fotografie

Days of Blood, Days of Fire Über den iranischen Fotokünstlern Bahman Jalali

Von Lukas Foerster

Kernstück von Jalalis Werk ist eine Foto­serie aus den Jahren 1978-79, die die iranische Revolution aus der Perspektive der Beteiligten im Bild festhält. Jalali und seine Frau Rana Javadi fotografierten Demonstranten, Straßenschlachten, Khomeini-Plakate und schließlich Khomeini selbst, wie er sich seinen Anhängern präsentierte. Sieht man diese Bilder heute, kann man ein wenig nachvollziehen, wie die iranische Revolution einst nicht nur im Land selbst, sondern auch in Teilen der europäischen Linken als Verkörperung einer sozialen Utopie erscheinen konnte – allerdings ohne dass dadurch die schwerwiegenden Fehleinschätzungen beispielsweise eines Michel Foucault entschuldigt würden, der im Oktober 1978 schrieb: «Eines muss klar sein: Unter einem ‹islamischen Staat› versteht niemand im Iran ein politisches Regime, in dem der Klerus die Leitung übernähme oder den Rahmen setzte.» Ein gutes Jahr später nahm der Wächterrat seine Arbeit auf.

Die Massendemonstrationen vereinigten für einen historischen Moment politisch radikale Studenten, die bürgerliche Mittelklasse und die religiöse Landbevölkerung in einem genuin antiimperialistischen Kampf. Die Khomeini-Plakate wurden nicht nur von Burka-Trägerinnen, sondern auch von adrett gekleideten Mädchen aus gutem Hause und von Che-Guevara-Wiedergängern getragen.

Bei genauerer Betrachtung sind schon diesen Bildern Spannungen eingeschrieben, die etwas damit zu tun haben könnten, warum nach dem Fall des Shah-Regimes die Koalition der Revolutionäre zerbrach. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen frequentieren zwar die selben Demonstrationen, im gleichen Bildkader aber finden sie nur selten Platz. Und die wenigen Fotografien, auf denen dies doch der Fall ist, sehen zwar nicht aus wie gestellt, wirken jedoch wie Montagen. Die Fotografien halten Auseinanderstrebendes fest und präparieren eine Hoffnung, von der wenig übrig geblieben ist. Die dritte Auflage des Buches Days of Blood, Days of Fire, in dem die Fotografien publiziert wurden, wurde im Iran bereits 1979 verboten.

Gerade in ihrer Ambivalenz sind das beeindruckende und wichtige Bilder. Umso ärgerlicher ist deshalb das eine große Problem der Ausstellung in Graz: Die Fotoserie zur Revolution wurde nicht als Fotoserie ausgestellt, sondern projiziert, als Diaschau in einer Black Box. Dadurch verloren die Bilder ihre eigene Zeitlichkeit und Materialität; stattdessen wurden sie in ein kontingentes Narrativ eingebettet und affektökonomisch aufgeladen.

Parallel zu seinen eigenen Arbeiten beschäftigte sich Jalali, der nach der Revolution begann, an iranischen Universitäten zu unterrichten, mit der Geschichte seiner Kunstform. In Graz waren neben Jalalis eigenen Arbeiten auch Ausschnitte aus seiner Sammlung historischer Fotografien enthalten. Bis in die Zeit der Qajar-Dynastie des 19. Jahrhunderts reichen die Exponate zurück. Hochgradig stilisiert sind diese Bilder, sie verwenden jede Menge Weichzeichner und immer wieder das selbe orientalistisch-artifizielle Hintergrundbild, das über mehrere Jahrzehnte dem Atelier einer Fotografenfamilie treue Dienste geleistet zu haben scheint. Neben zahlreichen Porträts bürgerlicher Familien stößt man auch auf Skurrilitäten. Zwei todernst dreinblickende junge Männer in Pluderhosen stellen vor der Kamera einen Gangsterfilm nach: Der eine hebt die Hände in die Luft, während ihm der andere eine Spielzeugpistole in die Rippen drückt.

In einem Interview mit Catherine David berichtet Jalali vom seit jeher prekären Status des fotografischen Bildes im Iran. Nicht erst seit der Revolution steht die Technologie mit ihrer Fähigkeit, Vergangenes zu konservieren, unter Generalverdacht: «The problem in Iran is that every time a new regime is established after any political change or revolution (…) it has always tried to destroy any evidence of previous rulers.» Die Zensur ist keine Erfindung von 1979: Beispielsweise durften während der Pahlavi-Epoche (1925-1979) keine fotografischen Zeugnisse der vorangegangenen Qajar-Epoche ausgestellt werden.

Die Archivfunde erweitern nicht nur den Blick über das Werk des Künstlers Jalali hinaus auf die gesamte visuelle Kultur des Iran, sie fügen sich auch zu einem historischen Bogen fotografischer Ästhetiken. Die naiv anmutende Künstlichkeit der frühen Porträtfotos weicht zunächst den klassisch dokumentarischen Bildern der ethnografisch und architekturhistorischen Zyklen Jalalis aus den 70er Jahren: Fischer bei der Arbeit, Wüstenarchitektur, verfallene Städte. Die große Serie zur Revolution (wie auch eine zweite zum Iran-Irak-Krieg) ist dann im besten Sinne journalistische Unmittelbarkeit, Jalali richtet seine Kamera nicht mehr von außen auf ein gedachtes Ganzes, sondern von Innen auf dessen Fragmente.

In einer überraschenden Bewegung findet Jalalis Werk schließlich zu den Ursprüngen der iranischen Fotografie zurück und gleichzeitig eine Form, die auf dem internationalen Kunstmarkt anschlussfähig ist. Die Serie Image of Imagination (2003-2006) montiert Archivfunde aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert zu neuen, synthetischen Bildwelten, in denen sich Zeitschichten übereinander legen und Geschichte als Ganzes virtuell wird. In phantasmatischen Collagen (besonders angetan zu haben scheinen es Jalali einige sepiagefärbte Bilder junger Männer mit nackten Oberkörpern) kommt die iranische Fotokunst mit den Imaginationsbildern wieder bei einer artifiziellen Form an, die denkbar weit entfernt ist von der emphatischen Zeugenschaft der Revolutionsserie.