gespräch/video

13. Januar 2011

Werkgespräch – Rudolf Thome

Von Lukas Foerster und Ekkehard Knörer

Den Start von Rudolf Thomes jüngstem Film DAS ROTE ZIMMER nehmen wir zum Anlass für ein großes Interview über sein Werk und sein Leben. Im ersten Teil spannt sich der Bogen von Thomes Anfängen als Filmkritiker und Filmemacher im München  der 60er Jahre bis zu einem seiner größten Erfolge beim Publikum und (nach Anlaufschwierigkeiten) auch bei der Kritik: BERLIN CHAMISSOPLATZ

Rudolf Thome über sein Studium, die Arbeit als Filmkritiker für die SZ und die ersten Versuche als Filmemacher
Rudolf Thome über seine Kurzfilme, über Straub, Lemke, Fassbinder und die Oberhausener
Rudolf Thome über das Programm der Münchner und die ersten Langfilme
Rudolf Thome über Bücher, Singen im Film, Marquard Bohm und Uschi Obermaier
Rudolf Thome über Klaus Lemke, ökonomische Flops und die Wirklichkeit der Dinge
Rudolf Thome über die Einflüsse von Godard, Rohmer, Gerichtsvollzieher und die Flucht von München nach Berlin
Rudolf Thome über seinen filmischen Neuanfang, Rivette und MADE IN GERMANY UND USA
Rudolf Thome über Made IN GERMANY UND USA (Forts.) und TAGEBUCH
Rudolf Thome über BESCHREIBUNG EINER INSEL
Rudolf Thome über Hanns Zischler, Jochen Brunow und die Arbeit als Filmkritiker fürs Stadtmagazin Hobo

Mit 71 Jahren und nach 28 Langfilmen wird Rudolf Thome in Texten zu seinem jüngsten Film Das rote Zimmer noch immer als "großer Unbekannter" des deutschen Kinos bezeichnet. Das nimmt dann doch Wunder. So kontinuierlich wie er hat kaum einer unter all denen, die in den Sechzigern anfingen, andere deutsche Filme zu machen, arbeiten können. Der eine oder andere Klassiker ist durchaus dabei, etwa Rote Sonne (1970), in dem Uschi Obermaier & Co mit manchem Mann kurzen Prozess machen. Oder die Kreuzberger Gentrifizierungs-Liebesgeschichte Berlin Chamissoplatz (1980), in der Hanns Zischler aufs Ergreifendste ein Lied für Sabine Bach singt. Mit Der Philosoph feierte Thome Erfolge im europäischen Ausland, ohnehin war man ihm an Frankreich zeitweise stärker zugeneigt als in seiner Heimat.

Dennoch kann man nur staunen, wie sehr sein Werk, so sanft es daherkommt, Publikum und Kritik polarisiert. An begeisterten Stimmen hat es niemals gefehlt, an Kopfschütteln auch nicht. Gründe gibt es, versteht sich. Insbesondere in Deutschland ist zwischen den Stühlen, auf denen Rudolf Thome nicht sitzt, traditionsgemäß wenig Platz. Seine Filme gehorchen keiner bekannten Konvention und sind von allem sichtbaren Avantgardismus doch weit entfernt. Der Alltag steht ihnen durchweg näher, noch da, wo es weit weg auf eine Insel im Pazifischen Ozean geht. Politische Filme macht Rudolf Thome nicht, seine Utopien sind, wo es sie gibt, privater Natur, seine Kühnheiten ästhetischer, aber stets sehr unaufdringlicher Art. Er ist ein liebevoll ironischer Beobachter von Menschen, der seine Darstellerinnen und Darsteller liebt. Das ist ein Realismus eigener Art: Nicht der Plot zählt, sondern das, was er möglich macht: an Überraschungen, Gefühlen, Aktionen und Reaktionen der Figuren. 

Bei allen Brüchen, die sein Werk aufweist, bleibt der Ton, den Thome anschlägt, doch immer sehr eigen. Obwohl er nie verschwiegen hat, wen er verehrt. Seine erklärten Vorbilder und/oder Lieblingsregisseure waren von Anfang an Howard Hawks, der klassischste aller klassischen Hollywood-Regisseur, Yasujiro Ozu mit seinen im Ton unterspielten, formal so kühnen wie strengen Alltagsgeschichten und der Jean-Luc Godard vor allem der Sechziger Jahre. Auch Roberto Rossellini ist wichtig, für den blauen Hanser-Band zum Werk des Regisseurs hat Thome als Quasi-Monografie sämtliche Texte zu den einzelnen Filmen verfasst. (Wie sehr Thome sich bis heute von Neuentdeckungen begeistern lässt, kann man in seinen Texten zu Hong Sang-soo in CARGO 08 und seinem Blog nachlesen.)

Zu den Brüchen, um die es auch in unserem Werkgespräch geht: Mit den Freunden Max Zihlmann und Klaus Lemke beschließt er im München der Sechziger, Filme zu machen. Zuvor hat er Literatur und Philosophie studiert und als Filmkritiker gearbeitet. Letzteres wird er übrigens bis in die Mitte der Siebziger sehr fleißig tun, für die Filmkritik, die SZ, den Tagesspiegel, das Berliner Stadtmagazin Hobo (Vorgänger der Zitty). Nach ersten Kurzfilmen entstehen mit Detektive (1968), Rote Sonne (1969) und Supergirl (1970) nachmals zu etwas wie Kultstatus aufgestiegene Anverwandlungen der Nouvelle Vague, alle nach Drehbüchern von Max Zihlmann, alle haben Genre-Elemente, machen sich aber nicht wirklich was draus. Ein vierter Langfilm - Fremde Stadt (1972) - wird noch in München gedreht, das Finanzierungskonzept geht nicht auf. Rudolf Thome ist hoch verschuldet und flieht nach Berlin.

Dort arbeitet er fürs Arsenal und dreht mit fast keinem Geld drei Filme, die sich in ihrem Charakter stark von den Vorgängern unterscheiden. Sie sind weitestgehend improvisiert, aus dem geplanten Bankraubfilm  Made in Germany und USA (1974) wird so ein den Ozean überquerendes Beziehungsdrama der anstrengenden, aber ziemlich aufregenden Sorte. Der Nachfolger Tagebuch (1975) ist aus vielen Gründen interessant. Die erste von zwei Wahlverwandschaften-Verfilmungen (Goethes Roman ist ein Schlüssel zu vielen Motiven in Thomes Werk), in der noch dazu Rudolf Thome die männliche Hauptrolle des Eduard spielt. In Wahrheit weniger eine Verfilmung als eine deutsch-englische Improvisation über die Themen des Goethe-Romans, angesiedelt in einem kargen Loft in Berlin-Kreuzberg.

Für Beschreibung einer Insel (1977/8) begaben sich Thome, seine Ko-Regisseurin Cynthia Beatt, die Schauspieler und das Team für ein halbes Jahr auf die Hebriden-Insel Ureparapara und brachten eine dokumentarische Fiktion davon mit. Heraus kam "ein ethnographischer Spielfilm, ein Film, in dem Ethnographie mitspielt" (Frieda Grafe). (In einem ganzen Heft der Filmkritik war das Projekt vor seinem Entstehen bereits skizziert worden. Vieles ging, wie man da nachlesen kann, anders aus als gedacht.)

Ein weiterer Neuanfang ist der letzte Film, um den es in diesem ersten Teil des Interviews geht: Berlin Chamissoplatz (1980). Hier gab es wieder ein festes Drehbuch, das Thome selbst mit Jochen Brunow - seinem einstigen Kritikerkollegen von Hobo - verfasst hat. Erstmals taucht hier Hanns Zischler auf, der in vielen der folgenden Filme kleine (etwa gerade in Das rote Zimmer) und große Rollen spielen wird. 

Entstanden ist das Interview an einem Sonntag im Dezember auf Rudolf Thomes Bauernhof im brandenburgischen Niendorf. Das untere Ende des Mikrofons, das wir in Clip neun und Clip zehn im Bild hängen gelassen haben, gehörte übrigens nicht zu uns. Serpil Turhan (und Tonmann Binge Bingül) haben das Interview mitgefilmt, für eine im Entstehen begriffene Dokumentation über den Regisseur, als dessen Regieassistentin Turhan zuletzt oft gearbeitet hat. Ekkehard Knörer

Eine Filmografie mit gesammelten Kritiken, Interviews und weiteren Informationen findet sich auf der Website des Regisseurs. Das ist eine Fundgrube nicht zuletzt zur Geschichte der deutschen Filmkritik im Wandel der Zeit. (Von Frieda Grafe bis Karsten Witte, von Hans-Christoph Blumenberg bis Peter Nau sind viele der großen Namen vertreten.) 

Zu den Eigenheiten Thomes gehört immer schon eine große Aufgeschlossenheit für technische Neuerungen. So war er auch ganz früh schon, als eine Art Proto-Blogger, im Netz. Sogar seine Drehbücher schreibt er vor den Augen der Öffentlichkeit. Während des Drehs gibt es Fotos von jeder gedrehten Einstellungen. All das auf der Moana-Website, die zum Leben wie zum Werk Thomes gehört.