duisburger filmwoche 2017

28. November 2017

Duisburger Filmwoche 2017

Von Elena Meilicke

Fast scheint es, als vertrete die Auswahlkommission der Duisburger Filmwoche einen Ansatz des paarweisen Kuratierens: Immer wieder fallen thematische Bezüge und Ähnlichkeiten ins Auge, Echos und Resonanzen zwischen zwei Filmen. Ist das Absicht, Kohärenzstiftung und kuratorische Zuspitzung? Vielleicht findet die Paarbildung aber auch nur in meinem Kopf statt, typische Festivalerfahrung: Disparates verknüpft und verbindet sich, das Zuschauerhirn sortiert Vielfalt, indem es Muster erkennt. Es folgen paarweise Notizen zu einigen Filmen.

Es gab zwei Filme über alleinlebende, gehbehinderte Bauern, über Zähigkeit und Eigensinn: Anton und Ich von Hans-Dieter Grabe ist ein schlichter und fast wortloser Film, eine unaufgeregte Hommage an Anton, auf dessen Hof der Filmemacher seit 50 Jahren seine Ferien verbringt. Wir sehen, wie Anton sich mühsam auf Krücken über den Hof bewegt, seine Kühe versorgt, seinem Pensionsgast Eier und Kaffee zum Frühstück macht, dabei unentwegt, auch enervierend, pfeift. Warum Anton immerzu pfeift, wisse er nicht, vielleicht die Einsamkeit, kommentiert der Filmemacher aus dem Off, der kein Interesse am Ausforschen hat. Eine Langzeitbeobachtung über mehrere Jahre, aber eigentlich passiert nicht viel und es gibt auch keine Entwicklung: Am Ende ist Anton noch immer auf den Beinen, und das ist ein stiller Triumph. Aus einem Jahr der Nichtereignisse von Ann Carolin Renniger und René Frölke erzählt von Willi, der mit vielen Katzen auf einem verwahrlosten Anwesen lebt; er schiebt sich mühsam mit dem Rollator herum, Pullover und Latzhose sitzen schief. Gedreht auf 8 und 16 mm, mal mit, mal ohne Ton, ist die filmische Oberfläche schroffer, strahlt auch mehr Kunstwillen aus.

Auch die Gattung «autobiografischer Familienfilm» war zweifach vertreten. In Familienleben porträtiert Irina Heckmann ihre Familie, Russlanddeutsche, die vor Jahren schon aus der Sowjetunion nach Deutschland gekommen sind; ein Einfamilienhaus irgendwo in der deutschen Provinz, Backstein, alles akkurat und sauber, dazwischen erzählt die Oma, ein richtiges Mütterchen mit Kopftuch, vom Arbeitslager und weint. Mutter, Schwester und Bruder erscheinen in lang gehaltenen Einstellungen, die entsetztlich nah ans Gesicht gehen. Jede Falte, jede Pore, jedes Zucken zeichnen diese Close-Ups erbarmungslos auf und auch die Verlorenheit und Verbitterung von Menschen, die weder da noch hier zu Hause sind.

Ähnlich vergletscherte Familienverhältnisse behandelt Was uns bindet von Ivette Löcker. Löckers Eltern sind seit 20 Jahren getrennt, leben aber immer noch gemeinsam im selben Haus: wie man sich mit dem Unglück arrangiert und weiterwurschtelt. Der Film findet schöne Bilder, die Familie als konstitutive Überforderung ausweisen – das endlose Gerümpel, das sich in Dachböden und Scheunen angesammelt hat, der schwarze Schimmel hinter der Holzverkleidung (dessen Existenz der Vater bestreitet). Schief dagegen die grotesk-humorigen Bilder, mit denen der Film einsetzt und die anschließende Melancholie einzuklammern sucht – eine fish-eye-artig verzerrte Drohnenaufnahmen der heimatlichen Landschaft, die Filmemacherin bei der Massage, ganz schön verspannt, ihr Gesicht unvorteilhaft von unten, durch das Kopfteil der Massageliege, gefilmt. Dann sieht man die Eltern in Zeitlupe bei frenetischer Gartenarbeit, untermalt von schmalziger Musik, wie in Blue Velvet. Diese Versuche der Stilisierung und selbstironisierenden Distanznahme wirkten fahrig und überladen, mit der sensiblen Beobachtungshaltung des restlichen Films schwer in Einklang zu bringen.

Zwei Alumni der Hochschule für bildende Künste Hamburg präsentierten Projekte, die den  dokumentarischen Film zum Experimentellen und Installativen hin öffnen. Rote Malam von Samuel Heinrichs spielt in nächtlicher Dunkelheit auf einem indonesischen Archipel; irgendwie Strand, schemenhafte Gestalten, Lichtreflexionen – für mich komplett unzugänglich, wobei Müdigkeit hier eine Rolle gespielt haben mag, der Film lief spät. Ärgerlicher fand ich Drift von Helena Wittmann, eine sich selbst sehr ernst und wichtig nehmende künstlerische Recherche über das Meer. Es gibt Ansätze zu einer Geschichte, die lässig hingeworfen wirken will – zwei junge Freundinnen, Sylt, Karibik, Südamerika –, in Ausführung und Darstellung aber steif und grobschlächtig ist. Toll wird der Film in seinem langen Mittelteil auf dem Meer, wo er sich vom narrativen Tand befreit: intensives Blau, endloses Schaukeln, auf der Tonspur hypnotisches Dröhnen. Leider belässt Drift es nicht bei filmisch induzierter Trance, sondern muss nochmal den Referenzflammenwerfer draufhalten: Ende mit ausgedehntem Wavelength-Zitat.

Außerdem im Programm: zwei Variationen auf das Genre «Politikerporträt», die in Duisburg beide eher umstritten waren und dennoch sehenswert sind – vielleicht nicht unbedingt für ihre gesellschaftspolitische Analyse und Klarsicht, aber doch als Symptome oder eben schlicht als Dokumente. Egal gibt es nicht von DFFB-Student Florian Hoffmann begleitet Paulina Fröhlich, Gesicht und Sprachrohr einer Kampagne, die sich gegen die AfD engagiert, und zwar, Selbstbeschreibung, «radikal höflich». Fröhlich ist jung, wach und eloquent, Strategiemeeting hier, Kommunikationstraining da. Anscheinend ohne Entlarvungsabsicht gedreht, gibt der Film doch Einblicke in einen politischen Aktivismus, dessen semantische Oberfläche von Start-up-Sprech ununterscheidbar ist.

Inschallah von Judith Keil und Antje Kruska ist hingegen das anrührende Porträt von Taha Sabri, dem Imam einer Neuköllner Moschee, der sich für Verständigung zwischen den Religionen und Kulturen engagiert. Man merkt dem Film das unbedingte Bemühen an, sich von stereotypen Mainstream-Medienbildern abzusetzen, Sabri erscheint als Mann mit großem Herz und Charisma, ein Musterbeispiel für Güte, Liberalität und Toleranz. In der anschließenden Diskussion reagierte das Publikum zum Teil mit Abwehr und Misstrauen, stellte etwa die Frage, ob die Filmemacherinnen von Sabri nicht «hinter’s Licht geführt» worden seien. Diese Reaktion mag in sich vorurteilsbehaftet sein, die Heldenerzählung des Films macht aber auch nachdenklich: Sehr klar kriegt man von Inschallah gespiegelt, wie genau die deutsche Mehrheitsgesellschaft sich ihre religiösen Minderheiten wünscht – ist das tolerant?

Zuletzt noch zwei schöne Institutionenfilme der anderen Art, beide in Duisburg ausgezeichnet, mit 3sat- bzw. Arte-Dokumentarfilmpreis. Tiere und andere Menschen von Flavio Marchetti ist die sorgfältig montierte Beobachtung eines Wiener Tierschutzasyls, der gleichzeitig nüchtern und voller Dramatik ist: ein sterbender Schwan, ein nekrotisches Murmeltier. Zusätzliches Faszinosum für hochdeutsche Ohren: die austriakische Wortakrobatik der MitarbeiterInnen, wenn etwa das Schicksal von «Fenstersturzkatzen» beklagt wird. Sprache steht auch im Mittelpunkt von Atelier de Conversation von Bernhard Braunstein: stotternde, stammelnde, grimassierende. Einmal die Woche treffen sich Menschen im kahlen Nebenraum einer Pariser Bibliothek, um Französisch zu üben: Frauen, Männer, global Beschäftigte, Flüchtlinge, Expats. Vor der Kamera sind alle gleich, unbeirrt reiht der Film Medium Close-Ups aneinander; ein konsequentes Konzept, eine starke Form, die großen Affekten die Bühne bereitet. Es wird viel gelacht und manchmal geweint.