serien 2012

E Pluribus Anus Gemeinschaft aus reiner Kontingenz: Zu Dan Harmons Community

Von Nikolaus Perneczky

© NBC

 

«This is kinda like ‹Breakfast Club›, huh? I’m sure we’ve each got an issue balled up inside of us that would make us cry if we talked about it», benennt Abed in der ersten Folge von Community das zentrale Movens der von Sony für NBC produzierten Comedyserie. Abed ist Arab American mit einer haltlosen Liebe zu amerikanischer Populärkultur und Anwandlungen von klinischem Autismus, weiß also, wovon er redet. Er ist einer von sieben Angeschlagenen, die Showrunner Dan Harmon in den mittlerweile drei Staffeln von Community mit- und gegeneinander antreten hat lassen. Folge für Folge, und in immergleicher Sitzordnung, versammeln sich Abed, Troy, Annie, Shirley, Pierce, Britta und Jeff zu einem Arbeitskreis, um gemeinsam für den anspruchslosesten Kurs des aktuellen (jeweils mit einer Staffel deckungsgleichen) Semesters am ziemlich heruntergekommenen Greendale Community College zu pauken. Ob Spanisch, Anthropologie oder Biologie, es zählt vor allem eines: easy credits und die ein ums andere Mal erworbene Einsicht, dass wir nicht für die Schule lernen, sondern fürs beschädigte Leben.

Über die Sitcom-typische Stasis, das Sich-gleich-Bleiben einer Handvoll bildlicher und erzählerischer Parameter, wächst die Single-Camera-Serie Community rasch hinaus. Aber nicht aus dünkelhaften Quality-TV-Allüren, sondern aus Notwendigkeit: Die titelgebende Gemeinschaft, leicht misszuverstehen als Allegorie des amerikanischen melting pot, hat eigentlich keine soziale Kohäsion mehr, ist Gemeinschaft aus reiner Kontingenz. Nicht die eine Nation aus den vielen, sondern, folgt man dem Fehldruck auf dem Schulwappen: «E Pluribus Anus». Auch das Schulmaskottchen spricht Bände, es ist eine eigenschafts-, ja sogar gesichtslose Wesenheit mit dem selten unverbindlichen Namen «Human Being». In formaler Approximation dieser unförmigen Gemeinschaft hat Harmon keine in sich ruhende generative Matrix geschaffen, die gleich einer selbsttätigen Maschine nur noch mit Rohstoffen versorgt werden muss, um einen beständigen Output hervorzubringen (das Prinzip der klassischen Sitcom), sondern ein instabiles, an allen Enden offenes Gebilde, dem es wie kaum einer anderen Comedyserie, zumal aus den Konsensschmieden der großen amerikanischen Broadcaster, gegeben ist, uns zu überraschen und zu überrumpeln – das aus demselben Grund aber schon auch einmal hinter den Erwartungen zurückbleiben kann.

Trotzdem bleibt die klassische Sitcom – und das inzwischen geschichtliche Amerika, dem sie sich verdankt – fester Bezugspunkt. Aus der sanften, fast zärtlichen Meta-Satire, in der die überkommenen Tropen des Genres aufgehoben werden, spricht die Sehnsucht nach einem Verlorenen, das man nicht verworfen, sondern widerwillig aufgegeben hat. Sinnfällig wird diese zu gleichen Teilen fernseh- wie sozialhistorische Nachzeitigkeit von Community im Bild des Tisches, an dem die sieben Hauptfiguren Platz nehmen, in jeder Folge und in der exakt gleichen Anordnung. Der eigengesetzlichen Abdrift vom klassischen Ideal hält Community überdeutliche Objektivierungen desselben entgegen: Was als organische Eigenschaft nicht mehr verfügbar ist, kehrt als vergegenständlichtes Relikt wieder: der Tisch als Fetisch.

Im weiteren Verlauf wird es die Serie mit dem seriellen Prinzip nicht allzu genau nehmen – werden Erzählstränge abgebogen, Existenzen vergeigt und Leben ausgehaucht werden. Jeffs Verlangen nach Britta wird, einmal als serialisierbarer Verfolg (wie Ross’ langlebige Liebe zu Rachel in Friends) etabliert, am Ende der ersten Staffel in Nichts aufgelöst. Nicht nur kennt Community existenzielles Scheitern, sondern dieses gehört mit solcher Selbstverständlichkeit zum Leben der Figuren, dass es kaum mehr als Scheitern Kontur gewinnt. Man verliert jeden Tag, gibt jeden Tag etwas von dem auf, was man als richtige Welt der falschen entgegensetzen wollte, und behält allenfalls das Pathos des Verlierers zurück.

Im Pathos, das Community gelegentlich überkommt, und übrigens auch in wiederkehrenden Momenten emotionaler Klebrigkeit, zeigt sich eine auffällige Affinität zu Serien wie Scrubs (NBC) oder Cougar Town (ABC). Ihnen allen gemein ist neben der momentweisen Überzuckerung aber auch ein dunkler Kern, von dem der Witz ausstrahlt. Doch während die suburbanen Entfremdungserfahrungen in Cougar Town und das Leid, das der Spitalsbetrieb Betreuern und Betreuten in Scrubs antut, zwar aufgerufen, am Ende aber verlässlich zur Lektion in praktischer Moral umgearbeitet und so aufgefangen werden, sprengt das Dunkle, das die Welt von Community bedroht, die Begrenzung durch einzelne Folgen. Nicht die Erlösung geht hier in Serie, sondern ihr beharrliches Ausbleiben, sodass der über das kulturindustriell Sagbare hinausreichende Überschuss sich irgendwann nicht anders als in der Beschwörung einer dystopischen Parallelwelt entladen kann, in der Abed böse ist und Jeff nur einen Arm hat.

Obwohl die erste Folge als Hommage dem Gedächtnis John Hughes’ gewidmet ist, hat der Campus des Greendale Community College wenig mit der im Grunde sozialrealistischen Welt zu schaffen, in der die Filme des Meisters angesiedelt sind. Ganze Folgen nehmen generisch und formal Reißaus in Richtung Film noir, Western, Verschwörungsthriller, Knetfilm oder 8-Bit- Videospiel. Erzählerische Attitüde ist jedoch nicht die des souveränen Zitat-Arrangeurs, sondern jene des spätpubertären Nerds, der über das popkulturelle Inventar nicht mehr frei verfügt, sondern sich umgekehrt in seiner Identität von diesem verfügen lässt. Als engmaschig gestricktes Autoreferenzsystem kann Community sich auf seine Wirklichkeit gar nicht mehr anders beziehen als im Medium einer nischenförmig ausdifferenzierten knowingness. Wie sein Avatar Abed, der zwar Schwierigkeiten hat, ein falsches Lächeln von einem echten zu unterscheiden, dafür aber ganze Szenen aus Doctor Who im Wortlaut wiedergeben kann, errichtet auch Harmon aus Versatzstücken der Massenkultur einen idiosynkratischen und eigenlogischen Kosmos.

Popkulturelle Verfallenheit

Am Ende der dritten Staffel wird uns für einen ungeschützten Moment lang weis gemacht, der gesamte bisherige Plot entstamme einer kollektiven Psychose und Greendale College sei – wie die expressionistische Kaliko-Welt des Dr. Caligari– tatsächlich eine Irrenanstalt. In diesem Twist meldet sich eine Sorge, die Community ständig umtreibt und die in auteuristischer Perspektive als Harmons wichtigste inventio gelten darf: dass sich die Welt hinter ihren vielfältigen Vermittlungen nicht endgültig verflüchtigen möge. Ohne in Kulturpessimismus zu verfallen, entwickelt die Serie gleichzeitig über Momente der Krise dieser popkulturellen Verfallenheit eine Kritik daran und mithin an ihren eigenen Möglichkeitsbedingungen. Abeds Autismus handelt von nichts anderem.

Dan Harmon wurde nach dem Ende der dritten Staffel von Sony gefeuert und durch David Guarascio and Moses Port ersetzt. Kurze Zeit sah es so aus, als ob NBC die Serie vollständig absetzen würde, nach Harmons Abgang wurde sie zunächst vom prestigeträchtigen und mit entsprechenden Quotenerwartungen belasteten Comedy-Donnerstag (Parks and Recreation, 30 Rock, The Office; alle NBC) auf den Freitag verschoben, der im Branchenjargon den unheilschwangeren Beinamen Friday night death slot (eine Unterart des graveyard slot) trägt. Inzwischen hat es sich NBC anders überlegt: Die vierte Staffel soll nun doch am Donnerstag gesendet werden, momentan sind jedoch nur 13 Episoden vorgesehen. Insgesamt beliefe sich Community dann auf 88 Folgen, die neue Untergrenze (bis vor kurzem waren es noch 100), um für die begehrte syndication in Frage zu kommen. Die Praxis, quotenschwache Serien in der Nachbarschaft dieser profitablen Mindestzahl nicht abzusetzen, sondern noch um eine letzte, auf dem Quotenfriedhof geparkte Staffel zu verlängern, ist so geläufig, dass sich ein eigener Terminus dafür eingebürgert hat: Die Abarbeitung des ausstehenden Solls bezeichnet man als Abbrennen (burning off).

In einer Pressemitteilung zu Anomalisa, einem Projekt, das Dan Harmon und Koautor Charlie Kaufman bei völliger Umgehung der amerikanischen Unterhaltungsindustrie rein über crowd funding finanzieren wollen, heißt es: «Our goal is to produce this unique and beautiful film outside of the typical Hollywood studio system where we believe that you, the audience, would never be allowed to enjoy this brilliant work the way it was originally conceived.» Harmons Desillusionierung scheint dennoch nicht total, erst kürzlich unterzeichnete er einen Entwicklungsdeal für eine neue Multikamera-Sitcom bei der Broadcast-Konkurrenz CBS, wo allen Konjunkturen des filmisch durchformten Qualitätsfernsehens zum Trotz immer noch das klassische Format gepflegt wird (z. B. The Big Bang Theory). Man muss ausgesprochen glücklich darüber sein, dass Harmon der Massenkultur und dem Fernsehen als einer ihrer formidabelsten Diagnostiker erhalten bleibt. Wir freuen uns schon darauf, wenn es, einen anderen großen amerikanischen Wahlspruch variierend, demnächst heißt: «Give me your tired, your poor || Your huddled asses.»

 

Die ersten drei Staffeln von Community sind in den USA auf DVD erschienen; den Start der vierten hat NBC auf Februar 2013 verschoben