serien 2012

Loss and the City Glossy ist hier höchstens das Frosting der Cupcakes: Zu Girls

Von Carolin Weidner

© HBO

 

Als Hannah auf die Straße tritt, hätte sie der Welt nichts anderes mitzuteilen als: «Fuck you». Möglicherweise auch «What?!» oder ein schlichtes «Shit». Zu hören ist aber: nichts. Das bigotte «We will miss your spirit» ihres Ex-Chefs klingt noch nach – Reaktion auf den Vorschlag, das unbezahlte Verlagspraktikum zu einem vergüteten auszubauen. Der elterliche Geldhahn? Ebenfalls abgedreht, kein Tröpfchen ist mehr zu erwarten. Zwei Jahre nach Studienabschluss soll sich die junge Frau endlich selbst behaupten. Alles Ringen, Mutter und Vater im letzten Moment von ihrem Vorhaben abzubringen, vergebens. Der monetäre Fluss von Michigan ins Wahldomizil der Tochter ist versiegt. Ein Schock. Grau in grau, selbst der blassgelbe Rock, noch wenige Stunden zuvor in der Hoffnung eines Triumphs über die Strumpfhosen gestülpt, scheint schmutzig. Und gerade, als man sich bei dem Gedanken ertappt, schlimmer könne es nicht werden, schallt es Hannah vom Bildrand entgegen: «Hey girl, when I’m looking at you I just wanna say – hello New York!»

Die Stadt bildet das räumliche und seelische Koordinatensystem, ist die eigentliche Protagonistin der HBO-Serie Girls, deren zweite Staffel kommenden Januar ausgestrahlt werden soll. Und New York, das ist mehr als ein Setting, das es zu bespielen gilt. Glaubt man Lena Dunham, zugleich für Drehbuch und Darstellung jener Hannah verantwortlich, dann haben junge New Yorkerinnen derzeit nicht viel zu lachen. Wurde der Manhattan zunächst gegen ein isotonisches Lifestyle-Getränk eingetauscht, greift man jetzt vermehrt auf Filterkaffee und Leitungswasser zurück. Hin und wieder auch zum Pot-Opium-Tea. Die Absätze der berühmten Mary Janes sind bereits vor einigen Jahren abgebrochen. Seither wäre die Entwicklung: Trend schlägt Glamour und Besorgnis schlägt Trend. Spaßkapitalismus adieu. Wenn Hannah ihre Eltern im Great Lakes State besucht und kurzfristig in der großzügigen, zum Heulen günstigen Wohnung eines Bekannten aus High School-Tagen absteigt, ist die Frage durchaus berechtigt: «Why is everyone struggling in New York? We are all slaves to this place that doesn’t even really want us.»

Das New York von Girls ist nicht die Upper East Side. Über diesem New York liegt ein matter Film, die Bilder wirken wie durch den Farbfilter gezogen. Glossy ist höchstens das Frosting der Cupcakes. Wohnungen, Cafés und Clubs befinden sich in Brooklyn, konzentrieren sich auf die drei Viertel Greenpoint, Williamsburg und Bushwick. Girls spielt genau dort, wo man eine Serie über junge, gebildete US-Amerikanerinnen erwartet: in einer gentrifizierten, hippen, im Grunde jedoch prekären Gegend. Natürlich wären beispielsweise auch Portland und Los Angeles möglich gewesen, gäbe es nicht schon Portlandia und New Girl. Und tatsächlich ist der Schein, den New York vorauswirft, noch immer ungebrochen: «If you can make it here you can make it anywhere.» Trotz horrender Mieten, bescheidenem Arbeitsmarkt und sonstigen Unannehmlichkeiten – im Erdgeschoss bau-fälliger Häuser finden sich immerhin Läden wie die «Brooklyn Sandwich Society». Und Hannah gibt ihr Geld ohnehin lieber für einen passablen Kaffee aus als im Prada Flagship Store.

Die «Girls» liefern das Spiegelbild einer Generation, die es in die Großstadt treibt, ohne das sie wüssten, was sie dort eigentlich wollen. Sie werden von der Eigenbewegung der Stadt eher geschluckt, als dass sie sich diese zunutze machen könnten. Empfanden die vier Sex and the City-Charaktere New York noch als Stätte, die es zu erobern galt, derer man sich bemächtigen konnte, herrscht heute Ratlosigkeit. Um das zu illustrieren hat sich Künstlertochter Lena Dunham ein feines, weibliches Quartett ausgedacht. Jede ein mehr oder weniger sympathisches Abziehbild mit spezifischem Identifikationspotenzial: Hannah Horvath (Lena Dunham), angehende Schriftstellerin, die sich derzeit wenig erfolgreich an ihrem ersten Werk «Midnight Snack» versucht; Marnie Michaels (Allison Williams), eine vorgeblich toughe Frau, ambitioniert und diszipliniert, mit Anstellung in einer Galerie; Jessa Johansson (Jemima Kirke), erotische Weltenbummlerin aus Großbritannien; und Shoshonna Shapiro (Zosia Mamet), der unschuldige Sex and the City-Fan, dessen «biggest baggage» die noch nicht abgelegte Jungfräulichkeit ist. Vier Freundinnen, darunter Cousinen, Mitbewohnerinnen, streckenweise Konkurrentinnen. Das Durchschnittsalter liegt unter 26 und über 21 Jahren, sexuelle Vorlieben sind überwiegend heterosexuell, und das Etikett «weiße Mittelschicht» klebt so definitiv an ihnen, wie der Aufnäher «orientierungslos» einige Zentimeter darunter.

Der Cast, wenn auch erheblich jünger als die Anfang-dreißigjährigen Manolo-Blahnik-Trägerinnen, ist keine ungewollte Parallele zur Erfolgsserie Sex and the City. Ganz im Gegenteil wurde Girls sogar als Anschlussserie vermarktet. Und sicherlich dürfte sich der ein oder andere Zuschauer finden, der nach dem obligatorischen HBO-Rauschen eher auf Douglas J. Cuomos kokettes Klavierstück mitsamt Wet-T-Shirt-Sarah Jessica Parker hofft. Ein pawlowscher Reflex, den Girls nicht einmal ansatzweise ersetzen will – auf ein Intro wird selbstbewusst verzichtet. Dafür schiebt sich das Wort «Girls» in großen Lettern durch die Serie, mal schreiend pink, dann pastell, als grafische Kampfansage oder unsicheres Understatement in Taubenblau. Ein kluges dramaturgisches Mittel, um diverse Zustände eines unaufgeräumten Gefühlkolorits zu illustrieren. Denn in Girls werden Gefühle ins Zentrum gerückt, mutig und konsequent, ganz so, als würde der unsichtbare Untertitel lauten: «There is nothing to hide». Die Einsicht ins Scheitern und die Enttäuschung darüber werden in keine peinlichen Ecken verbannt. Was den Mädchen widerfährt, welche Fehlentscheidungen sie treffen – all das ist weder hübsch angerichtet noch poliert oder nachahmungswürdig. Aber es wirkt authentisch. Und nach dem Sex heißt es schon mal: «That was so good. I almost came.»

Hier liegt der größte Unterschied zu Sex and the City: Girls verweigert sich der Beschönigung. Während Sex and the City gerne so tat, als würde geheimes Wissen übers Weibliche enthüllt (dabei sah man nur BH-Sex oder Männer, die mit dem Geschmack ihres Samens bekannt gemacht werden), zieht Girls auf glaubhaftere Weise blank. Marnie beispielsweise leidet unter Bruxismus und wacht morgens mit einer Knirschschiene auf, die sie wenig später in die Handfläche ihres Freundes spuckt. Es ist eine der ersten Szenen in Girls. Der Morgen beginnt ohne Küsse, ohne Make-up, ohne aufreizende Nachthemdchen, sondern mit einem nassen Plastikgestell, hergestellt für Menschen, die nachts ihre Sorgen zermalmen. Ein paar Folgen darauf beobachtet man Marnie während einer Vernissage: Das pupurne Kleid, die Frisur, alles an seinem Ort – perfekt … Bis sie auf einen älteren Mann trifft, der mit den Worten «Cause I’m a man and I know how to do things» ein unterdrücktes Verlangen derart adressiert, dass sie im Bürozimmer der Galerie heimlich masturbiert. Marnie ist nicht in der Lage, das offenkundige Angebot des Verführers anzunehmen. Schließlich ist da noch Charlie, der liebe, aber fade Freund. Binnen weniger Episoden wird er suspendiert. Marnies Urteil: «He is just so busy respecting me.»

Figuren wie Marnie demonstrieren die Stärke von Girls. Der Plot setzt auf die Mehrdimensionalität seiner Charaktere. Zwar sind auch diese mit einem Repertoire teils klischeehafter Eigenarten ausgestattet. Dennoch besteht genügend Raum, Spannungen sichtbar zu machen und Illusionen zu enttarnen. Manchmal fliegt auch alles auseinander. Marnies Ambivalenz «Ordnung oder Abenteuer? Bindung oder Freizügigkeit?» bietet ein so ausgeprägtes Konfliktpotenzial, dass ich tatsächlich immer wissen möchte, welche Entscheidungen sie wohl treffen wird. Eine Grundbedingung für Serialität. Wenn Hannah in Michigan auf ihrem Bett liegt, über dem Kopf ein Filmplakat von Crazy Party Girl (Daisy von Scherler Mayers, USA1995) und gleich daneben eines der Band Goo Goo Dolls klebt, dann verbirgt sich auch hinter dieser popkulturellen Referenz mehr. Sie symbolisiert das Zusammenkommen eines ungleichen Paares: Hedonismus und Romantik. Hannah wacht unter Parker Posey auf und hört dabei den Titelsong Iris aus Brad Silberlings Schmachtfetzen City of Angels. Rauschhafte Nächte, und bei Tagesanbruch sammelt einen Nicolas Cage wieder ein? Schwierig. Natürlich existieren beide Wünsche dennoch simultan, auch wenn sie einander mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen. Vielleicht gerade deswegen.

Girls inszeniert derartige Differenzen treffsicher, verzichtet im eigenen Interesse jedoch auf ungelenke und schmerzhafte Schläge auf den Hinterkopf des Zuschauers. Sie sind vor allem unnötig: Die Serie profitiert von Details und Zwischentönen. Dessen ungeachtet gibt es hysterische Momente, Kreischen, Heulen, fliegende Türen. Erscheint dann alles ausweglos, trifft man in der nächstgelegenen Bar eben einen Typen, der Mash-ups aus Roxy Musics Slave to Love und Affengeschrei produziert. Was vielleicht noch schlimmer ist.

 

Die erste Staffel von Girls ist ab Mitte Dezember auf DVD und Blu-ray erhältlich (RC–1); die zweite Staffel wird ab 11. Januar 2013 auf HBO ausgestrahlt