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Fade to Grey In seinen Installationen, Videos, Fotografien und Graphitzeichnungen reinszeniert Nadim Vardag Materialien und Anordnungen des Kinos. Ein Werkporträt

Von Naoko Kaltschmidt

Betty Amann atmet, zunächst kaum wahrnehmbar. Im Dreiviertelporträt gegeben, umfangen von alle ­Nebensächlichkeiten verschluckendem Schwarz, bringt das minimale Heben und Senken der Brust ­einen Funken Lebendigkeit in die Entrückt­heit des Augenblicks – akzentuiert durch ein stilisiertes Glanzlicht auf den Lippen. In den zehn Sekunden des Video-Loops ­Excerpt (Asphalt) (2006) ist sie nicht der holzschnitt­artig dargestellte Vamp, sondern eine komplex ästhetisierte Figur.

Weniger ist mehr. Als Ästhetik der Andeutung ließe sich umschreiben, was den Reiz von Nadim Vardags Arbeiten ausmacht. Das Begehren als ein Mechanismus, der auf ein Defizit reagiert, sorgt hier für den formalisierten Suspense. Damit einher geht eine höchstmögliche Reduktion der verwandten Gestaltungsmittel: Auffällig ist etwa die Farbigkeit, die meist in kühl und verführerisch wirkendem Schwarzweiß gehalten ist.

Der Film und das Kino stellen für ­Vardag sicherlich eine wesentliche und immer wieder neu zu beleuchtende Inspirations­quelle dar. Es wäre allerdings ein Missverständnis, seine Arbeit auf diesen Aspekt zu reduzieren. 1980 geboren, studierte ­Vardag die ersten Jahre an der Akademie der ­Bildenden Künste Nürnberg, bevor er sich in Wien niederließ – zunächst aufgrund des Studiums bei Heimo Zobernig, doch auch danach konnte die Stadt ihn weiterhin ­halten. In vielen seiner Arbeiten sind filmische Dispositive zentral. Bei genauerem Blick auf dieses noch junge Œuvre zeigt sich, dass der Komplex Kino nicht selten selbst zur Projektionsfläche, zum Statt­halter wird. Es geht also nicht bloß um eine redundante Thematisierung filmischer Motive, wenngleich es durchaus auch konkrete Spielfilme sein können, die einen unmittelbaren Bezugspunkt liefern.

Von Alfred Hitchcock haben gleich zwei Werke Pate gestanden: einmal bei ­metro / vertigo (2006), einer Videoinstallation, in der die Fahrtbewegung einer U-Bahn aus der Perspektive der Fahrerkabine mithilfe des Zooms gleichsam multipliziert wird. Der Schwindel verfällt hier nicht der Vertikalen. Stattdessen gerät der Tunnel­blick in den Sog der – dreidimensionalen – Tiefe. Excerpt (Rear Window) von 2005 ist hingegen Teil einer Serie von Video-Loops, die jeweils nur einige wenige Sekunden dauern. Diese aus jedem Kontext herausgelösten Miniaturen autonomen Anspruchs überzeugen durch ihre formale Verdichtung und Verknappung. Ihr Reiz entsteht gerade durch den verschiedenen Einsatz von Bewegung: Mal glaubt man in einem flirrenden Schattenspiel den Wind durch ein Stück Wald wehen zu sehen (Excerpt (Le Salaire de la Peur), 2007), mal führt das regelmäßige Eintauchen in Licht- und Schattenphasen (Excerpt (The Graduate), 2005), begleitet von einer ebenso rhythmisierten Tonspur, sowohl den Moment des Übergangs vor Augen als auch die Beschaffenheit des Mediums. Daraus ergeben sich dezente Anklänge an die jeweiligen Erzählungen. Ähnlich zu lesen die impliziten Verweise auf die Handlung des zitierten Films von Jacques Tourneur. Hier wählte Vardag eine Sequenz, die lediglich die eiligen Beine der Protagonistin (Simone ­Simon) wiedergibt. In seiner Version gerät der Ausschnitt zu einem immens aufgeladenen Vorgang, der den fragmentiert-fetischisierten Körper in eine entmenschlichte Mechanik zwängt – eine Anspielung auf die subtile Erotik und die außergewöhnliche Bildsprache in Cat People. Nicht nur die Ökonomie der visuellen Mittel beherrscht Vardag also vortrefflich. Darüber hinaus offenbart sich ein Wissensfundus, der auch die paratextuellen Facetten des Kinokosmos einschließt.

Ein regelrecht abgenutztes Bild war Ausgangsmaterial für eine untitled (2007) benannte Fotografie: Das Plakat von ­Billy Wilders The Seven Year Itch musste dafür herhalten. Das eigentlich Erstaunlichste daran ist, dass mit einem einzigen – wenngleich nicht unerheblichen – Eingriff dieses ikonische Sujet derart verfremdet erscheint. Auch hier bevorzugt Vardag das Formenspiel gegenüber der menschlichen Gestalt. Das Resultat: Marilyn Monroe ist aus dem Bild verschwunden. Was bleibt, sind ein erst auf den zweiten Blick zu entdeckendes Belüftungsgitter sowie die zarte Andeutung einer Straße als Schauplatz, aber die Aufmerksamkeit gilt ganz dem neuen Hauptdarsteller, dem flatternden Textil. Es mutet seltsam organisch oder auch floral an, die feine Struktur eines Schmetterlings könnte man darin erkennen, denn das Kleid schwebt wundersam über dem Boden. Außerdem lässt sich bei dem derart in Szene gesetzten Stoff an die vom Varieté kommenden Serpentintänze des frühen Films denken, an die Choreografien Loïe Fullers oder auch daran, dass diese Filme trotz ihrer außerordentlichen Attraktivität immer auch Bewegungsstudien waren.

Die technischen Tricks und die Technizität der Bilder selbst sind etwas, womit sich Vardag gerne beschäftigt. Wie aus einem Gewebe aus Konstruktionslinien erwachsen in einer Vielzahl von Graphit­zeichnungen (alle ohne Titel) diverse Gerät­schaften und Apparaturen, die mal explizit, dann wieder nur entfernt mit dem kinematographischen Dispositiv zu tun haben. Fast immer handelt es sich dabei um fragile, zugleich aber auch akribisch geometrische Bildschöpfungen. Sie zitieren und paraphrasieren kino­ähliche, auch vorfilmische Anordnungen und zelebrieren dabei die Möglichkeiten und Machweisen von Illusionsbildung. Die jüngeren Kohlezeichnungen sind dagegen viel plastischer angelegt, wodurch sich ein kontrastierendes Nebeneinander von weichen Schattierungsübergängen und einem feinen Netz aus scharf konturierten Linien ergibt.

In der von Antje Ehmann und ­Harun Farocki kuratierten Ausstellung Kino wie noch nie zeigte Vardag in der Wiener ­Generali Foundation the world has turned and left me here (2004), eine Installation, die von einer Betonwand in zwei separate Bereiche unterteilt wurde. Auf der einen Seite befand sich ein Monitor, auf dem der Loop einer Zugfahrt mit Blick aus einem Abteil zu sehen war; auf der anderen Seite eine Spielzeugeisenbahn, die um ein kleines Raummodell kreiste. Doch nicht nur die suggerierte Bewegung stellt sich als ­trügerisch heraus, sondern auch die Beschaffenheit des Modells selbst – indem der unmittelbare Anblick der Konstruktion eine Verzerrung der perspektivischen Dimensionen offenbart, was im übrigen nicht einmal in der fotografischen Abbildung leicht zu erkennen ist. Bei der Übernahme der Schau durch die Berliner Akademie der Künste wurde eine andere Arbeit präsentiert: excerpt (the void) (2006), ein von 50 Neonröhren unbeschreibbar grell und wie von selbst strahlendes Fenster, das einer­seits eine Nähe zum Set­design aufweist, andererseits das klassische Fenster­motiv, wie es schon in der Malerei geläufig ist, mit dem nachdrücklichen Einsatz des Lichts überhöht. Trotz Hochformat ist man daher leicht an eine Kinoleinwand erinnert. ­Diese Lesart wird bestärkt durch eine Reihe von Variationen dieses Arrangements, wo diverse Formate wie z.  B. ­Cinemascope, Video oder 16:9 – auch in den jeweiligen Aufstellungskonstruktionen – durch­dekliniert und neu kombiniert werden, was auch in der räumlichen Aufstellung zum Tragen kommt; screen (2006) etwa, gezeigt in der Georg Kargl Box in Wien, ist mit geringem Abstand auf eine Wand gerichtet und macht somit die Reflektion des Lichts stärker zum Thema. Immer wieder taucht hier das Motiv der «leeren» Leinwand auf. Bei Black Screen oder untitled (beide 2008) wird dagegen die umgekehrte Logik verfolgt: Holz- oder Stahlkonstruktionen, die mit schwarzem, matt gehaltenem Stoff bezogen sind, bieten hier eine – negative – Projektionsfläche.

Neben diesen so verschiedenen Betätigungsfeldern hat Vardag 2007 auch eine Ausstellung zusammengestellt, die ebenso als aufschlussreiches Zeugnis herangezogen werden kann, um seine zentralen Anliegen zu bestimmen. Benannt nach der französischen 80er-Jahre-Hymne Fade to Grey, spannte auch diese Auswahl einen Bogen von Video (Claudia Kugler) über Fotografie und Collagen (Marieta Chirulescu) zu schließlich die Ausstellungsbedingungen selbst hinterfragenden Interventionen (­Famed): «Sowohl als inhaltliches Spiel mit uneingelösten Erwartungshaltungen wie auch als formale Beschäftigung mit der ‹Grauzone› zwischen abstrakt und gegenständlich werden Unklarheit und Vieldeutigkeit bewusst als Strategie eingesetzt», heißt es da im Programmtext. Wird hier die Uneindeutigkeit zur Methode erhoben, so ist es bei Vardag eher das spannungsreiche Oszillieren zwischen zwei Polen: einerseits der formal kühl wirkenden Zurückgenommenheit, erzielt durch geometrische Strenge, und einer Reduktion, die mitunter in den Bereich des Abstrakten reicht; und andererseits der immensen Aufladung dieser so gar nicht lauten, reißerischen oder plakativen, sondern vielmehr durch die im Latenten lauernde Wucht bestechenden Arbeiten.