werner hochbaum

11. Dezember 2013

Brüder (1929) Hochbaum sichten (I)

Von Ekkehard Knörer

Es gibt drinnen und draußen, es gibt den Polizeiraum mit den Pickelhauben auf dem Schrank, es gibt die private Wohnung, in der die Großmutter die Enkelin im gemeinsamen Bett fast erdrückt. Draußen ist der Hamburger Hafen, ist Winter, treiben Eisschollen auf der Elbe. Die Bilder sind bei den Gängen durch die Kälte, den Schnee und das Eis blau eingefärbt.

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Brüder heißt der Film. Keine der Figuren trägt einen Namen, aber ungewöhnlicher noch: die Namen der Darsteller werden ebenfalls nicht genannt. Weil sie keine Schauspieler sind, sondern Darsteller ihrer selbst. Jedenfalls die Schauerleute und die anderen Hafenarbeiter. Darum sieht man Gesichter, die schief sind und denen nie von der Aufzeichnung durch eine Kamera träumte. Bärte aller Art, hängende Bärte, sich um den Mund schwingende Bärte, Fotogenie heißt: Sie sind, wer sie sind. Hier wird das Kino noch einmal eine Kunst, die staunt, dass sie sich in der Wirklichkeit Aufstellung nehmen kann und Menschen zeigt und das Wasser und den Hafen und die Straßen der Stadt.

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Dabei ist Werner Hochbaum alles andere als naiv. Er kennt das Kino, er weiß, was die Kamera kann. Sie entwirft Räume. Den Innenraum (privat) und den Innenraum (öffentlich), die sie gleich zu Beginn in ganz paralleler Weise durchquert. Schlafende Polizisten, schlafende Hafenarbeiterfamilie, die Wand, die Bilder, Wilhelm zwo (ein Historienfilm: wir schreiben das Jahr 1896), die Pickelhauben, die Kuckucksuhr, die Amtsuhr, die Morgenroutine, die kranke Frau bleibt im Bett, die kleine schwarze Katze, der Polizist und der steinerne Löwe in einer Überblendung. Aber auch um das Herausgreifen der Dinge, das Hinstellen in die Großaufnahme, um filmische Satzformen wie: Seht, der Säbel! Seht, der Gesang! Seht, der Wille dieser Männer und Frauen! Seht, die Schönheit des Hafens, der Elbe, des Eises auf dem Wasser! Die Kamera kann etwas und will etwas und die Montage kann und will nicht weniger. Ich bin das Kino, sagt dieser Film, aber verwechselt mich nicht mit einer formalistischen Kunst.

Ein Kino der Objekte.

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Und Hände.

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Streik könnte der Film heißen, er heißt aber Brüder. In die historische wirkliche erfundene Welt erzählt er die Geschichte eines Hafenarbeiterstreiks hinein. Der Titel verweist auf eine Konstruktion, die so schematisch wie sentimental ausgehen könnte. Der Hafenarbeiter und der Polizist: Brüder auf den gegeneinander stehenden Seiten dieses Konflikts. Das Schematische ist gewollt, es geht um die Sache, die die Sache des Klassenkampfs ist. Das Recht des Streiks, die Unterdrückung durch das Kapital, als dessen Handlanger die Polizei agiert. (Das Kapital selbst hat kein Gesicht. Höchstens die Pickelhaube verweist in seine Richtung.) Das Sentimentale dagegen vermeidet Hochbaum ganz strikt. Alles bleibt sachlich, eine liebevolle, aufmerksame Interieursachlichkeit, das ja, aber unverlogener als in diesem Film geht es kaum.

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Der Streik scheitert. Die Entbehrungen waren umsonst. Die Kräfte haben nicht gereicht. Die Faust wird geballt und wieder gelöst. Es bleibt ein «Trotz alledem». Trotzig also wird am Ende die rote Fahne gehisst.

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