sound/atmo

Sound / Atmo

Von Dirk Schaefer

Nein, ich höre nichts. Stumm läuft er vor mir ab, der neue Film des bekannten Avantgardefilmers. Fast eine halbe Stunde Tonspur steht mir offen, beglückende Freiheit und bedrückende Verantwortung: Lass dir etwas einfallen. Kein Dialog, keine Diegese, aber der Anspruch, der Einzigartigkeit dieser 24 Minuten gerecht zu werden. Und ich höre nichts. Keine innere Musik antwortet auf die kunstvoll verschachtelten, geschichteten Bilder, nur jeden einzelnen Kader höre ich rufen: Mach mich zum Desktophintergrund! Der Film, eigentlich handelt es sich um ein Dutzend kurze und kürzeste Filme, allesamt Bearbeitungen gefundenen Werbefilmmaterials – der Film spricht mich an. Aber das, was mich anspricht, ist nicht die Botschaft, die die Bilder sicherlich (wie könnten sie nicht?) transportieren. Meine Begegnung mit dem Film, den ich vertonen soll, der Glücksfall, den eine solche Begegnung stets darstellt, liegt vielmehr darin, dass ich mich berührt fühle. Dieses Gefühl geht hinaus über die Botschaft wie die Attraktivität, die «Tiefe» wie die Oberfläche. Vielleicht berührt mich die Vervielfältigung der Oberflächen, die Schichtung verschiedener Bildebenen, ihre Reibung. In meiner Lieblingssequenz sind die Bilder weniger montiert als collagiert, nicht ge-, sondern tatsächlich zerschnitten und lose wieder zusammengefügt. Ein Film, das ist eine Haut; hier jedoch fühlt es sich an, als reibe sich Haut an Haut. Fragmente von Frauengesichtern aus der Werbung erblühen und fallen wieder zusammen, kippen ins Negativ und wieder zurück ins Positiv. Auch schönes Haar ist ihnen gegeben; aber all diese maskenhaften Bestandteile weiblicher Schönheit zerstäuben in ihrem Zusammenprall zu etwas Neuem.

Schön und gut. Aber wie klingt es? Wie, beispielsweise, klingen Haare im Wind? Eigene Tonaufnahmen produzieren enttäuschende Ergebnisse. In Tonarchiven findet man einen Eintrag «Haar» ebenso wenig wie den für «Blumenstrauß». Haare rascheln halt irgendwie, wenn der Wind in sie greift. Aber auch der Wind selbst, so vertraut sein Blasen uns als Filmgeräusch mit metaphysischem Bedeutungsmehrwert sein mag, wird sofort zum Problem, wenn er nicht heulen oder singen darf, sondern – gewissermaßen stimmlos – einfach nur aufprallen, rütteln, zufassen soll.

Ich entscheide mich letztlich für verschiedene mehr oder weniger windige Flatter-Geräusche, kombiniert mit dem Rascheln von Wäsche. An den Film angelegt, rasten die Aufnahmen, obwohl sie nicht auf einzelne Details zugeschnitten sind, auf verschiedene unerwartete Weisen mit dem Bild ein – sicheres Zeichen, dass man bei der Vertonung etwas richtig gemacht hat. Aus dem Nichts entsteht so etwas wie ein gemeinsamer Gestus der Bewegungen in Bild und Ton, der nun die Richtung für die verbleibenden Detailarbeiten vorgibt. Ich höre nun also etwas. Aber wie sich herausstellt, weiß ich nicht, was. Der Filmemacher nämlich zeigt sich begeistert von der perfekten Passform und möchte einen bestimmten «synchronen» Sound an einer anderen Stelle noch einmal hören. Welches Geräusch an welchem genauen Punkt er meint, ist allerdings gar nicht so leicht zu klären – insbesondere nicht am Telefon zwischen Berlin und Wien. Denn im Zuge meiner Arbeit habe ich die Klangereignisse von ihrer Herkunft getrennt. Zudem ergeben sich durch die Übereinanderschichtung mehrerer Tonspuren punktuell neue Geräusche.

Man bezieht sich auf kurze, prägnante Sounds aber gern, indem man ihre Quelle angibt. In diesem Sinne beschreibt der Filmemacher mir den Sound, der ihm gefällt, als einen Peitschenklang. Das sagt mir zunächst wenig, denn eine Peitschenaufnahme habe ich nicht verwendet. Also müssen wir unter den benutzten Sounds etwas finden, das, auf welche Weise auch immer, an eine Peitsche oder das Peitschen von Peitschen oder das Peitschen des Peitschens von Peitschen erinnert. Im Lauf des Gesprächs, das von beschreibender Prosa langsam zur Lautmalerei übergeht, zeigt sich schließlich, dass der Filmemacher mit dem Begriff «Peitsche» eine differenziertere Klangwelt assoziiert, als ich es tue, denn eine Peitsche peitscht ja nicht nur, sie rollt sich auch wieder zusammen usw.

Das gesuchte Geräusch kann schließlich als das Aufflattern einer Taube identifiziert werden. Aber beim Versuch, über Sound Klartext zu reden, gewissermaßen beschreibende Prosa, sind wir unversehens in lyrischen Gefilden angelangt. Nicht völlig unpassend vielleicht, handelt es sich doch um eine P. O. E. T.-Filmproduktion. Den onomatopoetischen Teil des erwähnten Telefonats müssen Sie sich bitte selbst denken und laut vorsagen.