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Schweizer Equilibrium Yash Chopra, Gigant des Bollywoodkinos – eine Werkschau

Von Ekkehard Knörer

Darr (1993)

© Yash Raj Films

 

Das noch nicht vermählte Paar, Kiran und Sunil, betritt das zunächst noch leere, blitzblank weiße Heim im Song and Dance. Die neue Wohnung liegt, wie man sah, in einem Hochhaus. «Machen wir die Tür hinter uns zu» ist der Titel des Lieds, Kiran öffnet und schließt Türen, die Kamera bleibt aber immer weiter dabei. Eine zweisame Zukunft wird imaginiert, die beiden wälzen sich wie die Kinder auf weißem Boden, unversehens ist dann die Wohnung möbliert, die luftigen Saris wechseln die Farben, wiederholt eilt Kiran auf die Kamera zu, blickt auf den Betrachter wie auf ein Draußen, das nicht herein darf und wendet sich wieder zurück zu Sunil.

Mitten in diesem häuslichen Glück, das eine Zukunft antizipiert, die so schnell nicht eintreten kann, weil die titelgebende «Angst» (Darr) in Gestalt eines lebensgefährlich liebenden Dritten (Rahul, gespielt von Shah Rukh Khan) noch lange das Glück ehelicher Liebe blockiert – mitten in diesem Traum von Zukunft und Heim reißt Kiran eine zuvor nicht sichtbare Tür auf und tritt hinaus in Sonne und grüne Wiese vor Gletscher und Schweiz. Nun wird in der Wiese weiter getollt und getanzt und unversehens ist auch die Querflöte für ein kurzes Solo von der Tonspur in die Hände von Sunil geraten. Dann freier Wechsel von Innen und Außen, Tag und Nacht, gemeinsames Kochen (Sunil mit Banane und Schürze) und Tanz am Lagerfeuer vor dunkelndem Himmel am See. Die neue Wohnung ist transformiert in eine kleine Holzhütte an Wiese und Wasser, zwei Enten schwimmen heran. «Lass mich in deinem Herzen wohnen», singt dazu Kiran. Dann geht es zurück in die Wohnung und aus der Wohnung in die Handlung, die vom Aufschub der Paarbildung erzählt.

Diese Sequenz ist Fantasiearbeit auf vielen Ebenen: Imagination einer Zukunft zum einen, Antizipation eines Happy Ends, das erst ein paar Stunden Erzählzeit später eintreten kann. Und in Wahrheit geht es in der Szene, anders als der Songtext behauptet, wie in den meisten Picturization-Sequenzen nicht um Schließung (der Geschichte, der Türen, des Fantasierens), sondern um Öffnung, von einem Schnitt zum anderen wechseln die Farben der Saris, die imaginierten Kontexte, der Realitätsstatus, die geografischen Koordinaten, potenziell alle Parameter der erzählten Welt. Im Song and Dance und den Öffnungen, den Intensivierungen und Weitungen, die er erlaubt, damit aber auch in der Differenz zwischen der quasirezitativen Narration und dem gesungenen Bollwood-Kinos als Form.

Die beschriebene Sequenz aus Darr (1993) erfüllt diese Form geradezu archetypisch. Sie ist Inbegriff einer Yash-Chopra-Sequenz, obwohl sie in einem Film auftaucht, der als Thriller im Œuvre des Regisseurs eher eine Sonderstellung einnimmt. Ganz einfach ist das mit der Bestimmung eines typischen Chopra-Films ohnehin nicht. So sehr dieser in der indischen Rezeption als ein auf den ersten Blick erkennbares Genre und Chopra als «King of Romance» gilt, so schwierig ist es anzugeben, woraus das Eigene hier genau besteht. Opulenz, «Romance», fliegende Saris und schwelgerisch in Szene gesetzte Natur, reiche Inder aus besserem Haus und in schönen Häusern, all das gibt es – und nicht nur aufgrund von Chopras weitreichendem Einfluss – ja durchaus auch sonst. Und es ist gerade nicht so, dass Chopra so viel opulenter oder romantischer oder schwelgerischer wäre als andere opulente, romantische oder schwelgerische Filme. Eher müsste man sagen, dass, was immer Chopra anpackt, zwar in Richtung Romantik und Opulenz drängt, dass er dabei aber nicht eigentlich das Übermaß sucht, oder etwas paradoxer gesagt: Es geht um den Exzess, der noch im Überschuss moderat bleibt. Kein Wunder, dass es ihn früh in die Schweiz zieht, die Chopra als Schauplatz und Schauwert zwar nicht für das indische Kino entdeckt hat (das war Raj Kapoor mit Sangam), aber endgültig populär gemacht und für die indische Popularfantasie kolonisiert hat er sie schon. (Keine Triviasammlung zu Chopra lässt darum den Hinweis aus, dass ein Schweizer See nach ihm benannt ist. Eine Bahnlinie am Jungfraugletscher übrigens auch.)

Gewiss sind die Wiesen in der Schweiz saftig, gewiss fliegen vor erhabenen Gletschern die Saris sehr schön und sehen die notorischen Strickpullover der männlichen Stars der 70er und 80er Jahre nicht gar so schauderhaft aus, gewiss ist die Schweiz für den indischen Blick unendlich reich, pittoresk und ein Traum. Aber sie bleibt halt die Schweiz, so wie die Filme von Chopra in letzter Instanz immer ein wenig schweizmäßig bleiben: Himmelhoch weit geht der Blick, aber am Ende ist das eigene Heim das, was zählt. Auch bei Verletzung der Norm gibt es in Chopras Filmen stets ein Zurück: Die verwundeten sozialen Bande werden geheilt, das Ende stellt Ordnungen wieder her (die Ordnung der Familie in aller Regel) – und anders als in anderen Bollywood-Filmen hat man nie das Gefühl, die Übertretung, die zuvor stattfand, hätte die Gesetze dieser Ordnung irreversibel verletzt.

Es ist gerade die Kombination von Moderation und Exzess, die dem Werk des kürzlich verstorbenen Regisseurs im Lauf der Jahrzehnte einen Sonderstatus verschafft hat, nämlich als die von allen Seiten verehrte Verkörperung eines traditionellen Bollywoodkinos, dem es gelungen ist, die Werte der guten alten Zeit (und das sind die 60er und 70er Jahre) in die Gegenwart zu retten. Als altmodisch gilt Chopra dabei kaum, eher als klassisch. Es wäre im übrigen ganz falsch zu sagen, er habe sich ständig wiederholt oder eine Formel gefunden, die er dann reproduzierte. ( Jedenfalls nicht mehr als das indische Populärkino überhaupt, das auf die immerselben Grundmuster setzt, in die es freilich Gott und die Welt synkretistisch zu inkorporieren vermag.) Chopra hat durchaus immer wieder Neues versucht und Dinge riskiert, ja geradezu die Auseinandersetzung mit neuen Gegenwarten und die Innovation sehr bewusst in sein Werk integriert. Auf den Kernsachverhalt, Moderation im Exzess, blieb dabei aber Verlass bis zuletzt.

Weder Hindu noch Muslim

Mehr als fünf Jahrzehnte umfasst die Karriere des 1933 geborenen Yash Chopra. Er stammte aus dem Punjab, nach Unabhängigkeit und Spaltung des Landes kam die Familie aus dem heutigen Pakistan nach Indien. In die Filmindustrie gelangte Yash Chopra durch seinen achtzehn Jahre älteren Bruder B. R. Chopra, der seit Anfang der 50er Jahre als Regisseur tätig war und zusehends auch als Produzent reüssierte, so dass er seinem Bruder erst Jobs als Regieassistent verschaffen und dann 1959 die Regie eines von ihm produzierten Films – Dhool Ka Phool – anbieten konnte. Erst nach und nach trat Yash aus dem Schatten des älteren Bruders. Bis in die 70er Jahre war B. R. Chopra der im indischen Film geläufigere Name – bis sich Yash unter einigem Aufsehen selbständig machte und sein dann wiederum familiendynastisch geführtes und bis heute außerordentlich erfolgreiches Produktionslabel Yash Raj gründete. Für B. R. Chopra wiederum war das ein heftiger Schlag, von dem er sich erst mit dem enormen Erfolg seiner Fernsehserie Mahabaratha in den 80ern wieder erholte.

Vier Phasen lassen sich im Werk von Yash Chopra grob unterscheiden. Die erste umfasst die Jahre als Regisseur in der Produktionsfirma seines Bruders. Das Debüt Dhool Ka Phool (1959) ist ein Sozialdrama, wie es für diese Phase des Bollywoodkinos nicht untypisch ist. Ein Mann und eine Frau lernen sich bei einem Fahrradunfall kennen. Es kommt das eine zum andern, man verspricht sich die Ehe, der Mann macht sich auf, den Segen der Eltern einzuholen. Sie bleibt zurück, und zwar schwanger. Segen der Eltern gibt’s aber nicht, der Mann heiratet darauf ohne weitere Umstände die von den Eltern für ihn vorgesehene Frau. Die Mutter seines Kindes wird von ihrer Familie verstoßen, verarmt und setzt das Baby im Wald aus, dort findet es ein Moslem und zieht es an Kindes Statt auf. Einer der Höhepunkte des Films ist der Moment, in dem sich dem weinenden Baby, das als verlorenes Bündel im Wald liegt, eine Kobra mit geschwellter Brust nähert – und dann wie sonst nur ein Dinosaurier bei Terrence Malick handelt und das Kind doch verschont. Ebenfalls schön eine Toleranzgesangsequenz, in der der Ersatzvater singt: «Du wirst weder Hindu noch Muslim, sondern ein Mensch.» Schönes Pathos, das im Finale durch Akzeptanz einer Patchworkfamilie eingelöst wird: Die wahre Mutter und ihr verteufelt humaner neuer Mann adoptieren das Kind, worein der natürliche Vater sich schuldbewusst fügt und wozu der muslimische Ziehvater schweren Herzens nicht Nein sagt.

 

Waqt (1965)

© Yash Raj Films

 

Als B. R. Chopra 1965 den ersten Farbfilm seines Produktionshauses macht, überlässt er die Regie wiederum seinem jüngeren Bruder. In Waqt, einem der großen Erfolge des Hindikinos der 60er Jahre, wird mächtig Schicksal gespielt. Just als ein Mann, glücklicher Vater dreier Söhne, sein neues Geschäft eröffnet, befällt ihn äußerstes Unglück. Ein Erdbeben zerstört die Stadt, sein Haus, seinen Laden, und zerstreut die Familie in alle Himmelsrichtungen. Im Kern steht das Motiv der zersprengten Familie, der verlorenen Söhne. Es taucht im populären indischen Kino wieder und wieder auf (an den Rand des Absurden und darüber hinaus führt es Manmohan Desais Religionscomedy Amar, Akbar, Anthony von 1977) und wird gern und gewiss nicht zu Unrecht als Allegorie der indischen Teilung gelesen. Zugleich ist es aber auch ein archetypisches Motiv für ein Kino, das immer aufs Melodram zielt und darum auf ständigen Aufschub, aber nicht auf totales Verfehlen, auf Rückblende, Antizipation und Projektion setzt, aber in der Regel nicht auf das leere Ausgehen, sondern auf die Versöhnung.

Es fehlt nicht an Schürzung des Knotens und nicht an seiner Lösung, es fehlt nicht an Peripetien, und an Anagnorisis fehlt es schon gar nicht. Besonders in Waqt. Der Film endet mit einem großen Finale vor Gericht, in dem fast alle tragenden Rollen des Rechts mit den einander (weitestgehend) als solche noch nicht wieder bekannten Brüdern besetzt sind: die des eines Mordes (zu Unrecht natürlich) Verdächtigen, die des wichtigsten Belastungszeugen (der, versteht sich, lügt, aber nur, weil er erpresst wird), und auch die des Verteidigers, der den Bruder am Ende auch raushaut. Zur Mutter aller Anagnorisis-Szenen kommt es, als auch der Vater und die Mutter vor Gericht auftauchen und einander erst mit reichlicher Verzögerung erkennen. Man fällt sich in die Arme, großes Gruppenbild, zu dem sich nach rascher Lösung weiterer Knoten diverse zukünftige Schwiegereltern und Bräute gesellen. Glück bei Yash Chopra: Wenn sich ein disparates Figurenensemble zur Familienanordnung fügt.

Ende der 60er Jahre gibt es mit Ittefaq (1969) noch einen echten Ausreißer in diesem Werk, einen Quickie, der während einer Verzögerung bei einem anderen Film runtergedreht wurde. Ein Thriller, in dem ein egozentrischer Künstler, der nur vermeintlich der Mörder seiner Ehefrau ist, zum Kammerspiel im Haus einer anderen Frau landet, die man so lange für bedroht hält, bis man versteht, dass vielmehr sie ihren Mann um die Ecke gebracht hat. Ein Sonderfall ist der Film, weil es in ihm keine einzige Song-and-Dance-Sequenz gibt (kein Unikum, aber doch äußerst selten im Bollywoodkontext); das Tollste an Ittefaq ist allerdings die Creditsequenz, sichtlich von Saul Bass und der Vorspann-Avantgarde Hollywoods inspiriert, in bunten Balken, psychedelischen Farben und Mustern – ein formidabler Auftakt, dem der folgende Film trotz fabelhafter Subjektive zum Einstieg und trotz rasanter Reißschwenks in den ersten Minuten dann je länger je weniger gerecht werden kann.

Mit den 70ern beginnt die zweite Phase von Chopras Karriere. Er löst sich von seinem Bruder, ein Bruch, den dieser auch ökonomisch lange nicht verkraftet, wenngleich nach außen die Freundschaft gewahrt bleibt. Leider schleicht auch Rachel Dwyer um das spätestens von hier an schwierige Bruderverhältnis recht vorsichtig herum. Von ihr stammt die einzige Monografie zum Werk von Chopra – 2002 in der BFI-World-Director-Series erschienen, die erste größere Studie in dieser prestigeträchtigen Reihe, die einem Regisseur des populären indischen Kinos gewidmet ist. Das Buch ist aus genauer Kenntnis der Verhältnisse und langen Gesprächen mit Chopra gespeist. Man erfährt darin viel über jeden einzelnen Film, ökonomische und andere Hintergründe von Chopra im besonderen und Bollywood im allgemeinen; andererseits ist das ein britischer Cultural-Studies-Blick auf das Kino (plus Biografismus), der den Zugängen, die wir hier so pflegen, doch außerordentlich fern liegt.

Ab Daag(1973), seinem ersten Film außerhalb des Produktionshauses seines Bruders, wird Yash Chopras Kino dann das, als was man es heute noch kennt. Die Treue zu bewährten Kräften in Cast und Crew ist ein Kennzeichen seines Werks. Er liebt es, immer wieder mit denselben Darstellern zu drehen, Shashi und Rishi Kapoor, Waheeda Rehman und Sridevi – vor allem aber bindet er die dominierenden Stars gleich zweier Epochen an sich, in den Siebzigern und frühen Achtzigern Amitabh Bachchan, seit den Neunzigern dann Shah Rukh Khan, wobei in den Achtzigern diese Stars fehlten, eine Phase, in der der Nadir von Chopras Karriere (aber auch der jüngeren Bollywoodgeschichte) liegt.

 

Kabhi Kabhie (1976)

© Yash Raj Films

 

Ein interessantes Gegensatzpaar ist das fast gleichzeitig entstandene Bachchan-Doppel Deewar (1975) und Kabhi Kabhie (1976). Der erste der beiden surft auf der Welle der Angry-Young-Man-Filme, die Amithab Bachchan in den Siebzigern zum Superstar machten. Aufschlussreich sind aber die Akzente, die Chopra im Rahmen der Schroffheitsvorgaben dieses Subgenres setzt. Sehr wohl steht auch hier am Beginn die mit einiger Gewalt verbundene Revolte der Vijay-Figur – diesen Namen trugen die von Bachchan gespielten Charaktere in vielen Filmen seit dem Durchbruch in Zanjeer von 1973, ohne dass dieser Vijay immer «derselbe» wäre. (Eine ungewöhnliche Überlagerung von außer- und innerfilmischem Text.) Der Arbeiter Vijay weigert sich, der Mafia den Zehnten zu geben und gerät dadurch mit ihr in Konflikt. Die Anklage gegen die herrschenden Klassenverhältnisse bringt der Film aber schnell hinter sich und mündet in eine Mafiageschichte, die sich eher an den Swimmingpools und neureichen Anwesen der kriminellen Großbourgeoisie delektiert, als noch viele Gedanken an das Leid der Arbeiterschaft zu verschwenden.

Dazu verhält sich Kabhi Kabhie (neben Waqt und Darr mein Lieblingsfilm von Yash Chopra) fast vollständig komplementär. Amitabh, Sohn eines berühmten Dichters, spielt Amitabh, einen Dichter, der erst seiner großen Liebe und dann auch der Dichtung entsagt. Hinreißend ist der Auftakt, bei dem noch über dem Vorspann der prächtig gekleidete und geschmückte Körper der Braut in einer Art filmischem Blason über die weibliche

Schönheit von der Kamera in seine Einzelteile zerlegt und in diesen Einzelteilen nachgerade liebkost wird. Dies ist die Frau, der Amit entsagt, es ist sein Blick, den mit ihr zu werfen uns die Kamera drängt. Der Film will Heilung des Unglücks, die aber gelingt erst nach einem Zeitsprung, in der nächsten Generation – ein bisschen ist das der Grundkonstruktion nach eine Nachsommer-Geschichte. An die Stelle des Gartens des Freiherrn von Risach tritt ein Steinbruch mit Bäumen, der am Ende (anders als der Garten bei Stifter) höchst eindrucksvoll zum Schauplatz von Feuer, Explosion, Hetzjagd und Selbstmordversuch wird. Weiterer Höhepunkt und zentrales Gelenkstück ziemlich genau in der Mitte ist eine lange und wieder sehr Chopra-typische Picturization-Sequenz, die mit viel Zoomen und Schwenken die Großfamilie antizipiert, zu der nach vielen inner- und intergenerationalen Konflikten die Figuren sich am Ende erneut fügen werden.

Die Serie der Erfolge riss in den Achtzigern, es schien mit Yash Raj Films zu Ende zu gehen. Mit Chandni (1989) kam die Wende, seitdem wuchs Chopras Ruf, bei seinem Tod war er längst eine Legende. Ab Darr ist – der zunächst noch recht wenig bekannte und eher auf Schurkenrollen spezialisierte – Shah Rukh Khan der Star der verbleibenden vier Filme unter Chopras Regie. Dabei hat sich ein familiendynastischer Schachzug als veritabler Glückstreffer erwiesen. Chopra macht seinen ältesten Sohn Aditya zunächst zum Assistenten, vertraut ihm dann aber rasch größere Aufgaben an. Gleich der erste Film, bei dem dann Chopra Jr. unterm Banner von Yash Raj Films Regie geführt hat, Dilwale Dulhania Le Jayenge (1996), überstrahlt noch die größten Erfolge des Vaters und wird zu einem der meistgesehenen Werke in der Geschichte des indischen Kinos. Die Nachfolger Mohabbatein (2000) und Rab Ne Bana Di Jodi (2008) konnten daran nicht ganz anknüpfen, reüssierten aber durchaus. Stilistisch unterscheidet sich Adityas Arbeit von der des Vaters. Wo Yash Chopra den Zoom und den Schwenk liebt, die Bewegung im Bild, oft sogar das Abrupte, da bevorzugt Aditya eher die smoothe Bewegung, den großen Auftritt, die majestätische Eröffnung der Szene, Extravaganza und Überschwang: von Mäßigung im Exzess kann beim Sohn sehr viel weniger die Rede sein als beim Vater.

Vor allem aber verschränken sich die Werke von Vater und Sohn auch auf der motivischen Ebene, stets geht es mal zentral, mal eher implizit um die Frage nach dem Verhältnis von Tradition und Innovation. In Mohabbatein hetzte Aditya Chopra geradezu bollywood- und choprageschichtsallegorisch Amitabh Bachchan als gestrengen Schulleiter und Shah Rukh Khan als soften Junglehrer gegeneinander – und löste alles in jenem Wohlgefallen auf, mit dem er auch in DDLJ schon die Ansprüche der Eltern mit den Wünschen der Kinder versöhnte. Im letzten, im November nach seinem Tod erst in die Kinos gelangten Yash-Chopra-Film Jab Tak Hai Jaan ist Shah Rukh Khan seinerseits in die Position des Älteren gerückt, der mit der unflätigen Sprache und dem promiskuitiven Begehren der in dem Fall sehr weiblichen städtischen Mittelschichtjugend nicht mehr mithalten will. Die Pointe besteht darin, dass sich am Ende die wilde junge Akira komplementär danach sehnt, so lieben zu können wie noch die Eltern, während der Vertreter der älteren Generation noch auf dem steinigen Weg ( Jesus, Hurt Locker, Amnesie) zur altersgerechten Paarbildung die Jugend um ihre sprachliche und sexuelle Unverkrampftheit beneidet. Immerhin tut SRK, was er niemals getan hat: Er küsst seine Filmpartnerin auf den Mund. Das Kusstabu ist im Hindikino schon länger gelockert – dennoch ein weiterer Zug im Generationendiskurs.

In einer kaum länger als zehn Minuten dauernden Sequenz kommt es zu einer Begegnung noch einmal anderer Art. Auf der Plotebene geht es darum, dass eine Tochter ihrer Mutter vergibt, die die Familie einst für einen anderen Mann verlassen hatte. Diese liberal gesinnte Generationenversöhnung ist das eine. Schöner noch ist, dass das ältere Ehepaar (die Mutter und der Mann, dessentwegen sie den Mann und die Tochter verließ) von Neetu Singh und Rishi Kapoor dargestellt wird, die im echten Leben schon lange verheiratet sind. Vor allem aber spielten die beiden in Yash Chopras KabhiKabhie als sehr junge Menschen schon ein verhindertes Paar. Fast vier Jahrzehnte später ist nun auch im Kino zusammen, was zusammengehört. Familien versöhnt, Paare gebildet, der Sohn als würdiger Erbe: Yash Raj Films lebt.

 

In D gibt es nur Darr und Veer-Zaara auf DVD, dazu Dilwale Dulhania Le Jayenge und Mohabbatein von Aditya Chopra. Aus GB kann man Waqt, Daag, Deewar, Kabhi Kabhie, Trishul, Silsila, Chandni, Lamhe und Dil to Pagal Hai importieren. Ansonsten helfen Indien-Shops in Bahnhofsvierteln, Youtube und die dunkleren Seiten des Netzes