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Der letzte Sommer vor dem Faschismus

Von Peter Praschl

in diesem Sommer fiel mir, einfach so, der Titel «Der letzte Sommer vor dem Faschismus» ein und ging mir wochenlang nicht mehr aus dem Kopf, & ich fragte mich, ob ein Roman so heißen sollte (& wusste genau, dass er nicht vom Faschismus handeln durfte, dafür von einem Sommer, den ein paar Menschen bis zur Neige auskosten wollten, indem sie tranken & lachten & redeten & aßen & tanzten & vögelten, bis es aus und vorbei war) oder vielleicht ein Insta-Feed (glühende Farben, MDMA-Grinsen, Fotos von Skatern, alle mit #derletztesommervordemfaschismus-Markierung) oder ein von Jean-Patrick Manchette geschriebener Krimi (ich hatte jene, an die ich rangekommen war, in diesem Sommer gelesen & auf Wikipedia erfahren, dass er sein Haus nicht mehr verlassen konnte, nachdem er an einer Agoraphobie erkrankt war)

(der alberne Scheiß eben, der einem durch den Kopf geht, wenn man darauf wartet, dass etwas passiert)

in diesem Sommer, in dem ich ungefähr zehn Artikel daüber las, dass Woodstock völlig überschätzt wird, während ich mich daran erinnerte, wie ich mit 15 oder 16 im Linzer Lifka-Kino gesessen hatte und bei Santana (der damals knapp über 20 gewesen und völlig stoned war) und bei Sly & the Family Stone (der bald danach wieder abtauchte) gedacht hatte, dass ungefähr so Gesellschaft sein sollte,

fragte ich mich auch, wie man über Fortschritt erzählen kann, ohne zum nostalgischen Idioten zu werden, denn: es gibt den Fortschritt, manchmal nur ein paar Augenblicke lang, in denen er in die Körper von 12, 14, 20-Jährigen einfährt, & wie kann man davon erzählen, ohne der Gegenwart reaktionär die Vergangenheit um die Ohren zu hauen (wie oft ich in letzter Zeit lese, wie normal es in den 70ern noch gewesen ist, dass Frauen topless badeten, und mich dann selbst daran erinnere, wie schön es war, mit Danica & all den anderen am See zu liegen & niemandem war es besonders wichtig wie jemand aussah, und wie genau solche Erinnerungen bei vielen, die sie haben, zu reaktionärem Gehetze gegen amerikanische Prüderie, Migranten und Feministinnen werden…),

vielleicht, dachte ich, indem man sich dieses Video auf Facebook antut, das einen ORF-Bericht aus dem Jahr 1967 zeigt, der von einem Rolling Stones-Konzert in der Wiener Stadthalle handelt, aber eigentlich nur von langen Haaren und der Frage, ob man denn zum Konzert einen Böller mitgebracht habe, bis schließlich die Rede auf Mick Jagger kommt – den Beat-Goebbels der Stadthalle,

(in einem Land, in dem die Faschisten nie, keine Sekunde lang, weg gewesen sind)

& danach dieses etwas alberne Video von 2013 auf Youtube, in dem Besucher*innen des Burning Man-Festivals zu Daft Punks Lose Yourself to Dance tanzen und lipsynchen, Menschen, die aussehen, als ginge es ihnen nicht um das Aussehen, sagte O, in albernen Kostümen, in Fishnets, Strapsen und mit love handles, und natürlich war das bloß ein Eskapismus für Menschen, die sich Eskapismus leisten können, um drei Tage danach entweder selbst wieder in der Mühle zu schuften oder die Mühle für andere unerträglicher zu machen, & es war auch nicht klar, ob diese Leute nicht vielleicht selbst Faschisten waren oder werden konnten oder nichts gegen sie unternehmen würden,

aber, dachte ich in diesem Sommer: So könnte man sehen, wie wir es ein paar Augenblicke lang dann doch geschafft hatten, die Geschichte abzuschütteln, & was wir verlieren würden, sobald der letzte Sommer vor dem Faschismus zu Ende ginge