afrikamera 2014

17. November 2014

Wer imaginiert hier Afrika und für wen? Anmerkungen zum 7. Afrikamera–Festival im Berliner Arsenal

Von Michaela Ott

Mit allerhand humanistischer Begleitmusik wurde zwischen dem 11. und 16.11 das alljährliche, nunmehr 7. Afrikamera-Festival im Berliner Arsenal durchgeführt: Geldgeber wie die Heinrich-Böll-Stiftung und die Stiftung Partnerschaft mit Afrika kamen auch diesmal nach der kurzen Eröffnungsrede des künstlerischen Leiters und Programmgestalters Alex Moussa Sawadogo zu Wort. Dabei wurde das «Dass» der Veranstaltung ungleich stärker als ihr «Wie» herausgestellt: Kein Wort fiel zur Auswahl der Filme, zu ihrer länder- und genrerepräsentativen Funktion, zur Problematik der Beschränkung auf wenige Spiel- und Kurzfilme usf. Vor allem aber wurde die entscheidende Frage umgangen, wer diese Filme finanziert und produziert und wer die Bilder imaginiert und rezipiert, die in den vorgeführten Filmen «aus Afrika» zu sehen sind.

Der Titel des Festivals Re_Imaging Africa wurde anlässlich des Eröffnungsfilms sofort kontrovers diskutiert: Timbuktu (Mauretanien/Frankreich 2014) von Abderrahmane Sissako bietet eine wohlgefällig anzusehende und humvorvoll auf Distanz gerückte Abfolge von Tableaus zur zeitgenössischen Islamisierung Malis. Jede einzelne traurig-komische Szene führt stellvertretend für viele die Einschränkung der Lebensqualität durch islamistische Dschihadisten vor. In dezidiert minimalistischer Ästhetik wird das Verbot des Fußballsspielens und Singens, werden die alltäglichen Schikanen, aber auch der Widerstand der  Bevölkerung nach und nach aufgeblättert: Eine Marktverkäuferin, die beim Fischverkauf Handschuhe tragen soll, antwortet, dass man ihr doch lieber die Hände abhacken solle, als solchen Unsinn von ihr zu verlangen. Der verbotene Fußball gibt Anlass zu einem reizvollen Tanz rund um eine Leerstelle im Bild. Selbst das wilde Maschinengewehrfeuer wird noch in den hübschen Bildeinfall des Abrasierens der Wüstenschamhaare übersetzt... Um die politische Polarisierung dann doch nicht zu absehbar zu gestalten, zeigt eine dazu quer verlaufende Nebenhandlung, dass ein in der Wüste lebender Beduine einen Fischer erschießt, weil ihm dieser eine Kuh – warum eine ganz unübliche Kuh? – getötet hat. Seine Betrübnis angesichts des vom Schariagericht gefällten Todesurteils gilt dann ganz unheroisch dem Verlust von Frau und Kind. Nicht nur diese Brechung des Männlichkeitsbilds, auch die verzerrende bis verharmlosende Stilisierung der politischen Situation zeigen an, dass dieser «Aufschrei der Verzweiflung» (Tobias Wendl), von arte, canal+, TV5 und anderen Medieninstitutionen finanziert, letztlich für das europäische Auge konzipiert ist, weshalb er mit der Zerstörung von Holzskulpturen beginnt. Der festivalkompatible Kommentar im Programmheft lautet dazu: Sissako «schafft es auf bewegende Weise, dem grassierenden Fundamentalismus auf sanfte Art ein zutiefst menschliches Filmgedicht entgegenzuhalten».            

Reale und imaginäre Zerrissenheiten zwischen Herkunfts- und Sehnsuchtsland stellt dagegen die Filmfabulation Mille Soleils (Senegal/Frankreich, 2013) von Mati Diop aus, die damit an den legendären FilmTouki Bouki (1973) ihres Onkels Djibril Diop Mambéty rückbindet. 40 Jahren nach dessen Erscheinen konfrontiert sie noch einmal dessen Protagonisten mit dem Filmklassiker und fragt nach den Folgen ihrer damaligen Entscheidung, nach Paris auszureisen oder im Senegal zu verbleiben. Die auf verschiedenen Bildebenen gegeneinander geführten Pros und Contras dieser Entscheidung schließen dabei an den mit belgischer Unterstützung finanzierten Vorfilm Cogitations (Burkina Faso/Belgien, 2012) von Francois D'Assise Quedraogo und anderen an, der die unterschiedlichen Aussagen von Bewohnern Burkina Fasos zum Weggehen oder Dableiben in einen charmanten Animationsfilm übersetzt.

Die Ausrichtung afrikanischer Filme auf den westlichen Publikumsgeschmack: Problematisiert wird diese auch anlässlich des aufwändigen Spielfilms Half of a Yellow Sun (2013) des Nigerianers Biyi Bandele, den das British Film Institute und Africavenir mitermöglicht haben. In die Verfilmung des gleichnamigen Romanbestsellers von Chimamanda Ngozi Adichie sind interessanterweise Dokumentarbilder aus dem Biafrakrieg eingelegt, die dem Film gleichwohl nicht die gewünschte historische Schärfe verleihen. Obwohl der Regisseur betont, dass er mit seinem Film erstmalig das totgeschwiegene Trauma des Bürgerkriegs der ausgehenden 1960er Jahre in das kollektive Gedächtnis zurückholt, ist vor allem eine Liebesschmonzette zwischen sehr helldunklen ProtagonistInnen in feinen Kleidchen zu sehen. Über der actionlastigen Darstellung von Vertreibung und Flucht gehen die eingangs thematisierten Klassen- und Land-Stadt-Gegensätze verloren. Vom nigerianischen Publikum wurde berechtigterweise zudem beklagt, dass die Hauptrollen mit US-Stars besetzt sind, die nicht einmal in der Lage sind, die Ibu-Namen korrekt auszusprechen. Der Regisseur gibt denn auch unumwunden zu, dass der Film für den Export konzipiert worden ist.

Das gilt, wie es scheint, für jeden der hier präsentierten Filme, da sie das Afrikabild des Westens immer auch mitreflektieren: Der Kompilationsfilm African Metropolis – Six Stories from Six African Cities (2013) von Vincent Moloi und anderen bietet Kurzfilme aus Abidjan, Kairo, Dakar, Johannesburg, Lagos und Nairobi und sucht damit der Tatsache zu entsprechen, dass heute mehr als die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung in Städten lebt. Als Ergebnis eines Goethe-Institut-Workshops zeigen die Filme in werbenaher Hochglanzästhetik ausdrücklich Bilder eines nicht-armen Afrikas. Anstelle ortsspezifischer Auseinandersetzungen werden rätselhafte bis theatralische, untergründig erotische Begegnungen zwischen den verschiedenen Geschlechtern präsentiert: unter anderem die reizvolle Anziehung zwischen zwei altersverschiedenen Frauen in Dakar oder die zunehmende psychische Verwirrung des US-Malers Jean-Michel Basquiat anlässlich seines Besuchs in der Elfenbeinküste. Da die einzelnen Szenen nicht raumzeitlich kontextualisiert werden, erwächst aus ihnen der Gesamteindruck eines undurchschaubaren, erneut exotischen Afrikas.

Wohltuend referenziert zeigt sich im Vergleich dazu der Spielfilm Examen d'Etat 2014 von Dieudo Hamadi aus der Demokratischen Republik Kongo, mit französischer Hilfe realisiert: Ausgehend von dem Problem, dass Jugendliche in Kisangani trotz der schlechten Unterrichtsbedingungen hohe Summen für ihr Staatsexamen bezahlen müssen, führt er einen Akt der Selbstermächtigung vor. Mit körpernahem und empathischem Kamerablick begleitet er die Jugendlichen bei dem Versuch, sich, nachdem die Hilfe von Medizinmännern nicht fruchtete, selbst zu organisieren und wechselseitig zu unterrichten. Und er widmet allerhand Anteilnahme ihrer überschäumenden Freude, wenn sie schließlich erfahren, dass sie das Abschlussexamen bestanden haben. Ganz anders geht der sich punkig gebende und musikalisch angeheizte Spielfilm Dakar Trottoirs (2013) von Hubert Lara Ndao mit der sozialen Problematik Jugendlicher um. Anstatt die Not unterprivilegierter Milieus in Dakar wie in der Romanvorlage zu schildern und die Stadt selbst, wie behauptet, zum nächtlichen Protagonisten zu machen, führt er die jugendliche Desorientierung soapnah auf eine Liebesgeschichte eng: Eine sich an die reiche Schicht ausliefernde junge Frau wird von ihrem früheren Milieu in Gestalt eines gewaltbereiten Lovers eingeholt. Ausgesät wird nichts als pure Destruktion.          

Gewalt gegen Frauen, ein Thema, das in zwei Spielfilmen aus Nigeria und Äthiopien und einer tunesisch-französischen «Mockumentary» wiederkehrt: Insbesondere letztere, Le Challat de Tunis (2014) von Kaouther Ben Hania, erforscht die arabischen Frauenbilder und die damit verbundenen Demütigungen mit wohltuender dokumentarischer Insistenz. Im Versuch der Rekonstruktion und Reinszenierung eines historischen Vorfalls, bei dem ein «Schlitzer» 11 Frauen im Vorbeifahren den unteren Rücken horizontal aufgeschnitten haben soll, werden ein mutmaßlicher Täter, der sich in dieser Rolle selbst spielt, sowie mehrere weibliche Opfer und weitere Beteiligte befragt. Während die Männer sich weiterhin offensiv zu dieser Gewalttat bekennen, da leicht bekleidete Frauen abgestraft gehörten, ja sogar in einem Videospiel diese Verbrechen zum Nachspielen anbieten, schildern die Frauen die Alltäglichkeit und Kontinuität der körperlichen Übergriffe. Als Geschädigte seien sie gleich noch einmal Opfer der Polizisten geworden. Wie der Hauptverdächtige bekennt: Lieben könne er nur seine Mutter, Liebe sei Illusion, Frauen seien zum Züchtigen da. Der Film entlässt einen mit den unbeantwortbaren Fragen: Wieviele Personen stehen denn hinter diesen Taten? Ist die prinzipielle Geringschätzung der Frau in diesen Kulturen überhaupt abwandelbar? Und wie steht es von daher mit der veränderten oder veränderbaren Imagination Afrikas?