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Episode Six Feet Under Staffel 3, Folge 1: «Perfect Circles»

Von Tom Tykwer

Waghalsiger, verwirrender, bestürzender und schließlich erlösender Höhepunkt, vielleicht der markanteste in dieser mit dramaturgischen Pirouetten durchaus reich gesegneten life opera. Als hätten sich Mike Leigh und Lars von Trier mit Mike Nichols und Charlie Kaufman zum Dinner verabredet, um gemeinsam ein centre piece, ein Schlüsselfragment für Alan Balls kalifornische Familienchronik zu konstruieren. Ungefähr so: Kaufman schreibt die Exposition (Nate Fisher mit einem Bein im Jenseits), von Trier dreht, schneidet und vertont sie, Leigh probt ein paar Monate lang die anschließenden «Diesseits»-Sequenzen, um sie dann an Nichols zu übergeben, der sie schnell, routiniert und schnörkellos inszeniert.

In dieser scheinbar eklektischen Melange spiegelt sich das Widersprüchliche und Eigentümliche der Erzählstrategie von Six Feet Under: Unter all den klaren, oft geschlossen wirkenden Oberflächen, die uns die Serie – ästhetisch wie psychologisch – anbietet, brodelt fast immer ein konzeptioneller oder emotionaler Vulkan. Kaum glaubt man, vorhersehbare Methoden in der Figurenentwicklung identifiziert zu haben, schlagen sie einen Haken, aber nie einen unwahrscheinlichen, auch nicht einen, der uns einfach nur überrascht, sondern einen, der den handelnden Personen wie auf den Leib geschneidert erscheint – nur dass man es einfach nicht erwartet hätte.

Warum nicht? Weil die analytische Distanz des Zuschauer zum Geschehen mit großer Energie untergraben wird; weil es nicht erwünscht ist, dass wir anders als distanzlos und affektfixiert, also ganz und gar mit Figuren und ihren Handlungen verstrickt durch die mehr oder weniger alltäglichen Katastrophen und Banalitäten (die sich abwechselnd die Klinke in die Hand geben) der Geschichte gezerrt werden; und weil dann der Moment, in dem diese möglichst maximale Immersion gelegentlich aufgerissen, ja zerstört wird, ein umso schockierenderes, verunsichernderes Erlebnis sein kann. Was uns – all das ist stilprägend für moderne Serienkonstruktionen – nachträglich wiederum umso enger an die hermetische Welt von Six Feet Under bindet.

«Perfect Circles», Episode 27 von 63, steht nicht exakt in der Mitte der Gesamtlaufzeit, bildet also auch nicht den Mittelpunkt des epischen Kreises, als den man Six FeetUnder begreifen kann. Ein Kreis, der sich stets schließt und ebenso oft einen Neuanfang setzt, an scheinbar jeder möglichen Stelle, zu jedem möglichen Zeitpunkt. Und der von Sekanten, Passanten und Tangenten attackiert, begleitet und irritiert wird, die jedoch, als Nichtkreise, früher oder später weiterziehen, da sie ja eine Richtung haben, die fortführt, weg, nicht schließend.

In der Form des Kreises versteckt sich die mystische Dimension dieser multifacettierten Erzählung; es geht immer um die Koexistenz von Endlichkeit und Ewigkeit; und so wie ein Kreis eine mathematische Figur, eine Linie ohne sichtbaren Anfang und identifizierbares Ende darstellt, ist er zugleich, als Form, immer auch eine abgeschlossene, finale Einheit.

Folge 27 nun handelt also von Kreisen, sehr konkreten Kreisen wie denen, die Claire Fisher auf ihr Skizzenpapier zu zeichnen versucht, und sehr abstrakten, wie den Déjà-vus, die Nate Fisher erlebt, nachdem er dem Tod von der Schippe gesprungen ist, und die ihn wiederholt in Situationen zurückführen, in denen er zuvor schon gewesen ist, wenn auch als zwischen Leben und Tod mäandernde Seele.

Was in «Perfect Circles» geschieht, ist vor allem für jene, die dem Geschehen zuvor chronologisch gefolgt sind, eine Achterbahn der Gefühle. Nate Fisher, Hauptfigur des Fisherschen Kosmos, ältester Sohn des in Episode 1 verstorbenen geheimnisvollen Übervaters und Unternehmensgründers Nathaniel und dessen Frau Ruth, Bruder von David, dem schwulen Geschäftsführer des Bestattungsinstituts und Claire, der rebellischen Nachzüglerin – Nate Fisher also, der mit der komplizierten Brenda eine äußerst aufreibende Liebesbeziehung führt und gleichzeitig seine frühere Geliebte Lisa geschwängert hat – Nate Fisher, der in der Mitte seines Lebens und vor einem Haufen unbeantworteter Fragen steht, Nate Fisher stirbt.

Der uns aus jeder Folge vertraut gewordene filmische Grabstein – eine weiße Tafel, die üblicherweise, einer Grabinschrift gleich, Name, Geburts- und Todesdatum eines jeden Opfers der an Leichen nicht gerade armen Serie dokumentiert und den Tod derselben Figur damit quasi zertifiziert – erscheint: diesmal mit Name und Todesdatum unseres Protagonisten. Fassungslos starren wir für viele lange Sekunden auf dieses Bild. Wir befinden uns in der ersten Minute von Folge 1 der Staffel 3 – und der Held stirbt?

Doch dann steht er wieder auf und wandelt durch das Haus seiner Kindheit und Jugend, das Haus, in dem seine Familie immer noch lebt und arbeitet – und in jedem Zimmer erscheinen ihm alle nur erdenklichen Szenarien seines Lebens … Möglichkeiten einer Zukunft, Facetten einer Vergangenheit, Varianten einer Biografie, die andeuten, was alles hätte geschehen können, was alles geschehen wird und was sonst noch alles denkbar ist, wenn man von der Kausalitätsleiter des Lebens abgesprungen ist.

Und irgendwann wird uns klar, dass Nate Fisher nicht sterben wird … obwohl er eigentlich schon tot ist.

Nate Fisher wird in Episode 29 nämlich wiedergeboren, nicht in Form einer spirituellen Offenbarung für das familiäre Personal, sondern als ausbuchstabierte Nahtoderfahrung für uns, die Zuschauer. Denn einige bemerkenswerte Minuten später, unfassliches Wunder, bösartiger Trick der Fiktionskonstrukteure, verschwindet das Todesdatum einfach wieder, und dieser Moment demonstriert genüsslich Willkür und Allmacht der Erzähler, ist Zeugnis des Lustgewinns von uns masochistischen Serienrezipienten, die es dort mehr noch als im traditionellen Spielfilm genießen, zum Komplizen der vorübergehenden Aufkündigung linearer Erzählvereinbarungen gemacht zu werden.

Unsere Ekstase über die manipulative Fehlleitung, sie verweist auf unsere Liebe zum Wunder, jenem Scharnier im Fiktionalen, das unterschiedlichste Filme wie Breaking the Waves, E.T. – The Extra-Terrestial oder zuletzt etwa Stellet Licht entscheidend prägt. Selten aber wird das fiktive Co-Personal von den emotionalen Schwankungen so ausgeschlossen, werden sie nicht (wie zum Beispiel Henry Thomas in E.T., dessen Closeup in allen Stadien der Gefühlsreise unser projektiver Anker bleibt) als Spiegel unserer Affekte genutzt.

Der kürzlich von Dominik Graf mit eher diskreditierender Tendenz geprägte Begriff von der «Dramaturgiemaschine», die amerikanische TV-Serien inzwischen antreibe: mag sein, dass sie hier erstmals (im Jahr 2003) in echtes Rotieren geriet. Aber mit welch traumwandlerischer Sicherheit Ball (der die Folge schrieb) und Rodrigo García (der sie inszenierte) von einem erzählerischen Konjunktiv zum nächsten hüpfen, um dann doch wieder, nach einer schier unendlichen Exposition voller Fremdgänge, in das vertraute, ausgeglichene narrative Terrain zurückzukehren, das ist alles andere als maschinell, sondern es ist von großer Bereitschaft zu erzählerischem Risiko und einer spürbaren Erregung über die Möglichkeiten des innerdiegetisch Verknüpfbaren geprägt.

 

Six Feet Under, 1 Film, 63 Teile, 3 300 Minuten Staffel 3, Folge 1