz im präzisen Sinn des Begriffs. Anne Frank als Schrei-Figur in Munchs Bild, von den Vorwürfen der Familie und Mitbewohner attackiert. Anne Frank als Klimt-Figur, idealisiertes Porträt ihrer selbst. Oder wörtliche Imaginationen werden beim Bild genommen: Auf der Straße erblickt sie aus dem Versteck heraus zwei jüdischen Nachbarn, sie werden im nächsten Panel unter die sieben Weltwunder sortiert. Oder Anne und Peter, in den sie sich verliebt hat, als Vögel im Käfig. Hier wie durchweg werden die Grenzen der Konvention nicht überschritten. Immer wieder toll sind aber die Leichtigkeit und die Souveränität, mit denen sich Folman und Polonsky in diesen Grenzen bewegen.

 

Ari Folman, David Polonsky: Das Tagebuch der Anne Frank (S. Fischer 2017)