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California dreaming Quentin Tarantinos messianische Cinephilie: Once Upon a Time in Hollywood

Von Dominik Kamalzadeh

© Columbia Pictures | Entertainment Pictures

 

Roman Polanski und seine Frau Sharon Tate sieht man nur einmal gemeinsam, und das auch nur aus der Ferne. Sie sind neu eingezogen am Cielo Drive, nordwestlich von Beverly Hills. Im Cabrio fahren sie vorbei, ein Schal flattert im Wind. Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), ihr Nachbar, schaut ihnen hinterher. Auch er ist im Showbusiness tätig, doch als TV-Darsteller für Serien wie Bounty Law und FBI gehörte er einer anderen Klasse an. Als er seinen Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt) auf das mondäne Paar hinweist, drückt sich im Bild auch der soziale Abstand aus. Dalton ist Old Hollywood, ein Routinearbeiter nach dem Vorbild heute fast vergessener Darsteller wie Ty Hardin, dessen Ruhm sich Westernserien im Fernsehen und ein paar Auftritten in Spaghetti-Western verdankt. Polanski und Tate verkörpern jedoch den Glamour von New Hollywood. Sie sind die Gewinner jener kulturellen Umbruchphase im US-Kino, in der einige Jahre lang selbst europäische Auteurs freizügig mit Budgets ausgestattet wurden. 1968 hatte Rosemarie’s Baby seine triumphale Premiere erlebt.

Dass sich Tarantino in Once Upon a Time in Hollywood nur peripher für die Aushängeschilder dieser längst kanonisierten Ära interessiert, dafür seinen Fokus auf die filmischen Handwerker legt, die ein paar Stufen darunter schuften, ist kaum überraschend. Seine Vorlieben für die Genrenischen der Unterhaltungsindustrie, in denen stilistische Extravaganz gedeihen konnte, sind bekannt. Die Ironie liegt freilich darin, dass er Dalton und Booth, deren Freundschaft über ein professionelles Arbeitsverhältnis hinausgeht, mit zwei der größten Hollywoodstars der Gegenwart besetzt. Es ist seine Art, den Übergangenen per Upgrade in 35-mm-Film seine Reverenz zu erweisen: Pulp Fiction als Vintage-Release, der mit historischer Signifikanz veredelt wird. In Inglourious Basterds (2009) sind es bekanntlich die Söldner des Schundkinos, die den letzten «good war» endlich mit jenen Gewaltfantasien gegen Nazis anreichern, von denen wir schon immer geträumt haben.

Die größte Abweichung zur gängigen Formel liegt in Once Upon a Time darin, dass der Film mehr aus dem Modus der Krise, der depressiven Verstimmung Komik generiert als über die Rhetorik der Übersteigerung. Seit Jackie Brown (1997) hat man Tarantino nicht mehr so entspannt erlebt. In einer ersten, breit ausgespielten Konversationsszene tritt der Produzent Marvin Schwartz (Al Pacino) im schon damals herrlich altmodischen Musso & Frank Grill am Hollywood Boulevard auf Dalton mit einem schrecklich neumodischen Angebot zu: Er soll in Rom einen Spaghetti-Western drehen. Der Darsteller, der ein eher traditionelles Männlichkeitsbild verficht, sieht seinen Stern nur noch ein Stück weiter sinken. Auf die Italienoption reagiert er wie ein beleidigtes Kind, mit Wut und Tränen.

Tarantino bewegt sich elegant durch eine Art «Has- Been»-Intervall. Die Gegenwart wird durch die Uneinholbarkeit der Vergangenheit bestimmt. Durch die Zumischung hochprozentiger Cocktails dehnt sich der Abstand nur noch weiter aus. Dalton memoriert im Swimmingpool treibend mithilfe eines Kassettendecks seine Dialoge für einen Dreh, an die er sich am Set dann nicht mehr erinnern kann. Die behäbige Fernsehkamera ruckelt wie ein Kleinlaster immer wieder zurück an den Ausgangspunkt, damit die Szene wiederholt werden kann. Nach einer besonders expressiven Performance bekommt er dann von einer achtjährigen Kinderdarstellerin zu hören, dass sie noch nie jemanden so gut spielen sah. Die Weinerlichkeit, mit der DiCaprio den gekränkten Narzissmus seiner Figur ausagiert, belegt zugleich deren Ernst. Es ist ein schönes Bild für jemanden, der immer dann, wenn er am meisten will, an Muskelschwäche laboriert.

 

© Columbia Pictures | Entertainment Pictures

 

Rund um diese Making-of-Szenen öffnet sich der Film so beiläufig wie ein Fächer. Sharon Tate (Margot Robbie) ist die Prinzessin dieses Märchens, die unschuldige Kindfrau, die vor der Unrast der Geschichte beschützt werden muss. Tarantino begleitet sie, wie sie in Stiefeln und Minirock shoppen geht, und er ist an ihrer Seite, wenn sie fast schüchtern um den Gratiseintritt in ein Kino bittet. Dort läuft gerade The Wrecking Crew (Phil Karlson, 1969), einer ihrer eigenen Filme. Die Szene hat Tarantino wohl ganz bewusst zu Daltons enervierendem Kampf mit sich selbst ersonnen: Tate wird hier als ideale Zuschauerin gezeigt, ein Geist schon zu Lebzeiten, der sich an der Gegenwärtigkeit der Bilder des Kinos erfreut. Mit hochgelagerten Füßen (einer der beliebten Money-Shots des Regisseurs) genießt sie nicht nur ihre eigene Jugend auf der Leinwand, sondern auch die Reaktionen des Kinopublikums. Die Mühe des wackeren Dalton, der beharrlich seinem eigenen Rollenbild hinterherläuft, kontrastiert der Film mit der Selbstverständlichkeit einer Frau, die mit sich selbst im Reinen ist. Das Wissen um das tragische Schicksal von Tate, die im August 1969 zum Mordopfer der bestialischen Manson-Bande wurde, setzt der Film natürlich voraus. Tates Schönheit entwickelt erst vor dem scheinbar unumkehrbaren Ende ihre Strahlkraft; die Melancholie des Films liegt im Bewusstsein ihrer Sterblichkeit. Tarantino ist der messianische Cinephile, der seine Idole vor realen Zurichtungen bewahren will.

 

© Columbia Pictures | Entertainment Pictures

 

Um den krisenhaften Schauspieler und den weiblichen Star zu verbinden – und damit das Märchen perfekt zu machen –, braucht es allerdings noch eine dritte Figur: die des modernen Ritters. Der Stuntman Cliff Booth ist in der ultracoolen Darstellung von Brad Pitt nicht nur Cover von Dalton, das so tatkräftige wie wortkarge Double; er ist auch abseits von Filmsets ein ganzer Mann. Als ihn der Film das erste Mal bis zu seinem Wohnsitz begleitet, der weitab von Hollywood, hinter den sieben Bergen im San Fernando Valley liegt, muss die Kamera eigens über die Leinwand eines Autokinos hinwegklettern, bis sie am Ende bei einem kleinen schäbigen Trailer ankommt. Dort finden sich nur wenige Habseligkeiten, ein paar Comics, sein Hund Randy, der im Finale noch wichtig wird. Booth, ein Korea-Krieg-Veteran, ist ein Fixer mit der paternalistischen Moral einer Clint- Eastwood-Figur. Er steigt mit nacktem Oberkörper auf Dächer, um Antennen zu reparieren, und legt sich mit Bruce Lee an, wenn ihm dieser zu selbstgefällige Phrasen drischt. Booth wartet mit dem No-Nonsense-Lächeln eines Mannes, der sich nicht mehr verändern wird, auf seinen Moment. Das macht ihn zum perfekten Begleiter durch einen Film, der von einer unbeschwerten ersten Hälfte in eine unheilschwangere zweite kippt, in der sich die Zeichen einer kulturellen Wende mehren.

Die US-Schriftstellerin Joan Didion schreibt in ihrem Essay The White Album, dass es in Los Angeles im Jahr 1969 eigentlich niemand erstaunt hat, was am 9. August am Cielo Drive geschehen ist. Das Böse lag wie ein schlechter Geruch in der Luft, auch wenn niemand richtig benennen konnte, woher er kam. Tarantinos Film ist ein Schwanengesang auf die Zeit davor. In einer der schönsten Sequenzen des Films verknüpft er Restaurant- und Diner-Portale wie «Der Wienerschnitzel» oder «Taco Bells» zu einer nostalgischen Collage (Kamera: Robert Richardson), begleitet von California Dreaming in der wehmütigen Interpretation von José Feliciano: das Bild einer Ära, in der es noch keine Franchise-Industrien gab.

Tarantinos kultureller Traditionalismus drückt sich, je älter er wird, immer unverblümter aus. Eine Schlüsselszene spielt auf einem ehemaligen Filmset, der Spahn Movie Ranch, wo einst Western gedreht wurden, dann aber Mansons Hippies ihre Bleibe gefunden haben. Das Setpiece für eine sich verfinsternde Wirklichkeit wird von ihm wie die Overtüre zu einem Horrorfilm umgemünzt. Booth wird die junge Pussycat (Margaret Qualley) dorthin chauffieren und dann auf den Besuch des ehemaligen Besitzers – ein großartiger Auftritt von Bruce Dern – bestehen, den jedoch längst die Amnesie hinweggerafft hat. Den kulturellen Umschlag trifft Tarantino in dieser Szene des Films deshalb am besten, weil er wie die Türen eines Saloons unentschieden in zwei Richtungen schwingt. Wenn die Manson-Bande dann doch noch ausrückt, hält das Kino alle Antworten bereit.

 

Once Upon a Time in Hollywood (Quentin Tarantino) USA 2019 | Kinostart am 15. August 2019