spielfilm

9. September 2014

Heute Nachmittag oder nie Das Österreichische Filmmuseum zeigt Ludwig Wüst

Von Bert Rebhandl

© Ludwig Wüst

 

Eine Szene auf dem Land: Über einen Feldweg kommt eine Frau daher, sie geht zu einem Auto, in dem ein Mann die Nacht verbracht hat. Sie bringt Kaffee in der Thermoskanne. Ein Wiedersehen nach sehr langer Zeit, wie allmählich klar wird. Der Mann spricht den Dialekt der Gegend nicht oder nicht mehr, sie redet so, wie es wohl alle anderen Leute dort auch tun. Wir bekommen aber nur diese beiden zu sehen: Andrej und Hanni, die einmal in der Schule nebeneinander gegessen sind.

Jetzt sind sie beide in ihren mittleren Jahren, seine Haare sind grau, aber er trägt sie strubbelig. Sie fahren zu dem Haus, das für Andrej den Anlass zu seiner Fahrt gab: Das Haus seines Vaters. Es ist leer. Niemand mehr da, nur noch alte Geschichte. Und ein Bild der Mutter. Im Haus ist es dunkel, man braucht eine Taschenlampe, man kann nie das Ganze sehen, sondern immer nur einen Lichtkegel auf etwas werfen. Und wenn man einmal das Ganze sehen kann, wenn die Jalousien hochgezogen sind, dann ist es ein langer, feiner Riss, dem die Kamera folgt.

Ludwigs Wüsts Film Das Haus meines Vaters macht durch seine Erzählung den Titel fraglich. Ist es wirklich das Haus von Andrejs Vater? Zweifellos, aber was genau das bedeutet, darum geht es im Film. Und das Subjektive, das der Titel andeutet, die erste Person Singular, balanciert Wüst durch die filmischen Mittel aus: eine Kamera, die gerade nicht die Perspektive von Andrej einnimmt, sondern die sich ihrerseits frei bewegt, oder lange verweilt, wenn Hanni einen Apfel schält.

Eine Geschichte deutet sich an, die Geschichte zweier Leben, die Geschichte einer Migration, die Geschichte einer Zufallsmenge, die einmal eine Schulklasse war, oder ein Jahrgang, aus dem während der erzählten Zeit des Films jemand gestorben ist, wie einer Totenglocke zu entnehmen ist. Ein alter Schlager, der aus dem Telefon kommt, eröffnet weitere Kontexte von Exil und Heimatlosigkeit.

Ludwig Wüst, ein Süddeutscher in Wien, macht Filme am Rande oder außerhalb der etablierten Produktionszusammenhänge. Das Haus meines Vaters ließe sich ohne Weiteres zu einer vollständigen Geschichte entfalten. Götz Spielmanns Oktober November ist eine solche Entfaltung, die zeigt, dass auch darin wieder das Eingekapselte, das aus dem Moment Erschließbare, das Entscheidende ist.

Doch Wüst arbeitet reduzierter, er zeigt, dass mit einfachsten Mitteln schon eine Menge erzählbar wird, und dass in der Ökonomie von Dialogen auch die Wiederholungen («bist miad?») eine wichtige Rolle spielen. Man könnte Wüst als einen Experimentalfilmer mit der Spielfilmform bezeichnen, und zwar in einem Sinn, der dieses Wort sehr konkret nimmt: Er stellt das Erzählen auf das Spiel, nicht auf das Spiel eines auktorial waltenden Regisseurs, sondern auf das Spiel von Leuten, die er mit Rollen betraut, und um die herum er den Apparat des Kinos so beweglich und konzentriert wie möglich hält.

 

Das Österreichische Filmmuseum zeigt am Mittwoch, 10. September, um 21.00 Das Haus meines Vaters (2013), und tags darauf zur gleichen Zeit Abschied (2014).

www.heimat-film.net