provinzkinos unserer jugendzeit

Corso (Vaihingen)

Von Anke Stelling

Vor vierzig Jahren gab es in Stuttgart wie in ganz Baden-Württemberg ein anhaltend schwarzes Regieren und trotzdem (oder deshalb) eine muntere Alternativ-Szene, zu der auch meine Eltern gehörten. Ich ging nicht in den Kindergarten, sondern in den Kinderladen, meine Mutter hatte keine Buchhandlung, sondern einen Buchladen, und dann gab es in Vaihingen noch den Bioladen, den Dritteweltladen, na ja, und Autoflott, das waren ebenfalls Hippies, Schrauber. Und: Thomas und Christiane vom Corso.

Das Corso war ein Fünfziger-Jahre-Kino mit zwei Sälen, Leuchtkästen und Polsterbestuhlung, also ein echtes Kino, kein Ladenkino, aber ein Programmkino, unabhängig, inhabergeführt. Ins Corso ging man nicht nur, um Filme zu gucken, sondern auch, um bei Thomas und Christiane eine Karte zu kaufen. Außerdem zeigten sie Western. Mein Vater war Westernfan. Ich auch. Vermutlich ebenso die Jungs von Autoflott mit ihren röhrenden Bullis und die Mädels vom Dritteweltladen in ihren handgewebten Ponchos; wir alle mochten Geschichten von Außenseitern, Pionieren und Verteidigern der Freiheit, schließlich waren wir selbst welche da oben auf den Fildern, die von Daimler, Neoplan und Züblin zugebaut wurden, bis kein Kraut mehr wuchs.

Was Thomas und Christiane offenbar auch noch mochten, waren Musikfilme und Musicals. Jedenfalls war der erste Film, den ich ohne Begleitung im Corso gucken ging, Fame von Alan Parker. Ich war süchtig nach der Fernsehserie, die in Deutschland aber nach 26 von 136 Folgen wieder abgesetzt wurde, unbegreiflicherweise. Und dann tauchte über der Tür vom Corso FAME in roten Großbuchstaben auf, und im Leuchtkasten hing ein Plakat mit dem unverwechselbaren Schriftzug. Endlich Nachschub – und große Irritation, weil im Film Leroy zwar gleich aussah (Gottseidank, ich fand ihn irre sexy), aber sowohl Doris (mit der ich als gute Tochter voll identifiziert war) als auch Coco (mein heimliches Idol) völlig anders. Weshalb ich doch ziemlich enttäuscht war.

Mit fünfzehn hatte ich dann mein erstes echtes Kino-Date im Corso, da traf ich Peter S. zu Down By Law von Jim Jarmusch. Ich hatte ihn schon zweimal gesehen (den Film, Peter ungefähr viermal) und konnte mich deshalb voll aufs Date-Haben konzentrieren. Es lief nicht gut. Kein Händchenhalten, geschweige denn Küssen, geschweige denn Knutschen. Vielleicht wollte Peter wirklich den Film sehen. Später, als Thomas und Christiane fort waren (um im Osten ihr Glück zu suchen, genau wie ich!) spezialisierte das Corso sich ganz auf Originalfassungen. Da konnten dann Jugendliche hingehen, um Sprachen zu lernen. Ich habe im Corso gelernt, inwiefern Genre, Widerstand und Kunst zusammengehören: Um die müder werdende Alternativ-Szene aufzumuntern, gab’s nämlich auch stets diese langen Russ-Meyer-Nächte. Erst Die Satansweiber von Tittfield, dann Im tiefen Talder Superhexen und für die, die durchhielten, Megavixens(die komischerweise auf Deutsch so hießen wie die Superhexen auf Englisch). Ich durfte zwar nicht rein (war ja noch keine achtzehn), aber für meine Bildung reichten schon die Trailer, die Thomas und Christiane auch vor den jugendfreien Filmen laufen ließen, dicke aus.