serien 2012

Capital Sombrero Zu Veep

Von Simon Rothöhler

© HBO

 

Joseph Robinette Biden war es, der den Serienzuschauer kürzlich daran erinnerte, was ein Vizepräsident den ganzen Tag lang so macht, wenn er nicht gerade wahlkampfbedingt damit beschäftigt ist, Ayn-Rand-Fans abzuwehren. Bürgerbegegnungen sind Bidens eigentliches Kerngeschäft, und deshalb stand in der Parks and Recreation-Episode «Leslie vs. April» (5.7) plötzlich Pawnees aufstrebendes Politiktalent im Weißen Haus und starrte ihr erklärtes Teilidol an («The perfect man would have the brains of George Clooney and the body of Joe Biden»). Bevor Biden dazu kam, die routiniert vorgetragenen Höflichkeiten mit seinem berüchtigten signature smile zu betonieren, hatte Knope schon einen nicht angebotenen Kabinettsposten abgelehnt («Mr. Vice President, I am deeply flattered, but there’s no way that I could take over Madam Secretary Clinton’s position») und dann angefangen, die entscheidende Sekunde zu lang Bidens Wange zu tätscheln (nicht auszudenken, wie man diesen selbstironischen Cameo rezipiert hätte, wäre Paul Ryan am 6. November als Nachfolger bestellt worden).

Nur den sprichwörtlichen präsidialen Herzschlag vom wichtigsten Amt der Welt entfernt, gestaltet sich die Alltagsrealität des Vizes zumeist recht glamourfrei, eine vom Exekutivhandeln weitgehend entkoppelte Repräsentationsübung. So auch im Fall von Selina Meyer, die ihren VPotus-Büromorgen stets mit der Frage eröffnet, ob der Präsident angerufen habe und dann zuverlässig das betretene Kopfschütteln ihrer Sekretärin zur Kenntnis nehmen muss. In Veep verbleibt der Commander in Chief konsequent im Comedy-Off, wie vor ihm schon Niles Frasiers Frau Maris oder die (immerhin vokal präsente) Mutter von Howard Wolowitz.

Armando Iannuci ist der Autor dieser HBO-Serie, die in mancher Hinsicht ein intelligent amerikanisiertes Remake seines BBC-Erfolgsformats The Thick of It darstellt (ein erster US-Versuch, der unmittelbarer an die Originalserie angelehnt war, scheiterte 2007, als ABC nach Ansicht der Pilotfolge das grüne Licht verweigerte). Iannucis Trademark-Fluchpoetik, ein akrobatisch hochgerüsteter Politprofizynismussprech, in dem eine auf Weisung von oben umgeschriebene Rede als «pencil-fucked» eingestuft wird und die Allgemeinregel gilt «A suck-up isn’t going to fix a fuck-up», trifft hier auf die First Lady der amerikanischen Sitcom-Geschichte: Julia Louis-Dreyfus.

Veep (eine zweite Staffel ist bereits in Auftrag gegeben) hat viele Qualitäten (als Parodie auf Washingtons Umgangsrituale, auf Lobbyisten und Karrieristen, aber auch als extrem pointendicht durchrhythmisiertes curse poem), beantwortet aber vor allem die Frage, wie der Seinfeld-Fluch gebannt werden kann, der nicht nur Dreyfus bislang an einer statusgemäßen Zweitlaufbahn hinderte (als Beleg gilt in erster Linie die während der ersten Staffel von NBC abgesetzte Serie Watching Ellie, 2002). Statt verzweifelt gegen die in jedem Serienzuschauergedächtnis minutiös abgespeicherte Legende anzuspielen, haben sich Iannuci und Dreyfus für eine offensive Elainisierung der Vizepräsidentin entschieden. Bis in die kleinsten Gesten, Manierismen hinein ist Selina Meyer Version und Fortschreibung jener Elaine Benes, die einst den Urban Sombrero in den J. Peterman-Katalog einführen wollte («See, it’s businessmen taking siestas»). Elaines permanente Überforderung in beruflicher Umgebung, die darauf maximal kreativ reagierenden Taktiken der Inkompetenzverschleierung, liegen bei Selina Meyer offenbar als Erinnerung vor, auf die situativ zurückgegriffen werden kann. Peinlichkeiten im semiöffentlichen Raum werden durch Thematisierung sozialer Grundregeln bearbeitet («How do I mingle with so few people? Did Simon mingle with Garfunkel?»), Phasen der Resignation lautstark nach außen gewendet («‹Not great, admittedly› Yeah, that should be the title of my fucking memoir.») Über allem steht der gruppendynamische Exzess, das hochneurotische Binnengespräch, der Versuch, Restsinn aus einem unverständlichen Politiktheater zu gewinnen, auf dessen Hauptrollen man qua institutionalisierter Dauerwartestellung ohnehin keinen Zugriff hat. Das Vizedasein fühlt sich in puncto Gestaltungsmacht wie eine vierjährige Siesta an, alles andere ist, als Missverständnis, Comedymaterial. So gesehen steht auch das hierarchische Arroganzschweigen des Präsidenten in Verbindung mit J. Petermans epischer Heart of Darkness-Umnachtung: «You’re an errand girl sent by grocery clerks to collect a bill.»

 

Veep liegt auch in den USA derzeit noch nicht auf DVD vor, wird aber seit Mitte November auf Sky Atlantic HD im deutschen PayTV ausgestrahlt (die englischsprachige Originalversion ist im Zweikanalton enthalten)