theater

8. September 2013

Alors dans ce miroir Glanz und Elend der Kurtisanen

Von Simon Rothöhler

Birgit Minichmayr hat einen Film gesehen. Da fährt eine Stretchlimousine durch Paris. Martin Wuttke kennt den Film nicht, auch wenn er anfangs das haarige Zottelkostüm des Hauptdarstellers Denis Lavant aufträgt, der in eben diesem Film Eva Mendes in eine Grotte entführt und dann auch nicht recht weiter weiß. Als dann Gérard Mansets «Revivre» ertönt, ist Wuttke, der den Film eben doch kennt, wie vom Affen gebissen: Fünf Minuten Paartanz mit Heißluftballon, eine Herbert-Fritsch-Nummer, die wohl als hausinterne Ansage zu verstehen ist. Was aber will Pollesch von Carax? (Von Balzac jedenfalls schon mal: herzlich wenig). Ein Verbündeter in Sachen Innerlichkeitsfeindlichkeit soll der französische Regisseur sein, weil hinter, neben und unter den Masken des Monsieur Oscar nur immer eine weitere zum Vorschein kommt und weil niemand die schlimmste aller Fragen stellt: «was fühlst du wirklich». Im Umkehrschluss also: Loblied der Fiktion, des schönen Scheins. Minichmayr donnert sich auf, um der Welt Kommunikationsangebote zu unterbreiten und genauso will Wuttke auch sein zwanghaftes Rauchen verstanden wissen: Das tue ich doch nur für euch! (wer zur Antwort hustet, hat sich der Selbstoptimierung schuldig gemacht). Der Polleschtext ist der gleiche wie seit Jahren, die schöne Hysterie des Frühwerks ist offenbar endgültig flöten gegangen (immerhin die Beerdigung war groß: Kill Your Darlings). Peinlich berührt sieht und hört man dem aufgefahrenen Ernstmeinen, den angestrengten Deklamationen zu und fühlt sich wie bei einem Konferenzvortrag, dessen erste Idee man nach zehn Minuten begriffen hat und dann kommt keine zweite. Dass die konsultierte Sekundärliteraturbasis irgendwo in den frühen Nullerjahren stehen geblieben ist, zeigt sich auch daran, dass nun ausgerechnet Sennetts Tyrannei der Intimität alles erklären soll, was an Öffentlichkeit angeblich erodiert ist. Da wird ein Text, ein Theatermodell, ein Schauspielmodus starrsinnige Routine; gepriesen werden Maskenspiele, die Potenz ästhetischer Uneigentlichkeit und das eigene Endsprodukt ist dann die immergleiche Meta-Leier, die selbst längst nichts spielerisches mehr hat, auch und gerade nicht als Reflexionsmaschine. Carax' heilige Motoren waren da längst woanders: zum Beispiel in der Fabrik des Digitalbildes, in der Lavant sich als Proletarier des Motion Capturing verdingt, eine Hinterbühne, die eigentümlich strahlt und leuchtet, als sei sie die eigentliche Vorderbühne – Dans un miroir / trop grand pour moi

René Pollesch, Glanz und Elend der Kurtisanen, Volksbühne (Premiere 5. September 2013)