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Royaume

Von Peter Praschl

In seinem Buch Das Reich Gottes, das vom frühen Christentum handelt, schildert Emmanuel Carrère auch, wie er sich in einem Hotelzimmer auf seinem Laptop immer wieder ein Video ansieht, in dem eine Frau masturbiert. Als ich es las, nachts auf dem Sofa im Wohnzimmer, während Okka im Bett mit dem Baby schlief, griff ich mir mein Handy und gab bei Google une brune qui se fait plaisir et qui a deux orgasmes ein, und tatsächlich sah ich keine halbe Minute später einer Frau zu, die so aussah, wie Carrère sie im Reich Gottes beschreibt, «sie ist Anfang dreißig, hat braune Haare und ein intelligentes Gesicht. Sie sieht verträumt aus, als ginge sie ihren Gedanken nach.» Und obwohl einige Details nicht mit seiner Schilderung übereinstimmten – das Video, zu dem ich von Google geführt worden war, hieß Brune se donne du plaisir et a 2 orgasmes, die Frau begann nicht erst nach einer Minute, ihre Brüste zu berühren, das Laken, auf dem sie lag, war off-white statt grau – , sprach vieles dafür, dass es sich um den Porno handelte, den Carrère, wie es im Text heißt, « so erregend» fand, «dass ich auf meinem Computer ein Lesezeichen» anlegte: wie sie sich aufrichtet, «um sich das Bustier auszuziehen, einen Moment zögert, dann ihre Jeans aufknöpft und eine Hand in ihr Höschen schiebt», ihre «mittelstark braun behaarte Muschi», ihre «halb geschlossenen Augen und das Schmatzen der Finger zwischen den Lippen». Es musste dieselbe Frau sein, und während ich ihr zusah, war ich, was mich jetzt beim Aufschreiben amüsiert, erleichtert, als ob ich ein Problem bekommen hätte, falls Carrère, dessen Bücher ich so sehr mag, dass ich sie mir eher reinziehe als sie zu lesen, einen Porno gerühmt hätte, der mir unangenehm gewesen wäre – so, wie einem Schriftsteller unangenehm werden können, sobald sich herausstellt, dass sie die falsche Musik hören oder ein Lieblingsgericht haben, das man selbst grauenhaft findet.

Der Porno, den Carrère in Royaume beschreibt, war mir ganz und gar nicht unangenehm, es war total in Ordnung für mich, dass ich nun wusste, zu welcher Frau er masturbiert hatte, aber es gelang mir nicht, sie auch nur annähernd so zu mögen, wie er sie gemocht hatte, was im Falle eines Pornos nichts anderes heißt, als zumindest zu einer Semi-Erektion erregt zu werden, mit der man dann weiterarbeiten konnte. Es ging einfach nicht. Dabei gab es an Carrères Video nichts, was mich störte: Ich mochte den Körper der Frau, ich mochte ihr Gesicht, ich mochte, wie sie sich zuerst ihre Jeans, dann ihren Slip auszog, ich mochte ihren Slip, der einfach nur eine schwarze Unterhose war, ich mochte das Bett und das Zimmer, in dem sie lag, ich mochte, wie er, ihre Pussy. Es gab also keinen einzigen Grund, von diesem Video nicht erregt zu werden, aber es ließ mich ungerührt, und ich habe, seitdem ich es gefunden hatte, immer mal wieder versucht, mich von ihm aus der Ruhe bringen zu lassen, zuerst aus Selbstvergewisserungsbedürfnis (vielleicht war mir beim ersten Mal einfach nicht danach), dann aus Irritation (kann es sein, dass mich das nicht interessiert, obwohl so vieles daran stimmt?), dann aus Bockigkeit (es kann doch einfach nicht sein, dass mich das nicht anspricht …). Schließlich verstand ich: Noch schlimmer als die Pornos, die einen erregen, obwohl der eigene Verstand sie nicht leiden kann, sind jene, die einen nicht erregen können, obwohl der Verstand sie mag. Seitdem kenne ich eine neue Angst, davor, von einer Frau, die ich gerne ansehe und mit der ich, wie Carrère, sofort leben könnte, völlig kalt gelassen zu bleiben, während sie einen Moment zögert, dann ihre Jeans aufknöpft und mich bei ihrer immer stärker werdenden Erregung zusehen lässt.