dokumentarfilm

Encounters at the End of the World (Werner Herzog)

Von Ludger Blanke

Encounters at the End of the World (2007)

© Creative Differences / Discovery Films

 

Was es in diesem Film zu sehen und zu hören gibt: Unter dem Eis der Ross Sea in der Antarktis: blaues Wasser, Eisstalaktiten, Taucher die diese Stalaktiten erforschen. Auf der Tonspur: orthodoxer Männerchor. Zorro, Indianerhäuptling, Schimpanse auf einer Ziege. Frachtmaschine im Anflug auf das Flugfeld von McMurdo in Antarctica. Im Bauch des Flugzeugs schlafende und dösende Passagiere. McMurdo, amerikanischer Außenposten in der Antarktis. Agglomeration von Baracken. Coffee Shops, Yogaklassen, Geldautomat. Hässlich. Ein Baggerfahrer. Philosoph, promovierter vergleichender Literaturwissenschaftler. Professional Dreamer. Eisbergforscher. Nennt Eisberge «Little Babies» glücklich in den warmen Wassern des Nordens. Seehundforscher. Die Seehunde machen unter Wasser Click-and-Cuts-Technogeräusche. Klempner, Abkömmling des letzten aztekischen Königshauses. Expert Diver, sucht unter dem Eis der Ross-Sea neue Spezies von Mikroorganismen. Atemberaubend schöne Unterwasseraufnahmen unter dem Eis der Ross-Sea. Auf der Tonspur: bulgarischer Frauenchor. Die Beziehung zwischen dem Grausamen und dem Schönen. Weltuntergangsfilm aus den 60ern. Arktischer Sommer. Ewiger Tag, to sink into bliss. Ein Gewächshaus: Ein Hipster, Linguist, Tomatenzüchter. Drei menschliche Sprachen verschwinden aus dem Gedächtnis der Menschheit. Der vielfache Guiness-Weltrekordhalter Ashrita Furman auf einem Pogo-Stick. Der Polarforscher Ernest Henry Shackleton in einer Studiokulisse. Ein wortkarger Pinguinforscher. Pinguine. Der Vulkan Mount Erebus incl. Lavasee. Vulkanologe in Tweed. Der Südpol, banal, enttäuschend. Neutrinos, unsichtbar ...

ENCOUNTERS AT THE END OF THE WORLD, der Titel hört sich an wie ein Science-Fiction-Doomsday-Thriller. Die Fragen nach dem Ursprung, dem Sinn und dem Ende der Welt (des Lebens) mäandern wie ein Leitmotiv durch die Stationen des Films. Aber schon Herzogs Erzählerstimme mit ihrem akzentuierten Englisch, den teutonischen Konsonanten und der bayrischen Melodie nimmt die blöde Verzweiflung aus diesen Fragen.

Gleichzeitig ist ENCOUNTERS ein klassischer Dokumentarfilm über die Antarktis, der alle Ansprüche erfüllt, die die aufwendig produzierten Doku-Features der BBC oder des National Geographic oder des ZDF auch erfüllen mit ihren erhabenen Landschaften, exotischen Protagonisten und Kirchenmusiken. Alles das oder Ähnliches ist auch in Encounters zu sehen und zu hören. Was dem Film allerdings fehlt, ist das imperial triumphale Bescheid-Wissen dieser Produktionen. Herzog fragt nicht nur seine antarktischen Protagonisten, seine Forscher, Baggerfahrer und Köche, sondern stellt auch sich selbst immer wieder die alles entscheidende Frage: Was mache ich hier eigentlich.

Das macht ENCOUNTERS AT THE END OF THE WORLD zum schönsten Dokumentarfilm der letzten 100 Jahre.