fespaco 2009

19. April 2009

Der Strom zweier Jahre Notizen vom schwarzafrikanischen Filmfestival Fespaco in Burkina Faso

Von Michaela Ott

«Nein, nicht mit mir! Damit ist Schluss! Wir werden den Auftrag ausschreiben und sehen, wer das beste Angebot macht!» Die Firmenchefin legt energisch den Hörer zurück und zeigt mit gleicher Geste, dass die Sitzgarnitur, die ihr als Bestechungsgeschenk soeben zugesandt worden ist, umgehend zurückzuschicken ist. Sie, eine Wiedergängerin jener aufrechten, zähen und gewitzten Protagonistin des Blaxploitation-Kinos, sichtbar Tarantinos Jackie Brown nachgebildet, verkörpert eine Zeitenwende in Afrika. Diese Zeitenwende heißt laut Fespaco: Die Frauen fügen sich nicht mehr widerstandslos in die Tradition, verkörpern den unübersehbaren Wandel der afrikanischen Lebenswelt: ob als marokkanische Ehefrau, die eine Affäre mit ihrem Stiefsohn beginnt (Les jardins de Samira von Latif Lahlou, Marokko), ob als Gattin des Justizministers, die nach dessen Ermordung einer wilden Liebe frönt (Ramata von Léandre-Alain Baker, Senegal/ DR Kongo), ob als junge Frau, die zwangsverheiratet werden soll und sich erfolgreich zu ihrer Jugendliebe bekennt (Mâh Saah-Sah von Daniel Kamwa, Kamerun/Frankreich).

Das Frauenthema als verbindender Nenner des Wettbewerbs in Ouagadougou: Neben Emanzipationsfragen bietet es den Vorzug, traditionelle mit modernen Erzählweisen, etwa den Ausbruch von Ramata mit mythologischen Erzählungen, die Brautwerbung mit Initiationsritualen verknüpfen zu können. Als Ansatz zur Entfaltung eines afrikanischen Stils? Obwohl dieser – so deutet es jedenfalls der Festivaltitel «Afrikanisches Kino, Tourismus und kulturelles Erbe» an – angestrebt wird: Angesichts der Fülle des diesjährigen Festivalprogramms, zu dem neben afrikanischen Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen sowie TV-Serien auch europäische Filme, eine Retrospektive der Filme von Ousmane Sembène und eine Hommage an Youssef Chahine zählen, ist er schwerlich angebbar.

Die Protagonistin des eingangs beschriebenen Burkinabé-Wettbewerbsbeitrags, Le Fauteuil von Missa Helie, der 2007 mit der TV-Serie Le Commissariat de Tampy die gängige Verbrechensbekämpfung parodiert hat, findet die Sitzgarnitur abends in ihrer Wohnung vor. Ihr Ehemann weigert sich, nicht auf dem Bestechungsmobiliar Platz zu nehmen. Gemäß dem gewählten Soap-Format findet der Konflikt seine Fortsetzung als Genderkampf. Aber auch Mitarbeiter proben den Aufstand und melden Aspirationen auf den Chefsessel an.

Der Kinosaal selbst hat keinen freien Stuhl mehr – selbst der Staatspräsident ist da –, auch jeder Millimeter Fußboden ist besetzt und an den Türen wird noch immer gerüttelt. Bevor die Firmenchefin zu kapitulieren droht, springt ihr das Publikum und dann auch der Ehemann bei. Gerade noch rechtzeitig erkennt er die Zeichen der Zeit. Der Film, mit Unterstützung des Kultusministeriums in letzter Minute in das erforderliche 35mm Format transformiert, erhält den Publikumspreis.

Umringt ist dieser filmische Glückstreffer von etwa 20 Wettbewerbsbeiträgen, von denen auffällig viele aus dem arabischen Norden und aus Südafrika und nur wenige aus Schwarzafrika selbst stammen. Dabei ist das legendäre Festival des schwarzafrikanischen Films, die Ouaga-Saga, das seit den 60er Jahren alle zwei Jahre in Ouagadougou zelebriert wird, mit dem postkolonialen Aufbruch, mit der panafrikanischen Idee und dem Selbstverständnis Westafrikas aufs Engste verknüpft. In diesem Jahr freilich ist Krise das Schlagwort der begleitenden Zeitungskommentare, das den Schwund des Publikumsinteresses, der Finanzierungsmöglichkeiten und des panafrikanischen Selbstbewusstseins zugleich signalisieren soll. DVD-Vertrieb und TV-Präsenz des US-Films seien auch hier schuld am Zuschauerschwund; das Jahr über erhalten nur zwei der zahlreichen Kinos der Stadt ihren Betrieb nicht mit US-Filmen aufrecht. Kinosterben in Afrika: Im Kamerun hat ein einziges Kino überlebt!

Die westliche Cinephile bedauert angesichts dessen vor allem, dass ihr der Traum vom eigenständigen afrikanischen Film, wie er in den 60er Jahren das Filmschaffen etwa von Ousmane Sembène geprägt hat, abhanden kommt. Denn nicht wenige Filme, zwangsläufig mischfinanziert, sind an US-Erzählstandards angelehnt, selbst wenn diese, wie in Le Fauteuil, der eigenen Aussage dienstbar gemacht werden. Kein anspielungsreiches Schwarz-Weiß-Spiel mehr wie in Sembènes La Noire de… (1967). Besonders das finanzkräftige marokkanische und südafrikanische Kino bindet in die westlichen Erzählformate routiniert seine politischen Fragestellungen ein. Thematisiert wird das prekäre Zusammenleben zwischen Moslems und Juden im Marokko der 60er Jahre (Adieu mères von Mohamed Ismail, Marokko), der ökonomische Überlebenskampf Jugendlicher im heutigen Soweto (Jerusalema von Ralph Ziman, Südafrika), die Arbeit der südafrikanischen Wahrheitskommission (Nothing but the Truth von John Kani, Südafrika) oder die innere Zerrüttung einer burischen Familie 1994 unmittelbar vor dem Wahlsieg des ANC (Triomf von Michael Raeburn, Südafrika). Diese politischen Verhandlungen lassen ästhetische Reflexionen in den Hintergrund treten; dies gilt allerdings nicht für den Film, der den Hauptpreis des Festivals gewann: TEZA von Haile Gerima (Äthiopien/Frankreich/Deutschland).

Ambitioniert und in leider häufig metaphorischer Überhöhung porträtiert er den Werdegang eines äthiopische Intellektuellen und darin die Geschichte des Landes von den 60er Jahren bis heute. Ein Bezug zu Deutschland stellt sich über dessen Studium in Köln und das dort bekundete Engagement für die sozialistische Erneuerung seines Landes her. Bevor der nach Äthiopien zurückgekehrte Intellektuelle dieser zum Opfer zu fallen droht, wird er in die DDR abgesandt. Seine gleich anfangs eingeblendete schwere Verletzung, die ihn zu einem melancholischen Betrachter seines Landes und schließlich zu einem bescheidenen Dorfschullehrer werden lässt, rührt, wie der Film gegen Ende preisgibt, von einem Mordanschlag deutscher Neonazis in der Nachwendezeit her. Auch hier wird weniger der ästhetische Anspruch, eine genuin äthiopische Rätselstruktur zu entfalten, als die für repräsentativ erachtete Geschichtserzählung prämiert.

Und noch einem weiteren Film aus Burkina Faso wird ob seiner Verdienste in Sachen historischer Rekonstruktion ein politischer Preis zuteil: jener der Europäischen Union. Le Coeur de Lion des Burkinabé-Regisseurs Boubakar Diallo verquickt eine mythische Fabel mit einer Episode des Sklavenhandels, wobei der Löwenjäger zuletzt schwarze Sklaventreiber jagt. Dieses offensichtlich nach wie vor gewagte politische Statement, eingebettet in ein wiedererwecktes Stammesleben von Hirten und Jägern, wird mit heroischen Einkelkämpfen verbunden und zudem auf Französisch dargeboten, weil dies die gemeinsame Sprache der verschiedenen Stämme des heutigen Burkina Faso ist. Bei angeblich 90% Analphabeten stellt sich die Alternative der Untertitelung nicht. Kolonisatorensprache und globalisierte Erzählmuster beleuchten die koloniale Vergangenheit: Bedingung der Übermittlung des «kulturellen Erbes»?

Auf der Suche nach der ästhetischen Differenz des afrikanischen Films zeigt sich mein westliches Auge am stärksten vom algerischen Beitrag La maison jaune von Amor Hakkar angetan. Dieser kleine Film schildert, wie übrigens auch zahlreiche Kurzfilme, das bescheidene Leben einer Bauernfamilie im Berber-Idiom. Und doch sieht sich das westliche Authentizitätsbegehren auch hier getäuscht. Denn die absurde Odyssee dieses Bauern, der den Sarg seines verunglückten Sohnes aus dem Leichenschauhaus raubt und mit seinem Traktor quer durch das Land kutschiert, ist erkennbar an die Kinematographie des Iraners Abbas Kiarostami angelehnt. Das Road-Movie erlaubt immerhin lange Einblicke in die algerische Landschaft, die bedächtige Erzählweise vermittelt den Eindruck visueller Partizipation, die ausgesucht minimalen Bilder ringen noch einer einzelnen Lampe reizvolle Lichtspiele ab. Und das Ganze gekrönt von einer Medienreflexion! Denn die Depression der Mutter beginnt zu schwinden, als ihr Sohn auf dem Monitor wieder lebendig wird. Also doch: Das kulturelle Erbe gerettet im laufenden Bild?

Der Versuch der Versöhnung von Tradition und Moderne, von afrikanischer und westlicher Welt: Das Festival verrät auch die Abgründe dieses Versuchs. Als eines der ärmsten Länder der Welt spart Burkina Faso zwei Jahre lang an seiner Stromversorgung, damit die Besucher während ihrer einwöchigen Anwesenheit Filme in zwar baufälligen, aber klimatisierten Sälen zu sehen bekommt. Die leichtlebige Atmosphäre der Stadt, zu der die handgefegten Hauptstraßen, allerdings auch deren durchgängige Verwandlung in einen Bazar gehören, bringt den erwünschten Tourismus mit sich. Da die Festival-Akkreditierung sehr großzügig zugestanden wird, ist der Erhalt des Ausweises nur eine Frage der Ausdauer, sofern sich jemand nicht sowieso lieber aus dem Haufen vorrätiger Ausweise einen mit ähnlicher Physiognomie herauspickt. Angesichts des Staubs und der Hitze ist es eine angenehme Alternative, für einen Euro – ein sehr hoher Preis für die Einheimischen – eine Reise durch Afrika zu absolvieren.

Symbolisches Wetteifern mit der westlichen Welt: Die roten, manchmal leeren Teppiche vor den Kinos zeugen davon ebenso wie die Abschlusszeremonie im größten Sportstadion der Stadt. Neben Stammeskönigen treten der Staatspräsident und andere Würdenträger im Fespaco-Gewand mit aufgedrucktem Emblem in gelben und violetten Farben auf. Dieses karnevaleske Treiben kennt neben einheimischen Musikdarbietungen den Auftritt weißer Leichtathleten, deren nimmerendende Saltos feurig beklatscht werden. Die anschließende Preisverleihung, mit klassisch-westlicher Musik unterlegt, bedenkt vom besten Filmplakat bis zum besten Spielfilm etwa dreißig Kategorien mit Auszeichnungen, die obersten mit dem «Goldenen Hengst». Ich könnte mir hier doch einen angemesseneren Ausdruck vorstellen, der die Armut ab der zweiten Nebenstraße, wo Mütter mit Kindern im Freien übernachten, mitbedenkt. Fespaco freilich integriert nicht nur Tourismus, sondern auch nationale Selbstüberhöhung ins Programm.