gespräch/webmagazin

19. Oktober 2017

Zone des Misstrauens Ruben Östlund im Gespräch über seinen Film The Square

Von Jörg Heiser

The Square

© Alamode Filmverleih

 

Jörg Heiser: Als Sie an dem Drehbuch für The Square arbeiteten – wie haben Sie eigentlich die Figur des Musemsdirektors entwickelt? Dachten Sie bei diesem «Christian» der Stockholms Kunstmuseum leitet, etwa an Chris Dercon, der ja als ehemaliger Direktor der Londoner Tate Modern nun in Berlin als neuer Leiter der Volksbühne einen riesigen Shitstorm erlebt, ganz ähnlich wie Ihr Held?

Ruben Östlund: Nein – ich wusste ganz schnell, als ich an der Persönlichkeit von Christian arbeitete, dass ich ihm als Protagonisten eigentlich gar keine Besonderheiten verleihen will. Er sollte vielmehr von der Position kontrolliert werden, die er im System hat. Was beeinflusst denn die Arbeit des Chefkurators eines Museums? Man ist natürlich auch einfach ein Mensch und hat verschiedene Interessen und Bedürfnisse – aber dann gibt es eben all die anderen Faktoren: die Mäzene und Sponsoren, die öffentliche Hand, man muss auf seinen Ruf achten usw. Das ist mein Regiestil: Ob es der Museumsdirektor, der Künstler oder die Promo-Leute sind – mir geht es bei den Figuren nie um etwas anderes als die soziale Position, in der sie sich wiederfinden.

Wie haben Sie recherchiert? Ich weiß, dass Sie Daniel Birnbaum getroffen haben, den Direktor des Stockholmer Moderna Museet, und früheren Direktor der Städelschule in Frankfurt...

Ja, und das war sehr hilfreich. Als ich mit der Recherche anfing, bin ich ziemlich viel herumgereist und habe viele zeitgenössische Kunstmuseen besucht. Man bekommt auf die Art viel gute Sachen zu sehen – aber eben auch immer wieder die gleiche Art von Kunstwerken, zum Beispiel eine bestimmte Art von Neon-Wandtext neben einem Gegenstand am Boden usw. Diese Objekte landen auch nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen im Museum, etwa aufgrund bestimmter Konventionen des spekulativen Sammelns. Als Duchamp einst das Readymade schuf, wollte er provozieren und infrage stellen, wer auf welche Weise darüber bestimmt, was wie als Kunst ausgestellt wird. Aber heutzutage ist davon nicht viel übrig. Dieser Gestus ist komplett absorbiert und von anderen Absichten und Werten ersetzt. Mir ging es also schlicht darum, herauszufinden, welche Beziehung wir überhaupt noch zu diesen Kunstwerken in diesen Ausstellungsräumen haben.

Was Christian aber Riesenärger einbringt sind nicht die Objekte im White Cube, sondern ein partizipatives, performatives Kunstwerk: The Square, ein Stück Kunst im öffentlichen Raum. Es wird zum großen Medienskandal. Ich war ziemlich erstaunt, als ich gelesen habe, dass Sie zusammen mit der schwedischen Filmproduzenten-Legende Kalle Boman tatsächlich ein solches Kunstwerk noch vor dem Dreh realisiert haben.

Ja, die Idee entstand ursprünglich, als ich 2011 meinen Film Play drehte, in dem es um heranwachsende Jungs geht, die andere Jungs in meiner Heimatstadt Göteborg ausrauben. Bei dieser Sache, die auf wahren Begebenheiten beruhte, hatte der sogenannte Bystander-Effekt [Augenzeugen eines Unfalls oder Verbrechens helfen mit abnehmender Wahrscheinlichkeit, je mehr weitere Zeugen hinzukommen, Anm.] eine große Rolle gespielt: Kein Erwachsener half den Kindern, und diese hatten auch nicht um Hilfe gebeten. Die Idee für The Square war dann: Vielleicht können wir einen symbolischen Raum schaffen, wo wir diesen Bystander-Effekt brechen können. Es ist ein bisschen wie beim Zebrasteifen – es gibt eine sehr starke Übereinkunft, dass Autofahrer auf Fußgänger Rücksicht nehmen. Eigentlich eine tolle Sache, wenn man darüber nachdenkt, dass man das mit ein paar weißen Streifen auf der Straße erreicht. The Square ist auch bloß eine weiße, vier mal vier Meter große Umrisslinie auf dem Pflaster oder Asphalt. Uns ging es darum, damit eine kulturelle Vereinbarung in Gang zu setzen, aus diesem symbolischen Ort etwas zu machen, was uns daran erinnert, wie wichtig es ist, dass wir uns rücksichtsvoll gegenüber unseren Mitbürgern verhalten. 2015 wurden wir dann von einem Designmuseum in der kleinen schwedischen Stadt Värnamond eingeladen, das Projekt tatsächlich zu realisieren. Inzwischen gibt es vier der Squares in vier verschiedenen Städten, inklusive Göteborg.

Wie sind diese von der Öffentlichkeit angenommen worden?

In Värnamond scheinen die Leute sich darum zu bemühen, einander die Existenz dieses Orts nahezubringen. Die Polizei hat beispielsweise Schulkinder hingebracht und mit ihnen über Grundwerte des gegenseitigen Umgangs gesprochen. Es gab auch eine Gruppe körperlich Behinderter, die im Square demonstriert haben, weil man ihnen soziale Leistungen gekürzt hatte. Das Motte der Arbeit lautet: «The Square ist eine Zone des Vertrauens, innerhalb seiner Grenzen teilen wir die gleichen Rechte und Pflichten.» Es geht also darum, was man daraus macht.

Für den Film aber machen Sie Ihr eigenes Kunstwerk zum Gegenstand einer Satire. Gleich zu Beginn des Films wird mit einem Kran die Reiterstatue des schwedischen Königs Karl XIV. Johann abmontiert – und ihr Slapstick-mäßig dabei der Kopf abgerissen. An die gleiche Stelle kommt dann The Square, Sie scheinen also zu suggerieren, dass ein peinlicher, geschichtsvergessener Bruch mit der Tradition stattfindet?

Wenn man sich die Idee der Monarchie genau anschaut, kann man wohl kaum noch sagen, dass unter ihr jeder die gleichen Rechte und Pflichten hat. Sie passt also überhaupt nicht zur Idee von The Square. Deshalb gefiel mir der Gedanke, ein Szenario zu entwerfen, in dem die schwedische Krone abgeschafft und der Königspalast in ein Kunstmuseum umgewidmet ist. Aber mit der Statue hat es noch etwas anderes auf sich. Kalle Boman und ich haben in Göteborg vorgeschlagen, dass man das Denkmal von König Karl IX., der im frühen 17. Jahrhundert regierte, an einen anderen Platz der Stadt schafft, wo die Statue seines Sohns König Gustav II. Adolf steht. Wir wollen, dass die beiden Könige von ihrem Podest geholt und ebenerdig nebeneinander gestellt werden, ein Vorschlag, dem wir den Titel Daddy Come Home gegeben haben. Denn wenn sie nebeneinander stehen, stellen wir uns vielleicht endlich die Frage: Und wo ist Mutti? Wo ist Christine von Holstein-Gottorp? Wir haben auch vorgeschlagen, einen Denkmalswettbewerb für die erste öffentliche Statue eines weiblichen Mitglieds der Königsfamilie auszurufen – in ganz Schweden gibt es keine. Und außerdem wollten wir dann an dem Ort, wo vorher Karl IX. stand, einen weiteren Square hintun.

Wie fielen die Reaktionen auf den Vorschlag aus?

Viele Leute fühlten sich total provoziert. Manchmal regen sich die Leute ja über meine Filme auf, aber diesmal schickte man mir Erwachsenenwindeln, und zwar benutzte! Und komischerweise sind es sowohl radikale Linke wie Rechtsextreme, die sich in diesem Punkt einig sind, nämlich dass die Statuen unverändert bleiben sollen.

Im Film sorgt etwas anderes für Empörung: nämlich ein skandalöses Video, mit dem sie die Marketingusancen in Zeiten viraler Dynamiken in sozialen Netzwerken aufs Korn nehmen. Haben Sie bei diesem Teil der Geschichte auch an Fernseh-Comedy der Gegenwart gedacht? Ich musste an die britische BBC-Satire W1A denken oder auch an Louis C.K., also diese Form von Cringe Comedy oder Fremdschäm-Humor.

Ich liebe Louis C.K., und wahrscheinlich interessieren wir uns für ähnliche Situationen. Es geht darum, ein Dilemma zu identifizieren – es gibt zwei Möglichkeiten, aber beide sind Scheiße. Ein guter Teil von Stand-Up Comedy basiert eigentlich auf dieser Art von Dilemma.  Die beiden, die die PR-Typen spielen, arbeiten tatsächlich in der Branche. Mir ging es nicht darum, sie zynisch darzustellen, sondern ich wollte zeigen, wie sie versuchen, sich der Medienlandschaft, mit der wir es heute tatsächlich zu tun haben, anzupassen. Ihnen geht es ganz aufrichtig darum, mit ihrer Kampagne Aufmerksamkeit für die humanistische Botschaft zu erregen, die mit dem Square verbunden ist. Das satirische Element besteht darin, diese Botschaft aber dann mit ihrem Gegenteil zu verknüpfen. Und die Medien gehen voll in die Falle. Die Installation bekommt die ersehnte Aufmerksamkeit. Mein Ziel war, die Medienkrise zu thematisieren, die wir heute erleben, bei der Aufmerksamkeit das höhere Gut als der eigentliche Inhalt ist.

Sie hatten 2014 auch mit der so genannten Kulturmannen-Debatte zu tun, die die schwedischen Medien für Wochen beschäftigte. Die feministische Autorin Ebba Witt-Brattström hatte berühmte skandinavische Autoren wie Stig Larsson und Karl Ove Knausgård angegriffen; diese hätten das Rollenmodell des männerbündlerischen, sexistischen, ja unverhohlen pädophilen Kulturmannes perpetuiert. Hatte diese Debatte einen Einfluss auf ihr Porträt des Christian?

Ja, das ist so. Lena Anderssons Bestsellerroman Widerrechtliche Inbesitznahme (2014, 2016 in deutscher Übersetzung, Anm.) wurde ebenfalls Teil der Debatte. Er ist zwar fiktional, aber basiert auf realen Erfahrungen ihrer Beziehung mit einem berühmten schwedischen Filmregisseur. Aus der einen Perspektive war sie regelrecht so etwas wie ein Stalker, da sie ihn glühend verehrte, und er klipp und klar gesagt hatte, dass er, wenn er sich nicht innerhalb von fünf Tagen bei jemandem zurückmeldet, an einer Zusammenarbeit nicht interessiert ist. Aber sie hat das nicht ganz verstanden und versuchte unentwegt, ihn zu treffen. Am Ende fing er an, sie und die Situation sexuell auszunutzen. Die Beziehung, die Anne, die von Elisabeth Moss gespielte Fernsehjournalistin mit Christian hat, ist eine Variation darauf: das letztlich unausgesprochen ökonomische Verhältnis zwischen zwei Leuten, die Sex haben. In der hochnotkomischen Sexszene unterstellt Christian Anne, ohne es auszusprechen, dass sie drauf und dran sei, Samenraub zu begehen.

Christian ist wie eine zehn Jahre ältere Version von Thomas, dem Familienvater in ihrem vorigen Film Force majeure (2014). Er fährt mit Frau und Kindern in ein Luxus-Ski-Resort und lässt diese bei einem bedrohlichen Lawinenabgang im Stich. Beide Männer sind beruflich erfolgreich – aber sie versagen komplett auf ethischer Ebene. Sie scheinen sich für männliches moralisches Scheitern inmitten von Reichtum zu interessieren. Warum kehren Sie zu diesem Thema zurück?

Für mich ist Christian wirklich wie der zehn Jahre ältere, geschiedene Thomas. Sich selbst als Mann zu reflektieren, sich kritisch mit den sozialen Vorteilen des Mannseins und der damit verbundenen Macht auseinanderzusetzen, hat für mich ganz allgemein mit der eigenen politischen Verortung in der Gegenwart zu tun. Es entsteht ein starkes Gefühl dafür, dass man mit den Erwartungshaltungen an die eigene Position umgehen muss. Dieser Druck ist für Männer wahrscheinlich eine relativ neue Erfahrung. Deshalb interessiert mich das.

In beiden Filmen gibt es Momente, in denen ein halbwegs real wirkendes Szenario in etwas ziemlich Surreales kippt, beinahe im Stil Luis Buñuels, etwa, wenn in The Square plötzlich ein Schimpanse wie aus dem Nichts in Annes Wohnung umherstapft und es sich auf dem Sofa gemütlich macht. Oder wenn das Museumsdinner in einer Gewaltorgie endet.

Ja, ganz richtig. Bei meinen beiden früheren Filmen De ofrivilliga (2008) und Play ging es mir noch viel stärker um Realismus oder auch Naturalismus. Ich fing aber auch schon an, zunächst einen Kontrakt mit dem Publikum einzugehen, demzufolge wir es mit einem ganz realistischen Szenario zu tun haben – um dann aber abstrakter, surrealer zu werden.  Ich wollte spielerischer sein. Oft schaut man sich einen Film an und hat den unausgesprochenen Kontrakt zwischen Regisseur und Zuschauer herausgelesen und man fängt an, sich sicher in diesem Arrangement zu fühlen. Mir aber ist wichtig, nicht nur in Sachen Pace und Rhythmus Dynamik zu erzeugen, sondern auch durch Ästhetik, den Stil des Films. Wenn man immer nur schöne Einstellungen sieht, hören sie irgendwann auf, schön zu sein. Aber wenn man eine schöne Einstellung sieht, der fünf hässliche folgen, gefolgt von wieder einer schönen – dann erst sieht man diese Schönheit wirklich.

Der Performancekünstler, der einen Gorilla imitiert, heißt im Film Oleg Rogozijn, was an Oleg Kulik erinnert, der 1996 bei einer berühmten Performance in der Stockholmer Kunsthalle Färgfabriken als Hund an der Leine auftrat, der tatsächlich Leute biss. Hatten Sie je in Erwägung gezogen, echte Künstler mit echten Kunstwerken zu involvieren?

Ja, hatte ich, aber ich wollte unbedingt einen Performer, der einen Affen nachahmt, und wir waren von Terry Notary fasziniert, der per Motion Capture bei der neuen Planet-der-Affen-Serie gespielt hatte. Kuliks Arbeit war in der Tat eine Anregung. Abgesehen davon haben wir aber ein paar echte Versatzstücke aus der Kunst einbezogen; die Neonarbeit You Have Nothing zum Beispiel ist von dem Berliner Künstler Ruby Anemic.

Da haben Sie mich aufs Glatteis geführt, ich dachte, das wäre eine Parodie.

Und der Pressetext, den Anne am Anfang beim Interview mit Christian zitiert, mit dem ganzen Geschwafel vom «Ausstellbaren» und «der Ausstellung als Nicht-Ausstellung», habe ich aus einer realen Vorlage geklaut.
 
Aber Sie geben sich nicht mit einer Kunstwelt-Parodie zufrieden, sondern stellen größere Fragen: Wie konnte es passieren, dass der schwedische Wohlfahrtsstaat nach und nach von Wirtschaftsinteressen zerbröselt wurde, und wie konnte daraus ein moralisches Vakuum entstehen?

Absolut.

Aber Ihnen muss doch klar sein, wie leicht die Kunst und die Kunstwelt zum Sündenbock für den neuen Hass auf die sogenannte kosmopolitische Kulturelite wird? Die neuen Rechten lieben das, sie verbinden mit zeitgenössischer Kunst nurmehr linksliberale Dekadenz und Verkommenheit. Haben Sie das in Erwägung gezogen, als Sie The Square gemacht haben?

Mir selbst wurde ja vorgeworfen, meine Filme seien zu intellektuell, zu «elitär» dass sie gefälligst unterhaltsamer sein sollen usw. Ich für meinen Teil habe überhaupt kein Problem mit zeitgenössischer Kunst, so lange sie nicht bloß sich selbst und die Konventionen reproduziert. Ich denke aber auch, dass es Blödsinn ist, wenn die Kunstwelt sich gegen jedwede grundsätzliche Kritik einfach dadurch absichert, dass sie sagt: «Das ist Populismus!» Sich hinter diesem Argument zu verstecken, hilft nicht weiter.


The Square von Ruben Östlund läuft ab 19. Oktober bundesweit in den Kinos.

Jörg Heiser ist Direktor des Instituts Kunst im Kontext der Universität der Künste Berlin. Er schreibt kunstkritische Texte für u.a. frieze und Süddeutsche Zeitung.