routine pleasures

Sound / Atmo

Von Dirk Schaefer

Wenn der Film sich auf die Wanderschaft zwischen Kino und Kunstraum begibt – was geschieht dann mit dem Ton? Bemerkungen zu zwei Ausstellungen.

Frankfurt, Schirn Kunsthalle: «Zelluloid – Film ohne Kamera» (siehe cargo 7). Merkwürdiger Titel für eine Ausstellung, in der hauptsächlich Digitalisate gebeamt wurden, kameralose Animationen aus dem Rechner jedoch ebenso unberücksichtigt blieben wie der wohl erste komplett kameralos produzierte Zelluloidstreifen: Walter Ruttmanns heute als Klangkunst klassifizierter bildloser Film Weekend (1930). Aus dem Bereich des filmisch Wesentlichen verbannt und sich selbst überlassen, begannen die Filmsounds – wie so oft, wenn Filme in Kunsträumen gezeigt werden – durch die Ausstellung zu irren. Tom Holert hat sich über dieses (von ihm «Noisebleed» getaufte) Ärgernis vor nunmehr fünf Jahren in den Texten zur Kunst (Heft 60) beklagt; bewirkt hat das offensichtlich nichts. So löste sich etwa das fröhlich swingende Getröte, das Len Lyes handgemalte Colour Box (1935) im ersten Raum so angemessen begleitete, wie eine schlecht geklebte Tonspur von seinem Ursprungskontext ab und bespielte, dank einer parzellierten, akustisch jedoch offenen Ausstellungsarchitektur, auch noch die Filme in den benachbarten Boxen.

Stan Brakhage, mit dem stummen Mothlight (1963) in der Frankfurter Ausstellung vertreten, hat 1966 erklärt: Meine Filme brauchen eine Musikbegleitung ebenso wenig wie ein Gemälde an der Wand. Doch Brakhages puristische Geste, den Ton komplett zu streichen, zielt auf Konzentration ab; diese nicht-cageanische Stille wird unhörbar, wenn sie von Klängen aus der Nachbarschaft überlagert wird.

Allerdings haben inzwischen auch Malerei und Grafik ihren Anspruch auf Ruhe eingebüßt. Dies zeigt die Ausstellung «Bruce Conner – Die 70er Jahre» in der Wiener Kunsthalle (noch bis Januar 2011). Den Ahnherrn des Found-Footage-Films lernt man dort – anhand der digitalen Rekonstruktion einer Arbeit von 1965, bei der synchron auf drei Leinwände projiziert wurde – als Pionier der kinematografischen Installation kennen. Leider macht sich Ray Charles’ Song What I’d Say, der die Arbeit begleitet, in sämtlichen Räumen der Ausstellung breit. Dadurch werden die bemerkenswerten Gemälde und Grafiken Conners, die es ebenfalls zu entdecken gibt – und die von kleinteiliger, stiller, meditativer Arbeit zeugen – mit dem Sixties-Zeitgeist von Aufbruch und Revolution imprägniert. So wächst im Klangraum imaginär zusammen, was tatsächlich von Brüchen – gerade auch zwischen den «Medien» – geprägt ist: das Werk Conners, des escape artist (Joan Rothfuss), der sich, konfrontiert mit einem blasierten Galeriepublikum, ins Kino abgesetzt hat, weil er die Leute dort, wie er meinte, zwingen konnte, sich auf seine Kunst einzulassen. Die Wiener Ausstellung kommt solchen Bedingungen nahe, wenn sie den Film Breakaway (1966), der die Konventionen des Musikclips vorwegnimmt, um sie im Rückwärtslauf zu überholen, in einer ordentlich schallisolierten Black Box zeigt.

Wenige Meter weiter führen die Kurator/inn/en leider vor, wie man es nicht machen darf: Direkt neben Eve-Ray-Forever, der Ray-Charles-Installation, liegt der offene letzte Raum der Ausstellung. Hier laufen abwechselnd die Filme Crossroads (1976) und Marilyn Times Five (1973), der eine mit Originalmusik von Patrick Gleason, der andere mit einem Song von Marilyn Monroe, den niemand je vergessen wird, der Conners Film gesehen hat. Der Bedeutung der Musik für Conner wird im Katalog ein eigenes Kapitel gewidmet; man erfährt auch, dass er Toncollagen zur Vertonung seiner Filme nicht mochte. Mit diesem Wissen haben die KuratorInnen den Ton zweier Hauptwerke des experimentellen Films durch fehlende Schallisolierung, man muss schon sagen: ruiniert.

Nun muss man zugeben, dass die Wiener KuratorInnen – im Gegensatz zu ihren Franfurter Kolleg/inn/en – einem Klangkonzept folgen. Selbst wenn es mir nicht gefällt, dass Ray Charles sich so breitmacht – soviel ist klar. Gerade deshalb aber fragt man sich fassungslos (ich war nicht der einzige): Warum nur haben sie im letzten Raum keine Tür eingebaut?

Ich glaube, ich weiß die Antwort. Banal wie sie ist, hätte sie Conner vielleicht sogar gefallen. Am anderen Ende jenes Raumes befand sich nämlich ein Notausgang. Und Fluchtwege, das hätte der escape artist Conner womöglich sogar unterschrieben, darf man nicht verstellen.