tiff 2017

6. Oktober 2017

TIFF 2017 Toronto International Filmfestival: 18 Filme

Von Bert Rebhandl

Loveless / Nelyubov (Andrey Zvyagintsev)

Moskauer Peripherie im Winter. Die ersten Bilder darf man gleich einmal im übertragenen Sinn nehmen. Alexei, 12 Jahre alt, kommt von der Schule nach Hause. Die Eltern trennen sich gerade, den Jungen will niemand haben, er ist das Gegenteil eines Wunschkinds. Mutter und Vater haben neue Partner, alle gehören sie zur neuen Mittelschicht, der Vater arbeitet bei einem orthodoxen Fundamentalisten. Alexei verschwindet. Eine groß angelegte Suchaktion einer merkwürdigen, leicht paramilitärisch wirkenden Freiwilligenorganisation führt weiter ins Niemandland, und zu einem denkwürdigen Besuch bei einer postsowjetischen Monstermutter. Irgendwo muss die Lieblosigkeit ja herkommen, sie steckt aber auch in den Gebäuden und im Klima – und in den kühlen, oft halbdunklen Bildern. Im Radio und im Fernsehen wird Geschichte gemacht, die Stimmung ist apokalyptisch, der Ukrainekonflikt beginnt. Die Menschen, aus denen sich eine Zivilgesellschaft bilden könnte, zeigt Zvyagintsev als hoffnungslos verloren.
 

The Nothing Factory / A Fábrica de Nada (Pedro Pinho)

Ein Anruf in der Nacht, ein Arbeiter eilt zur Fabrik, dort werden gerade Maschinen abtransportiert. Was tun? Die Unternehmerin kommt, tut blöd auf Werksfamilie, und stellt eine neue Mitarbeiterin vor, zuständig für Human Resources. Ihre Aufgabe: den Mitarbeitern einer Aufzugfirma einen goldenen Handschlag einreden (rund 10000 Euro). Die aber wollen arbeiten, und diskutieren die Optionen: Streik? (Sie haben aber gar nichts zu tun, was also bestreiken?) Besetzung? (Es ist unklar, ob man es eigentlich noch mit einer Fabrik zu tun hat.) Ausgehend von einem konkreten portugiesischen Fall wird hier das letzte Kapitel des Klassenkampfs noch einmal durchgespielt, mit Anleihen bei den argentinischen Selbstverwaltungsversuchen 2001, mit Ausflügen in den Punk, ins Musical, in die avancierte Kapitalismustheorie und in die Intimität – und mit Figuren (Typen), die ganz großartig das im Grunde anthropologische Dilemma klarmachen: Das Leben ist schon schwer genug, will man dafür jetzt auch noch die ganze Verantwortung haben?
 

Youth / Fang Hua (Feng Xiaogang)

Ein epischer Gegenentwurf zu Jia Zhangkes Klassiker Platform: Liu Feng bringt Xiaopang zu einer Showtruppe der Volksbefreiungsarmee. Die Kulturrevolution wirkt immer noch nach, deswegen muss die Bio von Xiaopang geschönt werden – ihr Vater ist in der Umerziehung. Die erste Stunde von Youth ist ein großartiger Taumel, alles ist Schwung, Lust, Performance und sehnsüchtige Blicke auf einen hübschen Trompeter oder einfach eine Uniform. Dann stirbt Mao, und Schritt für Schritt verändert sich für das Ensemble die Welt, deren Leitfarbe anfangs das leuchtende Rot eines Mao-Plakats war, über das sich ein schwarzer Vorhang legt. Feng Xiaogang schafft eine Erzählung, in der alle Brüche in der Geschichte der Volksrepublik geheilt werden können bis auf den letzten, der ins Wirtschaftswunder (aber auch zum Beispiel in die Emigration nach Australien) führt. Der Paradesoldat Liu Feng (eine bewusste Variation des Propagandahelden Lei Feng) und Xiaopang  enden als Joy Luck Club der Modernisierung von oben.
 

Beyond Words (Urszula Antoniak)

Ein Anwalt (blond und schniek) aus Polen arbeitet in Berlin in einer angeblichen Topkanzlei (der Chef versucht zumindest krampfhaft, den Anschein zu erwecken). Micha soll einen Pro-Bono-Fall übernehmen: einen afrikanischen Dichter, der in Deutschland nicht um Asyl nachsucht, sondern sein Recht auf freie Wahl des Aufenthalts einfordert. Klingt spannend, die Geschichte geht aber in eine andere Richtung weiter: Michas Vater taucht auf, eine eher «künstlerische» Erscheinung. Die beiden haben etwas miteinander auszumachen, vor allem in Berliner Bars und davor. Diese Sache endet unbestimmt. Urszula Antoniak tut alles, um Berlin als dystopischen Ort erscheinen zu lassen (vor allem mit Schärfenkonturen in den schwarzweißen Bildern - die Welt zerfließt rund um die Figuren), diese Anstrengung ist aber nicht die einzige, die eher lächerlich wirkt. Zum Ende hin macht Micha eine Außenseitererfahrung. Er verliert sich in den Nachtasylen eines imaginierten schwarzafrikanischen Berlin (la loi, un noir). Peinlich.
 

The Third Murder / Sandome no Stasujin (Hirokazu Kore-eda)

Ein erzählerischer Traktat über Wahrheitsfragen aller Art: juristische und faktische, strategische und performative Wahrheit. Im Zentrum stehen die Dialoge zwischen dem Mörder Kisumi und seinem Anwalt Shigemori, der ihn vor der Todesstrafe bewahren will. Die beiden sprechen durch eine Scheibe, die Kore-eda ausgiebig für Spiegelungen aller Art nützt. Ein Mann wurde umgebracht und verbrannt, die Geldbörse, die der Täter mitnahm, stinkt noch nach Benzin. Kisumi leugnet die Tat nicht, verweigert aber eine plausible Erzählung davon. Ein früherer Doppelmord spielt eine Rolle, verschiedene falsche Fährten werden gelegt und verfolgt, schließlich verändert ein gehbehindertes Mädchen die Sicht auf die Dinge entscheidend. Kore-eda interessiert sich wie gewohnt für das moderne Japan mit seinen sehr ausgeprägten traditionellen Elementen. Man muss scharf mitdenken, um die Pointe am Ende in allen ihren Dimensionen zu erstehen. Großes, diskretes Werk.
 

I am Not a Witch (Rungano Nyoni)

Eine Frau trägt Wasser auf einer staubigen Landstraße. Sie fällt hin und verschüttet ihre kostbare Fracht. Ein Mädchen blickt stumm auf die Szene. Es gerät unter Verdacht: War das ein fauler Zauber? Den «Hexenprozess» organisiert ein fetter Günstling der «Regierung», ein lächerlicher Zauberer befindet über das Mädchen, das tatsächlich den üblicherweise viel älteren Hexen zugeschlagen wird und den Namen Shula (die Entwurzelte) bekommt. Hexen müssen angebunden werden, sonst fliegen sie weg und stiften Schaden in aller Welt. Die Spulen mit den Bändern sind das Sinnbild in diesem immer wieder bitterbösen, satirischen Film, in dessen Zentrum aber eine unlösbare Frage steht. Denn die Entscheidung Hexe/Mädchen, die sich in nicht minder unbestimmbaren Hexenorakeln und –schiedssprüchen spiegelt, entspricht auf einer allgemeineren Ebene ja dem Unterschied zwischen authentischer lokaler Kultur und der «Vernunft» eines westlichen Publikums, im Film vertreten durch einen schäbigen Weißen, der ungerührt fragt: Wann kommt jetzt der Regen?
 

Mrs. Fang (Wang Bing)

Eine Frau stirbt. Sie leidet an Alzheimer, immer wieder hält Wang Bing die Kamera minutenlang knapp vor ihr Gesicht, aus dem keine Reaktion mehr kommt. Nur der halb geöffnete Mund und der leere Blick. Rundherum geht das Leben weiter. Die Familie versammelt sich am Krankenbett und wartet auf den Tod. Draußen essen die Männer, rauchen und trinken, feixen und lachen. Ein Dorf im subtropischen Süden der Volksrepublik ist die erweiterte Szene von Mrs. Fang. Großartig vor allem die Szenen eines nächtlichen Fischgangs, dann die Stimmung in der Morgendämmerung. Mrs. Fang ist irgendwann tot, aber diese zentrale Tatsache zu zeigen oder auch zu verstehen, scheint nicht das Ziel dieses Films zu sein. Wang Bing will das Individuum Frau Fang in ein Verhältnis setzen zu der Welt, aus der sie verschwindet - und diese Welt wird mit den Mitteln des digitalen Films (großartige Kamera, unglaublich präsenter Ton) so hautnah vermittelt, dass einem im Kino beinahe der Schweiß auf die Stirn tritt.
 

The Motive / El Autor (Manuel Martín Cuenca)

Álvaro, ein Mann mit einem langweiligen Beruf (er ist Notar) träumt von einer Karriere als Schriftsteller, zumal seine Frau in diesem Beruf gerade sehr erfolgreich geworden ist - und ihn dann auch verlässt. Leider hat Álvaro ein etwas triviales Verständnis von Literatur. Ihm fällt nichts ein, es sei denn, er erlebt es selbst, und ist dabei irgendwie leidenschaftlich verstrickt. Manuel Martín Cuenca geht recht systematisch vor: zuerst lässt er Álvaro einfach die Gespräche seiner Nachbarn mitschneiden (das Smartphone kann alles), dann greift er aber immer stärker in das Leben dieses Paares ein. Es zeichnen sich die Konturen eines großen («wahrhaftigen») Romans ab, aber die Fortschritte bei der performativen Herstellung einer literarischen Vorlage führen zu einer bitteren Pointe - die so gut ist, dass Álvaro nicht anders kann, als ihre Brillanz anzuerkennen, auch wenn sie eindeutig auf seine Kosten geht.

 

The Death of Stalin (Armando Iannucci)

Den letzten Auslöser für den Tod von Stalin bildet eine Protestnote, von der die Weltgeschichte nichts weiß, die aber in dieser Komödie das Prinzip kleine Ursache – enorme Wirkung vertritt. Stalin erleidet einen Schlaganfall, und obwohl es gelingt, ihn noch einmal kurz zu reanimieren, steht nun die Zukunft der Sowjetunion auf dem Spiel. Wer wird sich im Kampf um die Nachfolge durchsetzen? Der skrupellose Beria, oder der deutlich menschlichere «Nikki» Chruschtschow? Sicher nicht in Frage kommt der eitle Malenkov, der bevorzugt weiße Uniformjacken trägt, und der ideal dafür geeignet ist, zuerst einmal nach vorne geschoben zu werden, während im Hintergrund die Messer gewetzt werden. Tolle Schauspieler (Steve Buscemi, Jeffrey Tambor, Michael Palin, Simon Russell Beale) in einer rasanten Komödie, die dabei immer weiß, dass es um eine Geschichte der Gewalt geht. Vorlage ist ein französisches Comic. Regisseur Armando Iannucci ist auch der Mann hinter Veep.

 

The Final Year (Greg Barker)

Das letzte Jahr der amerikanischen Außenpolitik unter Barack Obama in einer «eingebetteten» Dokumentation mit zwei wichtigen Mitarbeitern in der Hauptrolle: Ben Rhodes und Samantha Powers. Sie vertreten hier die Ideale einer Diplomatie, von deren Kehrseite (den Drohnen) The Final Year vielleicht ein bisschen zu wenig wissen will. Davon abgesehen ist das aber natürlich eine toller, schmerzhafter Film, denn zwischen all die Bemühungen, in der chaotischen Welt irgendwo Schrauben zu finden, an denen man drehen kann, beginnt in den USA ein Phänomen Gestalt anzunehmen, das dann in einer gerade auch für diesen Film denkwürdigen Wahlnacht konkret wird: Trump, die Nemesis jeglicher Diplomatie. Die Sprachlosigkeit von Ben Rhodes an Ende dieser Nacht ist allein den ganzen Film wert, der noch einmal deutlich macht, das der große Intellektuelle Barack Obama auch ein entsprechendes Umfeld hatte. The Final Year hat fast die idealistische und idealisierte Intelligenz der Serie The West Wing.

 

Redoubtable / Le redoutable (Michel Hazanavicius)

Michel Hazanavicius zieht aus Pierrot le fou und La Chinoise die offensichtlichste aller Folgerungen und nimmt den Jean-Luc Godard dieser Jahre als Popphänomen sui generis: Das Biopic nimmt dabei chamäleonesk die Farben und Formen der Godard-Ästhetik dieser Jahre an, in denen für den Star der Nouvelle Vague alles auf einen Abschied vom Kino hinauslief. Natürlich ist es ein aussichtsloses Unterfangen, jetzt mit großer Verspätung noch einmal so pop sein zu wollen, wie Godard es damals widerwillig war. Und die Perspektive der jungen Anne Wiazémsky hilft auch nicht viel weiter, denn Godard hat ja selbst schon mehrfach aufrichtig beteuert, wie sehr es ihn schmerzt, dass er Frauen (abgesehen von Anne-Marie Miéville, aber da wissen wir nicht viel Genaues) immer nur «Kino, aber nie Leben» geben kann. Von Le redoutable aus wird der Talmi-Charakter von The Artist noch einmal deutlicher. Detail: Warum muss Louis Garrel immer so verschämt rauchen? Godard war doch auch damals schon ein Schlot.

 

Mademoiselle Paradis / Licht (Barbara Albert)

Wien im späten 18. Jahrhundert: Die blinde Resi Paradis ist eine erfolgreiche Musikerin, als Phänomen wird sie in den Salons herumgereicht, ihre Eltern sind stolz auf sie, hadern aber auch mit ihrer Behinderung. So bringen sie das Mädchen eines Tages zum Doktor Mesmer, einem Mann, der sich als Wissenschaftler geriert, der aber entsprechend dem Wissen seiner Zeit auch noch ziemlich im Dunkeln tappt. Er bringt aber doch so etwas wie eine Heilungserfolg zuwege, und nun ist Resi wieder ein Phänomen. Die höfische Gesellschaft ist aber erstens borniert, und die Heilung auch nicht so eindeutig, dass nicht erst recht wieder Tratsch und Missgunst überhand nehmen könnten. Barbara Albert erzählt eine Opfergeschichte als Fallstudie einer retardierenden Aufklärung. Der Historisierungseffekt durch Kostüm und Pose ist allerdings zu stark, als dass man einen gewissen Formalismusverdacht los würde.

 

Soldiers. Story from Ferentari / Soldatii. Poveste din Ferentari (Ivana Mladenovic)

Adrian kommt nach Ferentari, ein besonders verrufenes Getto in Bukarest. Er ist ein Feldforscher, sein Thema ist die Manele-Musik, eine lokale Roma-Kultur. Er kommt bei seinen Recherchen aber nicht weit, denn er gerät schon früh an Alberto Vasile, einen Schwerenöter, der die überwiegende Zeit seiner erwachsenen Jahre im Gefängnis verbracht hat. Hinter Gittern hat Alberto sich so an die homosexuellen Praktiken gewöhnt, dass er mit Adrian zwar zuerst unbedingt eine lokale Prostituierte herbeirufen möchte, als sich das aber zerschlägt, hat er eben mit Adrian Sex. Die beiden Männer (Bild), beide eigentlich nicht schwul, werden ein Paar – ein Paar, das aus verschiedenen Nöten geboren wurde. Ivana Mladenovic, bisher als Dokumentaristin bekannt, begibt sich hier auf Grundlage eines Buches von Adrian Schiop (der sich auch selbst spielt) in einen Grenzbereich von cinéma verité und Spielfilm. Großartig in vielerlei Hinsicht.

 

Dark is the Night / Madiling ang Gabi (Adolfo Alix jr.)

Was die Drogenpolitik unter Präsident Duterte so in den Vierteln der einfachen Leute anrichtet, davon erzählt Adolfo Alix jr. in Form einer Seifenoper: Der Sohn einer Familie, die ihr Textilgeschäft auch als Umschlagplatz für Drogen genutzt hat, nun aber angesichts der Todesschwadronen aus dem Geschäft aussteigen will, ist verschwunden. Vater und Mutter machen sich auf die Suche, der Film bleibt meistens bei der Mutter. Es wird viel appelliert, an verschiedene Bosse auf verschiedenen Ebenen der (bestens mit den Institutionen vernetzten) Branche. Nichts an Dark Is the Night ist subtil, alles dient einer permanenten melodramatischen (familiären) Zuspitzung und der Vermittlung der klaren Botschaft, dass unter der Führung von Duterte die philippinische Gesellschaft auf einem Feldzug gegen sich selbst ist.

 

Jeannette, the Childhood of Joan of Arc (Bruno Dumont)

Auf Grundlage von Charles Péguys Stück über die junge Jeanne d’Arc (deutscher Titel: Das Mysterium der Erbarmung) kommt Dumont zu seiner sehr eigenwilligen Version des französischen Nationalstoffs: Die Entscheidung der Bauerntochter, sich in den europäischen Konflikt zwischen Frankreich, Burgund und England einzumischen, kommt aus einer mystischen Disposition. Den «anderen Zustand», wenn man das so nennen will, macht Dumont nun wirklich anders: das Musical, das ja noch eine plausible Form für eine Religiosität mit unbestimmbarer Transzendenz wäre, ist bei ihm ein Metal-Singspiel, und die Verzückung geht mit häufigem Headbanging einher. Gedreht wurde, wenn ich richtig gesehen habe, in Dumonts Heimat, also am Atlantik, und nicht in der Kerngegend. In der Reihe der großen Jeannes, von Dreyer über Rossellini bis Besson, bleibt diese auf jeden Fall unvergesslich, denn wenn dieser Film etwas ist, dann sicherlich: fromm. Höhepunkt, aber auch verstörend.

 

Caniba (Véréna Paravel, Lucien Castaing-Taylor)

Nach somniloquies bei der Berlinale kommen Paravel und Castaing-Taylor zum zweiten Mal in diesem Jahr mit einer Extremdoku heraus: Caniba widmet sich dem in einschlägigen Kreisen bekannten Issei Sagawa, der vor vielen Jahren in Frankreich eine junge Frau getötet hat, weil er sie essen wollte. Sagawa lebt heute wieder in Japan, und der Clou von Caniba ist, dass ihn die Filmemacher gemeinsam mit seinem Bruder vor die Kamera bekommen haben. Das Ergebnis ist eine intime Studie von Perversion, gefilmt zuerst lange mit dieser Suggestion großer Nähe (die aber auch technische Distanz erkennen lässt), die schon somniloquies hatte. Dann öffnet sich der Blick immer mehr – ein Comic, das Sagawa über seine Tat gezeichnet hat, könnte expliziter kaum sein. Der Bruder bringt die Sache schließlich in ein familienhistorisches Verhältnis, das nichts erklärt, aber vieles erschließt.

 

I Love You, Daddy (Louis C. K.)

Louis C. K. mit einer schwarzweißen Komödie, deren Titelcredits an das klassische Hollywood erinnern sollen. Es geht aber – eingeschrieben in eine Familiengeschichte mit einem alleinerziehenden Vater (der Regisseur) und seine kurz vor der Volljährigkeit stehende Tochter – auch um das Verhältnis von Fernsehen und Kino. Glenn Topher ist ein bewunderter Serienautor («I love your writing» ist das Kompliment, das er am häufigsten hört), seine Tochter beginnt sich für den Kultregisseur Leslie Goodwin zu interessieren, den John Malkovich in einer großartigen Rolle mit allen Klischee zwischen décadence und Orientalismus ausstattet. Die Eifersucht von Topher, der um die «Unschuld» seiner Tochter fürchtet (die aber vielleicht schon in Florida der Spring Break zum Opfer fiel), mag auch mit dem Systemunterschied zwischen Kino und Fernsehen zu tun haben, mit dem I Love You, Daddy aber eher locker spielt, als ihn wirklich zu untersuchen.

 

Zama (Lucrezia Martel)

Mit dem neuen Film von Lucrezia Martel habe ich mich eher treiben lassen, als dass ich den konzentrierten Versuch gemacht hätte, der komplizierten Handlung zu folgen. Zama ist ein Vertreter der spanischen Krone an einem entlegenen Posten in Argentinien, ein correhidor, der eigentlich nichts anderes möchte, als von diesem Ort, an dem sich Indigene, (frühere) Sklaven und Kolonialherren kaum auseinanderhalten lassen, endlich wegzukommen. Es kommt aber ganz anders, auf der Suche nach einem Bandenführer muss Zama noch tiefer in den (metaphorischen wie konkreten) Sumpf. Was schon an La cienaga so toll war, diese fast körperlich spürbare Präsenz der Natur in und unter den Menschen, das wird in Zama noch einmal intensivere Filmtextur, ein Gespinst aus vielfach geschichteten Bildern und Tönen – mit einem Wort: betörende Komplexität. Werde ich sicher noch mehrfach sehen wollen, dann auch vorbereitet durch Lektüre der literarischen Vorlage von Antonio di Benedetto.