praschl

Imperfekt, Plusquamperfekt, Kino, Youtube

Von Peter Praschl

Manchmal fielen mir Filme ein, die ich vor Jahren gesehen hatte. Plötzlich brach in mir der Wunsch aus, Zechmeister oder Die Donau rauf oder Lenz wieder zu sehen, doch anders als bei den Büchern, von denen ich immer wusste, wo bei mir im Regal sie standen, was mich so beruhigte, dass ich sie stehen lassen konnte (sie waren ja da), gab es die Filme nicht mehr, ich konnte noch so oft im Internet nachschauen, ob endlich jemand eine DVD mit ihnen bespielt oder sie auf Youtube hochgeladen hatte. Fast war es, als hätte ich sie mir nur eingebildet, vielleicht hatte es jene Szene nie gegeben, in der Lenz in einer New Yorker Wohnung zu einem Lied von Lene Lovich tanzt, vielleicht hatte ich sie mir nur ausgedacht, auch wenn der Film in der Imdb aufgelistet war und Maxim Biller ihn irgendwo erwähnt hatte, aber das bewies nicht, dass es auch diese eine Szene tatsächlich gegeben hatte. Das Bestürzende war ja, dass ich mich, wenn ich mich an Filme erinnerte, nicht wirklich an sie erinnern konnte, ich hätte sie nicht nacherzählen können. Ich wusste nur im Ungefähren, welche Geschichten sie erzählt hatten, und oft auch nur, weil ich in der Imdb die Zusammenfassung gelesen hatte, in der kaum etwas stand, es war immer so lächerlich, wie Filme zusammengefasst wurden, wenn man nachsah. Ich konnte mich also an die Filme, an die ich mich erinnerte, gar nicht wirklich erinnern, sie waren weg, wie Menschen irgendwann weg sind, wenn sie gestorben sind, irgendwann weiß man nicht mehr, wie sie beim Reden oder beim Essen ausgesehen haben («ich habe so Angst, dass ich sie irgendwann vergesse», hatte in einem Film, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnern kann, ein Junge, von dem ich mich nicht erinnern kann, wie er aussah, über seine verstorbene Mutter gesagt, von der ich nicht mehr weiß, ob sie am Anfang des Films noch gelebt hatte). Das einzige, woran ich mich erinnern konnte, war eine Empfindung, die sie in mir ausgelöst hatten, mir fiel vielleicht noch das Kino ein, in dem ich sie gesehen hatte, manchmal die Frau, die damals neben mir gesessen hatte. Ich wusste noch, dass ich mich nach der Schlacht von Algier mit einer Frau gestritten habe, deren Name mir nicht mehr einfällt, ich wusste, dass ich mich nach dem Verhängnis der Liebe tagelang in meiner Studentenwohnung verkrochen hatte, ich wusste, dass ich, während ich Die Donau rauf sah, über den Umstand erschrak, dass man in der Gegend, in der ich aufgewachsen war, unablässig Menschen umgebracht, erschlagen, in den Tod gehetzt hatte (und erinnerte mich an die Erleichterung, dass das jemand in einem Film, zu Bildern der Donau, denen man das alles nicht ansah, ausgesprochen hatte). Ich wusste vielleicht noch, wie glücklich mich manche Filme gemacht hatten, und wie richtig es gewesen war, vor ihnen in einem Kino gesessen zu haben, weil sie mich etwas (einen Mangel, ein Unbehagen, einen Schmerz, eine Wut, was immer es gewesen sein mochte) ertragen hatten lassen, aber vielleicht, dachte ich, konnte man das diesen Filmen auch vorwerfen, vielleicht hatten sie mich daran gehindert, irgendetwas Besseres zu tun als mir im Kino Filme anzusehen, vielleicht hatte ich die Erleichterung, die ich im Kino empfunden hatte, für eine Lösung gehalten, obwohl sie doch nur eine Narkose gewesen war. Ich war so glücklich davon, wie Lenz zu einem Lied von Lene Lovich tanzte, dass ich weitermachen konnte, aber vielleicht, dachte ich, hätte ich nicht weitermachen sollen.

Während ich nach den Nachbildern suchte, die mir von den Filmen geblieben waren, vage Erinnerungen an eine Empfindung statt an die Filme selbst, stieß ich manchmal auf Menschen, denen es so ähnlich wie mir erging (jedenfalls sagte ich mir das), Pseudonyme auf Youtube, die Peter-Nestler-Filme hochgeladen hatten, Am Siel, zwölf Minuten aus dem Jahr 1962, in denen zu Schwarzweißaufnahmen ein Siel («ich, das Siel») über eine Landschaft und das Leben der Menschen erzählt, die sie sich zu Nutze machen. Während ich der Stimme zuhörte («denn wenn in der Stadt jemand erführe, dass er von meinem Ufer kommt, würde aller Glanz für ihn erloschen sein»), der Stimme eines Mannes, der noch darauf vertraute, dass man mit Filmen Produktionsformen erklären kann, ging es mir wieder wie damals, als ich Die Donau raufgesehen hatte. Ich hatte mir nicht eingebildet, was ich damals gesehen hatte und woran ich keine Erinnerung mehr hatte, höchstens die Erinnerung an eine Erleichterung – darüber, dass einen Abend lang alles in Ordnung gekommen zu sein schien.