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Angst und Begehren Seine Filmkarriere begann spät, aber plötzlich: Lewis Allen

Von Rainer Knepperges

© Rank Organisation

 

Egal wie oft ich Whirlpool sehe, den Lewis Allen 1959 in Deutschland, im Rheintal drehte: Schon bei den ersten Bildern rührt es mich, dass diese vertraute Gegend das Zeug hat, den Schauplatz abzugeben für ein Abenteuer, für ein Westernabenteuer! Der Rhein ist Arbeitsplatz und zeitintensive Wegstrecke – wie es die Prärie für Viehherden und Siedlertrecks war – ein großer Trail, dessen Windungen an manchen Stellen schroff und steil sind wie ein Canyon. Auch da, wo der Strom an lieblichen Ufern entlang wirbelt, liegt über den gräulich braunen Wassermassen ein steter Hauch von Gefahr. Ein Kleinkind muss an einer aufgespannten Sicherheitsleine festgemacht sein, um über das Deck eines Schiffes zu laufen. Und wenn zwei Wasserpolizisten in der Nacht eine Wachablösung vollziehen, dann geschieht das so, als wäre da ein Lagerfeuer. Ganz wie im Western ist ein bunt gewürfeltes Volk unterwegs, Schiffervolk. Von Kähnen und Fähren grüßt man einander. Manche kennen einander schon lang, vielleicht zu lang. Manche kennen einander noch nicht, misstrauen sich deshalb. Wie zwischen Fremden sich Begehren regt, wie Freunde sich langsam entzweien, es lässt sich alles viel leichter erzählen, wenn es unmerklich auf einer sichtbaren Wegstrecke geschieht, wenn eine Auseinandersetzung unumgänglich bevorsteht.

«Schauen Sie mal da unten im Tal. Neuwied und so manches andere Städtchen am Rhein wurde sicher gegründet von Leuten, die ein anderes Leben anfangen wollten. Das ist natürlich viele Hundert Jahre her.» Die gescheite, alte Frau hebt im Sprechen von der Sonne beschienen den Kopf und schaut direkt in die Kamera: «Der Rhein weiß viele Geschichten von Abenteuerlustigen und Ausgestoßenen, von Unzufriedenen und Flüchtlingen aus aller Herren Länder, die sich hier vor Zeiten angesiedelt haben um Frieden zu finden.» Worum es in vielen Western scheinbar nebenbei geht: die Wunden des Bürgerkriegs, die Verhärtungen und tauben Stellen, hat hier der Zweite Weltkrieg hinterlassen. Diese Prägung ist in Whirlpool die trennende Gemeinsamkeit eines aufregend europäischen Paares: Juliette Gréco, die schwarze Lorelei – so der deutsche Verleihtitel, und O. W. Fischer, «ein großer Junge, der ein wenig müde geworden ist, ein linken Seine-Ufer» und «der melancholische Außenseiter, Rebell und König des deutschen Nachkriegskinos zugleich». Hans Schifferle entdeckte den Film und beschrieb ihn im Herbst 1991 in der Zeitschrift Filmwärts so traumhaft schön, wie Whirlpool auch tatsächlich ist.

Superbad in Pelzmänteln

1944 verfilmte Lewis Allen die Jugenderinnerungen von Cornelia Otis Skinner und Emily Kimbrough, mit Gail Russell und Diana Lynn in den Hauptrollen. Our Hearts Were Young and Gay ist Nostalgie für Mädchen, die es wissen wollen. Zwei Flapper Girls, die in den 20er Jahren mit dem Schiff nach Europa fahren, veranstalten eine fröhliche Feier der Peinlichkeit, die Seinfeld fünfzig Jahre vorwegnimmt. Eine Hymne an die Vergnügung freundschaftlich geteilter Uncoolness: Superbad in weißen Pelzmänteln. Und mitten im Krieg: die Erinnerung an ein freies Paris, in winzigen Ausschnitten nachgebaut im Studio, Notre Dame, der Arc de Triomphe und darunter das kleine Mahnmal für den unbekannten Soldaten.

Die Filmkarriere des Regisseurs Lewis Allen begann spät aber plötzlich. Freedom Comes High, ein prägnanter Kurzfilm für die Navy über die notwendigen Kosten des Krieges – eine infernalische Seeschlacht und die Übergabe eines Telegramms an eine junge Witwe – gefiel Paramount; das alte Studio mit den schrillen Exponenten DeMille, Sternberg, Lubitsch, Jerry Lewis, komödiantisch, bizarr bis pervers, und finanziell notorisch nah am Abgrund, ließ Lewis Allen Neuland betreten. Horrorfilme waren Paramount fremd. Wieder und wieder schaue ich mir The Uninvited an. Ein Gespenstermelodram mit Ray Milland und Gail Russell. Ein Wunderwerk gedanklicher Finesse, als hätte man Freuds Vorlesung «Die Weiblichkeit» mit Punkt und Komma in eine Serenade für Klavier und Streicher übertragen, und mit ein paar schwarzen Tasten, ein paar weißen, aus stürmischer Meeresbrandung und sexueller Mutterbindung heraus, allen Ernstes und voll Humor, das Übersinnliche akkurat zurückübersetzt in überwältigende Sinnlichkeit. Eine Einladung, in die kalte Leerstelle der Elternliebe möge das Unbekannte, das Fremde eintreten. Wunscherfüllung, gegen die selbst die irrste Irrenärztin, dargestellt von Cornelia Otis Skinner, machtlos ist. Unberechenbarkeit triumphiert über Fixierung, Parfum über Ölmalerei. Paramounts Gipfelpunkt. Ein kompliziertes Lichtspiel, unrein wie die menschliche Seele. Es gibt The Uninvited jetzt auf DVD. Und ich werde weniger und weniger schlau aus diesem Film.

 

The Uninvited (1944)

© Paramount

 

The Uninvited war und ist ein Einzelstück in jeder Hinsicht. Aber Lewis Allens Filmografie ist voller Einzelstücke. In Desert Fury, einem Technicolor-Film-Noir, 1947 in Arizona gedreht, wird Burt Lancaster obskur bedroht von unkündbaren Allianzen zwischen Gangstern, genauso wie von ungelösten Bindungen zwischen Müttern und Töchtern. At Sword’s Point, von 1952, ist eine quick lebendige Mantel-und-Degen-Romanze mit Cornel Wilde als Sohn D’Artagnans und Maureen O’Hara als Tochter von Athos. In Suddenly lässt Allen 1953 schon einmal jemanden, so wie Jahre später die alte Frau in Whirlpool, für lange Momente direkt in die Kamera blicken: Frank Sinatra als Kriegsveteran, Psychopath und Präsidentenattentäter. Eine kalifornische Kleinstadt, in der zu Siedlerzeiten alles, was geschah, plötzlich geschah – daher ihr Name: Suddenly – wird heimgesucht von unerklärtem Terror. Der Schauplatz der Gewalt ist ein Wohnzimmer. Als vielbeschäftigter Fernsehregisseur zog Lewis Allen sich früh zurück aus dem Filmgeschäft. Was er danach noch in Atelier 16 der Paramount Studios drehte, wurde in aller Herren Länder gesehen, rund um die Welt: Bonanza.

 

Die gerade bei Exposure Cinema in England erschienene DVD von The Uninvited bietet als Extras zwei Radio-Adaptionen unter Lewis Allens Regie. Whirlpool – Die schwarze Lorelei, von AmCo als DVD zweisprachig herausgegeben, konfrontiert mit einem Dilemma: O. W. Fischer hat in der Originalfassung eine englische Synchronstimme, und Juliette Gréco hat sich in der deutschen Fassung nicht selber nachsynchronisiert. Desert Fury gibt es als DVD der Koch Media Film-Noir-Collection. Von Suddenly gibt es viele verschiedene Versionen auf DVD, alle in mäßiger bis schlechter Qualität; HD Cinema Classics kündigt für Dezember eine Blu-Ray an