depressionsfilme

10. August 2009

Keep On Running Folge 7: Wild Boys of the Road (William A. Wellman) USA 1933

Von Ekkehard Knörer

© Warner Bros.

 

Wie ein ungebärdiges Tier rumst und rumpelt von rechts ein Auto ins Bild. Eine Tür fällt heraus, dahinter liegen – es ist Pre-Code! – ein junger Mann und eine junge Frau eng umschlungen. Eine Highschool-«Sophomore»-Party findet statt, 75 Cent kostet der Eintritt, 75 Cent, die Tommy, einer der Jungs im rumpelnden Auto (Schriftzug: «Leaping Lena») nicht hat. Frauen kommen umsonst rein, also wird sich verkleidet. Gender-Maskeraden-Komödie, auf die alsbald der Fußtritt zur Tür hinaus folgt.

Von da an geht es bergab. Tommy fragt seinen Freund Eddie, ob dessen Vater nicht seinem Vater einen Job bei der Zementfabrik, für die er arbeitet, besorgen kann. Eddie kommt nach Haus, die Mutter weint, der Vater blickt starr: Er hat soeben seinen Job bei der Zementfabrik verloren. Nicht gekauft wird der im Geschäft bereits zurückgelegte Anzug für Eddie. Verkauft wird das hüpfende Auto, das der Gebrauchtwagenhändler nur per Ausschlachtung mit Gewinn losschlagen kann.

Es gibt keine Jobs, für niemanden. Also machen sich Tommy und Eddie davon. On the Road, mit der Bahn, auf die sie, das Bündel geschnürt, springen. Der junge Mann auf ihrem zum Himmel offenen Frachtzug-Waggon erweist sich als junge und wehrhafte Frau. Sally ist aus Seattle gen Osten unterwegs. Rasch bevölkert der Film nach Einführung seiner Protagonisten die Bahn. Viele, viele junge Männer hat die Krise obdachlos gemacht. (Man lese Charles Willefords Autobiografie «I Was Looking For a Street», in der er seine eigenen Hobo-Jahre eindrucksvoll schildert.)

William Wellman macht Tempo. Wild Boys of the Road ist als Film die Unruhe selbst. Sally und Tommy und Eddie kommen nach Chicago zu Sallys Tante. Eine Party scheint im Gang, die Tante empfängt sie überaus freundlich. Sie bekommen Torte serviert und sitzen kaum, da gibt es im Nebenzimmer einen Schrei. Ungutes, das nicht mal gezeigt wird, passiert, die drei türmen durchs Fenster, Eddie greift gierig mit beiden Armen nach der Torte und reißt an sich, was nur geht.

Im Unterwegssein richten sich die durch die Not der Familien ins Freie Getriebenen immer nur temporär ein. Sie leben in Kläranlagen und Müllgruben. Sie sind einander Gemeinschaft. Sie werden abgegriffen und in provisorische Lager gesperrt. Sie stehlen sich davon, sie setzen sich zur Wehr. Wellman beschönigt in seinem Film nichts. Eines der Mädchen wird, als die anderen fliehen, von einem Eisenbahn-Mann vergewaltigt. Die Rache der Hoodlums endet für den Vergewaltiger tödlich. Später knallt Tommy mit dem Kopf bei einer weiteren Flucht aus dem Frachtzug gegen ein Schild, bleibt auf den Gleisen liegen, sein Bein wird vom Zug überrollt und vom herbeigerufenen Arzt in einer erstaunlich lang ausgespielten Szene amputiert.

Eigentümlich ist der Rhythmus des Films. Immer nur kurzzeitig stillgestellt, so nüchtern erzählt, dass es noch bei heftigstem Drama kaum Amplitudenausschläge ins Melodramatische gibt. Meist ohnehin hoch beschleunigt, manchmal zur Schwarmbewegung der Hoodlums in den harsch kadrierten Bildern fast abstrahiert. Einmal zeigt die mit dem rasenden Zug fahrende, dabei starre Kamera die vom Zug abspringenden, zur Seite davonstiebenden Hobos. Reines Flucht- und Bewegungsbild. Als eines der provisorischen Lager (in Cleveland) geräumt wird, attackieren die Angegriffenen, Stein für Stein, die in Polizei-Uniform anrückende Autorität. Wo der Staat keine soziale Ordnung mehr gewährleisten kann, da hat auch eine disziplinierende Ordnung keinen Grund.

Der Ausgang macht diesen grimmigen Film unerwartet zur New-Deal-Propaganda. Eddie gerät ahnungslos in einen Überfall auf eine Kinokasse. Er flüchtet in den Saal, wo der Cagney-Film Footnight's Parade läuft. Er wird gefasst, vor Gericht gebracht und nach Darlegung seiner Notsituation vom gütigen Richter mit Jobversprechen in die Zukunft entlassen. Auf dem Bürgersteig vor Gericht reagiert er mit glücklichem Handstandüberschlag. (Dieses absurd alles Vorangegangene auf den Kopf stellende Ende hat Jack Warner, liest man, Wellman aufoktroyiert.)

Wild Boys of the Road (William A. Wellman) USA 1933