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All Our Younger Years Über Elisabeth Moss in Alex Ross Perrys Her Smell

Von Simon Rothöhler

© Bow and Arrow Entertainment | Faliro House Productions

 

An der Front von Something She steht, singt, gitarrespielt, wütet Becky Something. Späte 1990er Jahre, US-Alt-Rock, Frontfraucharisma im Energiezentrum eines heftig musizierenden Trios. Volatil ist gar kein Ausdruck. Soll bloß keiner dumm kommen. Gleich in der Eröffnungssequenz eine Ansage vor der Zugabe: Sie sei «not fucking finished». Nur mal so fürs Protokoll. Fuck you überhaupt als Bandmythos und gemeinschaftstiftendes Bandprinzip: «I always flirt with death | I look eew but I don’t care about it».

Something She ist nicht Hole, aber die Geister von Courtney Love, Kristen Pfaff, Patty Schemel, Melissa Auf der Maur scheinen nicht weit. Nur Kurt fehlt. Mal wieder. Stattdessen lungert ein hilfloser DJ namens «Dirtbag Danny» im Backstage herum und verlangt Unterhaltszahlungen für eine gemeinsame Tochter, die das lärmende Tourchaos mit Kleinkindgelassenheit hinnimmt. War ja nie anders. Die Nichtwitwe Becky, aktuell erheblich verdrogt und schon recht weit in einen für die Umstehenden trotz jahrelanger Erfahrung offenbar schwer auszurechnenden Aggroanfall investiert, weiß nicht so richtig, wer dieses Kind ist, was es will oder wollen könnte und warum sie für dessen unnützes Hier-und-in-der-Welt-Sein auch noch sauer erspieltes Geld zahlen sollte. Zur Sammlung also High Five plus Konsultation mit einem unvermittelt emergierenden spirituellen Guru namens Ya-ema, der für Becky das ist, erläuterte Alex Ross Perry in einem sehr lesenswerten Interview mit Ignatiy Vishnevetsky auf Mubi, was Sharon «Yoda» Maynard für Axl Rose war (wir googeln auch diesen Namen und erinnern uns dunkel an Gymnasialzeiten und die MTV News mit Steve Blame).

Wie lange kann das mit Something She bei dieser Frequenz an bad vibes noch gut gehen? Ist das überhaupt schon mal gut gegangen? Unter die auf 35 mm gedrehten anamorphotischen Techniscope-Bilder (Showgirls-Apologet Perry: «full-on Verhoeven style») mischen sich früh bandhistorische Videovignetten. Formatwechsel, Elektrorauschen: All-Female-Bandgeschichte als Mediengeschichte, in der eroberte Zeitschriften-Cover (SPIN titelt: «Back and ready to conquer») und relativ goldene Schallplatten euphorisch vergemeinschaftet werden. Das videografisch dokumentierte vormalige Miteinander hebt sich als Kontrastfolie auch deshalb ab, weil die in der vergleichsweise tristen Post-Grunge-Gegenwart bereits erheblich fortgeschrittene Selbstzersetzung auf ein autoaggressives Solo zuläuft, das jenseits des Mitteilbaren liegen, das sprachlos machen wird.

Alex Ross Perry stellt Elisabeth Moss – es ist die dritte Kollaboration nach Listen Up Philip (2014) und Queen of Earth (2015) – fünf (Hinter-)Bühnen, fünf mit viel Steadicam gefilmte Echtzeit-Sequenzen, fünf ausdrücklich shakespeareartig gebaute Akte zur Verfügung, um, auch ganz schauspieltechnisch gesehen, beim Hoch- wie beim Runterpegeln undergroundfilmmäßig in die Vollen gehen zu können. Ziemlich grandios daran ist weniger eine naturalistisch gemeinte Performanz von Intensitäts- und Verausgabungsgesten, sondern in erster Linie, wie doppelbödig-zeichenhaft Moss diese ikonisch abstrahierte Frontfraufigur in diesen Film stellt. Ausmessung eines Spektrums über dessen Pole: von der Destruktionsenergie, die die protegierte Grrrl-Pop-Punk Band Akergirls (eine generationelle Provokation, die Cara Delevingne sehr lässig mit ambivalenten Respektgesten perforiert) in einem klaustrophobischen Studio-Setting zu spüren bekommt, bis zur beunruhigend petrifizierten Starre in der als Isolationshaft empfundenen Detoxphase spielt sich Moss mit fast schon schauspielsystematischem Furor immer scharf an die Grenze zum komplett aus der Rolle fallenden Overacting heran – übertritt sie aber nie.

 

© Bow and Arrow Entertainment | Faliro House Productions

 

Überhaupt der vierte Akt, in dem Moss wie ein aus jeder Sozialität entrücktes Phantom durch ein zivilisationsfernes Waldhaus geistert, als hätte sie sich (hier kommt Kurt) in Gus van Sants Last Days (2005) verlaufen. Durchgezogen wird ein Entzugsprogramm, das in jeder Faser dieses Frontfraukörpers als Fremdsteuerungssignal anzukommen scheint. Höhere Wesen befahlen: Auch die Umprogrammierung spielt Moss nicht psychologisierend, nicht als finale Umsetzung eines im Off abgelaufenen Bewusstwerdungsprozesses, sondern ebenfalls forciert abstrakt. Oder konkret: Entgiftung bedeutet hier Leermachen, Abgeschaltetwerden, Entsubjektivierung.

Filmgeschichtlich betrachtet ist Moss’ Becky Something damit auch lesbar als eine Art Schwester- und Gegenfigur zu Maggie Cheungs unvergesslicher Emily Wang in Olivier Assayas’ Clean(2004) – einem in vergleichbaren Milieus und Szenezusammenhängen situierten Drogentrauerfilm, der auf denkbar vernünftigste Weise vergangene Rauschzustände bilanziert (nämlich im Dialog mit einem Veteranen: mit Nick Nolte, in seiner ersten und immer noch besten Altersrolle).

Wie überlebt man den Alt-Rock der 1990er Jahre? Gute Frage. Auf Zeitzeugenkommunalität setzen, weiterleben mit anderen Überlebenden? Clean hielt das für einen mindestens zweischneidigen Fluchtweg (möglich mit Beatrice Dalle, keine gute Idee mit Jeanne Balibar). Und auch in Her Smell gibt es zwei Antworten, die mit popmythologischer Selbstzerstörungsromantik gleichermaßen wenig anfangen können: eine entwaffnende Cover-Version von Bryan Adams’ Heaven und eine Reunion, in der Solidarität nur um den Preis einer Selbsthistorisierung der eigenen Subkultur möglich scheint. 

 

Her Smell (Alex Ross Perry, USA 2018) ist seit Mai 2019 über Amazon Video und iTunes verfügbar