dokumentarfilm

16. August 2013

Abwasser Imburnal (Sewer, 2008) von Sherad Anthony Sanchez

Von Bert Rebhandl

Mit einem Abflussrohr beginnt der philippinische Film Imburnal von Sherad Anthony Sanchez. Der größte Teil des Bilds liegt im Dunkel, es ist, als würde das Bild selbst nach links ins Helle ausfließen; doch dort liegt auch noch etwas – ein Körper, ein totes Kind? Die Einstellung bleibt eine Weile so stehen, das Wasser strömt, Klarheit wird nicht geschaffen, auch nicht nach dem Schnitt, denn das zweite Bild zeigt offenes Wasser, das Meer, aus dem Off reden Mädchen über ihre sexuellen Erlebnisse mit Freiern.

Imburnal dauert dreieinhalb Stunden, das Wasser ist das alles beherrschende Element. Um den Ort der Handlung zu erfahren, muss ich schon nachschlagen: Davao City auf Mindanao, der südlichen Hauptinsel des Archipel-Staates Philippinen. Die Orte setzen sich nicht zusammen, eine Geschichte auch nicht (im Netz findet sich ein Kommentator, der behauptet, es ginge in Imburnal im Todesschwadronen, die die Elendsviertel säubern, ähnlich wie man es einmal über Rio de Janeiro lesen konnte). Es gibt einige Figuren, die gelegentlich wieder auftauchen, das Mädchen Lang, zwei kleine Jungen, die in den Rohren Schaben sammeln, Allen und Joel.

Spät erst bekommt man ein Bild von den Baracken, die auf Stegen über dem Wasser errichtet sind (in Lola von Brillante Mendoza gibt es ähnliche Siedlungen zu sehen, dort aber in der Hauptstadt Manila), eine shanty town, in der die Leute abends in ihren Quartieren sitzen, trinken, schwitzen, schwatzen. Der in den letzten Jahren viel diskutierte Begriff eines „nackten Lebens“ bekommt bei Sanchez konkrete Bedeutung, allerdings auch durch das, was er weglässt: ein Leben abseits aller Institutionen ist das auch, weil er einfach nur bestimmte Sachen zeigt.

Die Rohre sind das Bild für dieses fragmentarische Erzählen: von wo nach wo führen sie? Wo entsteht der Dreck, der sich in die Gewässer ergießt? Zum Teil sind es wunderschöne, subtropische Landschaften, die die Flussläufe säumen; meistens aber sieht es eher nach einer üblen Brühe aus, die Kinder springen trotzdem hinein. Imburnal ist sicher nicht unproblematisch, und es ist alles andere als klar, worauf Sanchez hinauswill.

Vielleicht kann man den Film als große Metapher sehen, auf eine vergiftete, amphibische Lebensform, eine Evolution, die zurückschwappt in die Ursuppe, und Sanchez sammelt dabei die Leichen ein, und errichtet drumherum eine prekäre Paradiesesmythologie. Seine Experimente mit dem Ton, auch mit dem der öffentlichen Verlautbarungen und aus dem Radio, sind großartig, der Fluss seiner Nicht-Erzählung ist nahezu unwiderstehlich. Und dann steht da auch noch eine goldene Statue herum, wie ein gänzlich entwurzeltes Zitat aus der Odyssee, die Fritz Lang bei Godard drehen wollte – eine Assoziation, auf die Sanchez sicher nicht hinaus wollte, die für mich aber den Kontrast zum blauen Meer schreiend macht, das die erste Umwelt einer europäischen Heldenerzählung war. Imburnal ist in vielerlei Hinsicht am anderen Ende.

Heute, Freitag 16. August 2013, um 19.30 Uhr im Zeughauskino im Rahmen der Reihe Kinematographie heute: Philippinen