spielfilm

2. Juli 2016

Verletzungsgefahr Filmhinweis für Berlin: The Bigamist (1953) von Ida Lupino im Arsenal

Von Bert Rebhandl

© The Filmakers

 

Beim Thema Bigamie stellen sich zuerst einmal praktische Fragen: Wie geht sich das aus, zwei Beziehungen zu führen, von denen der Großteil der Menschen nach wie vor glaubt, dass sie einander ausschließen? Aber auch grundsätzlicher steht da mehr auf dem Spiel als nur das Schicksal von drei (plus) Menschen. Es geht um «the very roots of our society», das wird auch in Ida Lupinos The Bigamist so angesprochen: Die reproduktiven Kernfamilien bilden das Wurzelwerk der Gesellschaft. In der Metapher steckt auch schon die Pointe. Wurzeln neigen dazu, sich untergründig zu verzweigen.

The Bigamist versucht, sich von den modernen Verhältnissen ein Bild zu machen. Der Vertreter (im «deep freeze business») Harry Graham lebt in San Francisco, ist beruflich aber oft und lang in Los Angeles. In San Francisco hat er eine Frau, Eve (Joan Fontaine), die auch seine Mitarbeiterin und bald so etwas wie seine Managerin ist. In Los Angeles ist er einsam, bis er eines Tages (auf einer Bustour, die durch Beverly Hills entlang der Eigenheime von Stars wie Barbara Stanwyck führt) die einsame Phyllis kennenlernt. Sie ist Serviererin in einem chinesischen Restaurant. Harry findet sofort Gefallen an dieser «funny little mouse», aber es dauert eine Weile, bis es zwischen ihm und Phyllis (Phyl) richtig ernst wird. Er ist ja verheiratet, und sie weiß um die Tiefe ihres Bedürfnisses («She can be hurt like the rest of us», sagt später ein Arzt über sie), bleibt also vorsichtig. Sie kommen dann doch zusammen, das verrät ja schon der Titel, und es kommt vor allem darauf an, wie und ob sich die Sache lösen lässt.

Ida Lupino, diese Ausnahmefigur in Hollywood (Actress-Directress, unabhängige Produzentin), spielt in The Bigamist die «lustige kleine Maus», während Joan Fontaine die blonde Eve spielt - zwei Frauen, die mit einem Mann zusammen sind, von dem aus heutiger Sicht nicht mehr ganz so klar ist, wie jemand auf den Gedanke kommen könnte, es gäbe für diesen Harry eine «Warteliste». Edmund O'Brien ist mit seiner stattlichen Erscheinung eher ein Bild von einem Mann als eine voll entwickelte Figur. Aber das liegt auch daran, dass The Bigamist eher wie ein soziologisches Experiment wirkt, eine Versuchsanordnung, die fast schon syllogistisch von dem Begriff ausgeht: Ein Bigamist ist ein Mann mit zwei Frauen. Was hat es damit alles auf sich? Erstens ist das eine Frage von Zeit und Ort. Eine Beziehung ist zuerst da, sie hat Defizite (biologisch: Eve kann keine Kinder bekommen; ökonomisch: Harry ist aus beruflichen Gründen oft abwesend; emotional: Eve denkt ein wenig zu stark ans Geschäft), die andere Beziehung hat den Vorzug genuiner Gefühle, steht aber unter dem Vorbehalt, dass Harry und Phyllis nicht mehr unbefangen sind.

Einer der großen Vorzüge des Films ist, dass Eve allmählich wieder ins Boot geholt wird, sodass sich eine ganze Reihe von Widersprüche ergibt, oder ein Diagramm von Ironie: «in this case there is a peculiar irony». Es ist ganz einfach die (potentiell tragische, hier aber sozialoptimistisch eingehegte) Ironie, die daraus entsteht, dass der Bigamist keine schlechten Absichten hat. Er ist «both gallant and foolish», wie der Mann von der Adoptionsbehörde findet, der dieser Geschichte auf die Spur kommt, die in Flashbacks erzählt wird. Als sich die Sache nicht länger geheimhalten lässt, wählt Lupino einen auffälligen Blickwinkel: Aus einem Hochhausfenster blickt die Kamera hinunter auf die Einfahrt, in der die Polizei auf Harry wartet. IN und OUT steht in großen Buchstaben auf dem Asphalt, es geht um die Parkgarage, aber es geht auch um die fast schon systemtheoretischen Logiken, von denen sich The Bigamist einen Begriff macht.

In Zeiten von Polyamorie und Patchwork mag das alles altmodisch wirken, aber genau genommen sind die Ironien die gleichen geblieben: Liebe gibt es nicht ohne Verantwortung, und in der Spannung dazwischen entsteht Gesellschaft. Eine besondere Ironie liegt übrigens darin, dass Ida Lupino im Film die Phyllis spielt, eigentlich aber eher der Figur der Eve entsprach: Eine Geschäftsfrau, die mit Collier Young eine Produktionsfirma gründete, die sie auch dann noch gemeinsam (und freundschaftlich) weiter betrieben, als sie schon geschieden waren – und Young mit Joan Fontaine eine neue Ehe eingegangen war.

Zu diesen Umständen sagt der Richter im Film das Wesentliche: solange eine uneheliche Beziehung unehelich ist, ist das alles allein Sache der Beteiligten; sobald aber eine uneheliche Beziehung ehelich wird, kommt das Gesetz ins Spiel. The Bigamist löst das mit einem salomonischen Urteil: «the penalty of the court is the smallest», und erweitert damit die Spielräume aller Beteiligten.

Mit The Bigamist eröffnet das Arsenal heute eine von Hannes Brühwiler und Lukas Foerster kuratierte Reihe mit von Filmen von und mit Ida Lupino