experimentalfilm

14. März 2014

Spannungsfelder Zum Werk von Peter Liechti

Von Ekkehard Knörer

Signers Koffer

© Peter Liechti | absolut Medien

 

Vier Künste bilden das Spannungsfeld, in dem die Filme von Peter Liechti sich bewegen: die Musik, die bildende Kunst, die Literatur und der Film. In der Musik ist es das Spannungsfeld von Jazz, Neuer Musik und Improvisation – von Anfang an verkörpert von Norbert Möslang, Geigenbauer aus St. Gallen, in dessen frei neu improvisatorischer Musik die Umfunktionierung von Alltagselektronik eine wichtige Rolle spielt. In der bildenden Kunst hat Liechti lange Jahr mit Roman Signer zusammengearbeitet, der in minutiös geplanten Aktionen Unsinn aus Alltagsgegenständen heraussprengt; Stühle fliegen durchs Fenster oder von der Brücke, er hat Feuerwerkskörper an den Füßen, schnarcht lautsprecherverstärkt in einem Zelt in Island. Das alles in Form von Aktionen ohne Publikum, von denen vor allem die Aufzeichnung bleibt. Mit Signer hat Liechti seinen erste Kinofilm gedreht, Signers Koffer, aber davor schon fuhren in Signers experimentelleren Frühwerken auf Super 8 Eimer den Skilift hinauf, ging ein Mann aufs Eis und brach ohne Zögern mitten im See wie geplant ein.

Die Liebe zur Literatur spürt man in Liechtis Texten. Diese von ihm geschriebenen Texte sind robust und poetisch, treten in den Filmen vorsichtiger auf als die Musik und die Kunst. In Ausflug ins Gebirg, einem frühen Film, in Hans im Glück vor allem, der sein freistes Werk ist, eine Nähe zu Robert Walser, ein Ohr fürs nicht beliebige Non Sequitur, einer, der ich sagt, dabei aber stets schon mehr und anderes als nur sich selbst im Blick hat.

Und zwar spielt der Film als Referenzkunt eine wichtige Rolle, aber anders als der Musik und der Kunst haftet bei Liechti dem Film, auch wenn er natürlich Filme mit Musik und mit Kunst und nicht Musik und Kunst macht, etwas Suchendes und Fremdes an. Auf dem Gebiet des Filmischen, auf dem ihn die Welt nun verortet, bewegt er sich bis heute nach Art des Autodidakten, für den sich nichts, was er tut, von selbst versteht. Darum gleicht keiner seiner Filme wirklich dem andern, jeder scheint ein neuer Versuch und Entwurf, bei dem einige Elemente sich gleich bleiben, aber doch herrscht in diesem Oeuvre zwischen den einzelnen Werken eher eine Familienähnlichkeit, als dass hier ein Auteur mit sicherer Hand Film für Film tut, was er tun muss, nämlich ungefähr immer dasselbe. Liechti erfindet sich nicht neu, darum geht es auch nicht, die Redensart findet er sicher scheußlich, aber er richtet sich im Spannungsfeld zwischen den Künsten jedesmal neu wieder ein, nähert sich stärker dem einen oder dem anderen Pol, die Kraft der anderen Pole wird jeweils schwächer, aber sie bleibt doch sichtbar und spürbar. Auf diese Art sind das unreine Filme, denen keine Genre- oder andere Zuschreibung je ganz gerecht wird: in wechselnden Anteilen Dokumentarfilm und Essayfilm, Experimentalfilm und Spielfilm, Musikfilm und poetischer Film, Künstlerfilm und Kunstfilm, Autorenfilm und autobiografischer Film.

Mit Vaters Garten nähert sich Liechti wie zuvor nur in Hans im Glück dem Autobiografischen. Der Sohn zeigt über ein Jahr hinweg seine Eltern, zu denen das Verhältnis schwierig war, man sieht auch, warum. Ihre Welt ist klein, die Regeln stehen fest, die Mutter wollte raus, der Vater nicht, so sind sie immer in St. Gallen geblieben. Der Garten des Vaters ist seine Spielzeugeisenbahn, hier macht er sich auf engstem Raum die Natur untertan. Der Sohn ist nicht, bis heute nicht, einverstanden mit diesem Leben, obwohl es in den Augen des Vaters geglückt ist, Träume hatte er nicht. Die Mutter hatte Wünsche, aus denen nichts wurde. Liechti fragt, interveniert wenig, manches dokumentiert er – denkt man – so sprachlos, wie man es betrachtet: die Forderung des Vaters nach dem Maßhalten, die etwas Maßloses hat.

Die dokumentarische und ungebrochen autobiografische Form allein hat den Filmemacher nicht zufriedengestellt. Es fehlte ihm offensichtlich eine Instanz der Objektivierung und Selbstdistanzierung. Daraus entstand eine andere, eine eigenwillige Form: Die Gespräche zwischen Eltern und Sohn werden in Puppenspielszenen nachgestellt, die Originaldialoge verdichtet und ins Hochdeutsche übersetzt. Die Eltern treten dabei als Hasenfiguren auf, mit mümmelnden Näschen und zitternden Ohren. Liechti ist, wie Roman Signer, wie etwa auch die anderen Schweizer Fischli/Weiss, ein Experimentator mit einem oft schrägen, verschrobenen, ungemütlichen und, so sanft und unspektakulär er daherkommt, durchaus radikalen Humor. Dieser Humor ist eine Stimmungsfarbe unter anderen, das Düstere, Strenge ist Liechtis Filmen keineswegs fremd. Dass Liechti Kafka, Robert Walser, David Lynch nennt, wundert einen dann nicht. Der Humor ist, so wenig grimmig er ist, doch etwas wie die ultima ratio, das letzte was bleibt, er ist das Umbiegen des Spatens bei der Suche nach Sinn. Er stellt die Dinge in ein anderes, ein fremdes Licht, er versöhnt nicht, sondern verrückt, wenn er auch nicht Berge versetzt. Schweizer Humor: Er bleibt im Gebirg, aber nimmt es lächelnd mit Steilhang und Abgrund auf.

 

Hans im Glück

© Peter Liechti | absolut Medien

 

Mein Lieblingsfilm von Liechti: Hans im Glück. Er macht es einem leicht, ihn zu lieben. Liechti sagt ich, spricht von sich, zieht zu Fuß los, von St. Gallen nach Zürich und an den Bodensee. Er will das Rauchen aufgeben, drei Mal. Er blickt sich dabei mit der Kamera auf die Füße, er begegnet Menschen, einem Senn auf der Hütte, der gerne seine Ruhe hätte, Sterbenden im Krankenhaus, die Lungenkrebs haben. Bilder und Menschen werden am Wegesrand aufgelesen und werden für eine Zeit das Wichtigste von der Welt. Der Erzähler hat ein Ziel, aber er erlaubt sich die ständige Abschweifung, Tiere, immer wieder Tiere, die eben auch etwas sind, das sich in die Ordnung des Humanen nicht fügt. Der Film und das Ich, das von sich erzählt, bewegen sich auf dem Weg zum Ziel im Kreis, Liechti ist unterwegs offen für das, was ihm begegnet, bleibt aber ganz eigensinnig, verbindet den Eigensinn mit dem Fremdsinn. Eine Grundspannung, die im Musikfilm Hardcore Chamber Music von den Musikern formuliert wird: Improvisation heißt nicht beliebiges Experimentieren. Es ist viel eher ein Experiment mit der Form: Man muss, auch mit sich selbst, sehr eingespielt sein, um zwischen dem, was die Konvention vorgibt, und dem, was möglich, aber falsch ist, einen Weg finden, der der eigene ist und doch auch für einen selbst eine Entdeckung. So funktionieren die Filme von Peter Liechti.

Er hat sich am Spielfilm versucht, Marthas Garten, nach eigenem Drehbuch, das er mit einem Freund, Martin Witz, schrieb. Sicher nicht sein bester Film, vielleicht auch kein so richtig gelungener. Aber interessant, weil man hier sehen kann, wie er auf sehr begangenen Wegen doch eigenwillig vorankommt. Ein Leichnam wird gefunden, ein Mann gerät in den Verfolgungswahn, das alles schwarz-weiß und düster und kafkaesk genug; trotzdem bleibt ein Vorbehalt spürbar, es fehlt etwas zum ganzen Ernst, und dieser Dreiviertelernst ist gerade wegen der Fremdanteile an Humor und Seltsamkeiten eine spannende Sache.

Ernster noch: Das Summen der Insekten. Die einzige Literaturverfilmung bisher, nach einer Vorlage des japanischen Autors Masahiko Shimada: ein Mann geht in den Wald und verhungert. Auf der Tonspur werden seine Tagebuchaufzeichnungen verlesen. Die Bilder dazu sind im Verbund mit der sehr eigenständigen Musik hypnotisch, aber man spürt die konzeptuell strenge Hand. Der Film hat etwas Bezwingendes, aber es ist auch mehr als in den anderen Filmen etwas Gewaltsames am Werk, etwas Sperriges, das was hat, aber den Betrachter auch mehr als in den anderen Filmen in die Distanz zwingt.