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[… a river to skate away on …]

Von Peter Praschl

Wann hört es endlich auf, dass ständig Menschen sterben, die ich kenne, und wenn nicht sie selbst, dann jedenfalls etwas, was sie gemacht haben, aber manche auch selbst, wenn auch manchmal nur für ein paar Minuten, kann mich nicht einmal mehr erinnern, ob es in Hamburg oder Berlin war und in welchem Jahr, ich glaube, Tobi hat sie mir vorgestellt, dass sie bei FM4 sei, sagte er, und sie lachte und sagte etwas Freundliches, an das ich mich nicht mehr erinnern kann, und hatte diese Stimme, die mir sofort weiche Knie machte, wir redeten noch ein paar Minuten, danach hörte ich sie nur noch im Radio, vielleicht drei- oder viermal in den mehr als fünfzehn Jahren seither, aber gleich wiedererkannt und an sie gedacht, dieser seltsame Umstand, dass es Menschen gibt, bei denen man von jetzt auf gleich hin und weg ist, ich war ja nicht der einzige, wie ich den Nachrufen entnommen habe.

Nur manchmal ein Like von mir unter eines ihrer Facebookpostings, wenn sie wieder einmal im Krankenhaus lag oder wieder aus dem Krankenhaus gekommen war, und das Like, das sie bei mir hinterließ, nachdem ich den Tod von Françoise Cactus erwähnt hatte, völlig klar, warum sie das zur Kenntnis genommen hatte, aber ich traute mich nicht, darauf zu reagieren, wie soll das gehen, mit jemandem über ihren Brustkrebs zu sprechen, mit dem man vielleicht zehn Smalltalk-Sätze gewechselt hat, und so wie sie mich habe ich sie ganz sicher nicht umgeworfen, ich brauche ja nicht Sekunden wie sie, sondern eher ein paar Jahre, um Eindruck zu machen.

Es war dann nicht wirklich überraschend, als zwei Tage vor Silvester irgendwo stand, sie sei gestorben, das hatte ich irgendwann begriffen, dass es für sie nur Aufschübe und keine Heilung gab, und dennoch und obwohl ich sie gar nicht gekannt hatte, zog es mir ein paar Wochen den Boden unter den Füßen weg, als ob mich mit ihr eine Geschichte verbunden hätte, die nun abgeschnitten worden war, nicht nur diese paar Sekunden an einem Sommerabend, und schaute mir tagelang immer wieder dieses Youtube-Video an, das ich gefunden hatte, als ich kurz vor Weihnachten nach Joni Mitchell-Konzerten gesucht hatte, jemand hatte über eine Sequenz aus einem Peanuts-Film The River gelegt, und es passte so gut zusammen wie sie damals zu diesem Abend, Snoopie, der davongleitet, während Joni Mitchell «I wish I had a river to skate away on» singt, es dauerte immer nur ein paar Sekunden, bis ich zu weinen begann.