spielfilm

18. August 2009

Jews Turned Nazis Literalsinn

Von Ekkehard Knörer

Quentin Tarantinos Inglourious Basterds ist eine Rachefantasie, daran lässt der Autor und Regisseur selbst keinen Zweifel. In einem Artikel in Newsweek erklärt Daniel Mendelsohn, warum daran beides, die Rache wie die Fantasie, in seinen Augen höchst problematisch ist. Mendelsohn ist der Verfasser von The Lost. A Search For Six of Six Million, einer Form autobiografischer Geschichtsschreibung: Mendelsohn forscht darin dem Schicksal einer Familie aus seiner näheren Verwandtschaft nach, die von den Nazis geötet wurde. Jüngst war zu hören, dass Jean-Luc Godard über eine Verfilmung (bzw. ganz sicher: «Verfilmung») dieses Buches nachdenke.

Hier das wohl zentrale Zitat aus dem Newsweek-Artikel (auf den ich, dank theauteursdaily, über einen Eintrag in Jonathan Rosenbaums Blog kam, der das Verdammungsurteil gegen den Tarantino-Film mit Begeisterung unterschreibt):

Tarantino, the master of the obsessively paced revenge flick, invites his audiences to applaud this odd inversion—to take, as his films often invite them to take, a deep, emotional satisfaction in turning the tables on the bad guys. («The Germans will be sickened by us», Raine tells his corps of Jewish savages early on.) But these bad guys were real, this history was real, and the feelings we have about them and what they did are real and have real-world consequences and implications. Do you really want audiences cheering for a revenge that turns Jews into carboncopies of Nazis, that makes Jews into «sickening» perpetrators? I'm not so sure. An alternative, and morally superior, form of «revenge» for Jews would be to do precisely what Jews have been doing since World War II ended: that is, to preserve and perpetuate the memory of the destruction that was visited upon them, precisely in order to help prevent the recurrence of such mass horrors in the future. Never again, the refrain goes. The emotions that Tarantino's new film evokes are precisely what lurk beneath the possibility that «again» will happen.

Rache und die Befriedigung, die man daraus zieht, sind, so Mendelsohns Argument, an und für sich faschistisch. Beziehungsweise, diese entscheidende und um einiges radikalere Zusatz-Implikation formuliert er nicht: Nicht nur die tatsächliche Rache, sondern schon die Rachefantasie ist es. Der Rachewunsch ist per se faschistisch – nur, wenn man das so eindeutig formuliert, kann man zur These gelangen, eine fiktionale blutige Rache (und ihr Bejubeln) mache trotz aller sonstigen Differenzen einen Juden und dann auch den realen Bejubler der blutigen Taten mehr als nur quasi zum Nazi. Nun könnte man schon über die mögliche Rechtfertigung realer Racheakte unter bestimmten - und natürlich gerade den historisch hier verhandelten – Umständen streiten. Das Ausleben allein schon von Rachefantasien aber für ethisch verwerflich zu erklären, ist kaum weniger als die moralische Absage an die abendländische Kulturgeschichte.

Das Argument, das man gegen Tarantino (hier und grundsätzlich) machen kann, wäre und ist ja auch, dass er intellektuell und moralisch und sonstwie über die Adoleszenz nie hinausgelangt ist. Dass die Wünsche, die er in seinen Filmen inszeniert, Nerd-Fantasien sind. Dass man auf erwachsenere Weise über Schuld, Rache, Gewalt und Geschichte nachdenken kann, als er das hier und überhaupt tut. Schon das ist eine sehr zweischneidige Angelegenheit, weil Tarantino in seinen besseren Momenten adoleszente Fantasien, wie wir alle sie kennen und haben – bewusst oder nicht – gerade in ihrer äußersten Ambivalenz und Zweischneidigkeit vorführt. (Es reduziert sich selten auf reine Wunscherfüllung. Darum ist in Inglourious Basterds die Hans-Landa-Figur als Generator von Ambivalenzenergien so wichtig.) Mit Mendelsohn müsste man aber sagen: Der Nerd in mir ist ein Nazi. Und das scheint mir dann doch in einer Weise übertrieben, dass es schon keine Übertreibung mehr ist, sondern gefährlicher Blödsinn.