filmwissenschaft

Erwartungshorizont Über Iranian Cosmopolitanism. A Cinematic History von Golbarg Rekabtalae

Von Bert Rebhandl

Im Dezember 2017 fand in Basel eine Tagung über Concepts of reality in Iranian cinema statt. Einer der besten Vorträge kam von Golbarg Rekabtalaei, einer Historikerin, die an der Seton Hall University in South Orange (New Jersey) arbeitet. Sie sprach über «Film-farsi fantasies», und damit über einen Bereich des iranischen Kinos, über den im Westen nicht so viel bekannt ist, denn auf den internationalen Festivals dominiert doch sehr klar das nachrevolutionäre Autorenkino die Aufmerksamkeit. «Film-farsi» ist zwar einerseits ein Allgemeinbegriff, der einfach das nationale Kino («farsi» als Bezeichnung für die Landessprache) meint; präziser ist damit allerdings eine bestimmte historische Periode bezeichnet, in der das Kino im Iran eine zunehmend wichtigere Rolle für die Konstituierung einer Nation bekam. «Film farsi» war die populäre Begleitung der Bemühungen der Pahlavi-Dynastie zwischen 1925 und 1979 um einen modernen iranischen Staat.

Nun ist das Buch erschienen, an dem Golbarg Rekabtalaei damals gerade arbeitete: Iranian Cosmopolitanism. A Cinematic History durchmisst die iranische Filmgeschichte im 20. Jahrhundert bis zur Revolution im Jahr 1979. Die Kategorie des Kosmopolitanismus dient Rekabtalaei dabei dazu, das Nationale am iranischen Nationalkino differenzierter zu bestimmen – auch in einem Spannungsverhältnis zu einer Moderne, die nun nicht mehr als Übernahme westlicher Fortschritte gesehen werden muss. «I investigate modernity in local material conditions of everyday life and posit it as part of a simultaneous ‹global process› that allowed for the ‹hybridisation of cultures› and the refashioning of ‹national selves›. » Das iranischen Kino begann erst in den 1930er Jahren mit der Produktion von «eigenen» Filmen. Bis dahin war Kino, wie Rekabtalaei es rekonstruiert, eine Angelegenheit von flexiblen Unternehmern, die in die Nischen der kosmopolitischen Stadt Teheran gingen und mit ihren Filmimporten auch die geopolitischen Verhältnisse im Iran abbildeten. Russland, das schon das ganze 19. Jahrhundert hindurch ein entscheidender Nachbar gewesen war, trat mit den Revolutionen von 1905 und 1917 noch einmal stärker in den Mittelpunkt. Der sowjetische Botschafter Theodore Rothstein, der 1920 nach Teheran kam, hatte auch etwas vorzuweisen: er richtete auf dem Platz vor dem Botschaftsgebäude ein Freiluftkino ein, das an jedem Freitag Filme aus der revolutionären Gegenwart in Russland zeigte.

Rekabtalaei konterkariert mit ihrer Schilderung von Teheran als einem Ort der Heterotopien auch das prominente Motiv, dass das Kino im Iran von ganz oben eingeführt wurde: der Schah Mozaffar ad-Din sah in Paris einen Kinematografen und ordnete den Kauf der Technologie für sein Land an. Wenn man die Geschichte so erzählt (und das war lange Zeit die geläufige Version), unterschlägt man die vielfältigen Handels- und anderen Beziehungen nach Aserbaidschan oder Armenien, die auch rasch das boomende Gewerbe der Filmvorführungen nach Teheran brachten. Besonders interessant ist, wie Rekabtalaei die zahlreichen Wochenschau-Aufnahmen eines der ersten Kriege im 20. Jahrhundert für den Iran situiert: «The Russo-Japanese war, as a global event projected many times on Iranian cinema screens, in a sense became the ‹future past› of Iran in 1906, in that the war against an imperial power – captured in moving images – provided a horizon of expectation for Iranians during the Constitutional Revolution.» In dieser Angelegenheit ist ein Detail am Rande von Interesse: 1935 wurden die Kinos in Teheran in drei Kategorien eingeteilt, bei der obersten Kategorie war eine der Vorschriften, die für diesen besonderen Status galten, die Vorführung von Aktualitäten, die «nicht älter als zwei Monate» sein durften. Für die «future past», von der Rekabtalaei schreibt, ist das eine bürokratische Berechnung: In Newsreel-Material von Ereignissen der jüngeren Vergangenheit mochte sich der Funke einer historischen Entwicklung für das eigene Land finden.

Mit dem Machtwechsel von der Kadscharen- zu der Pahlavi-Dynastie begann eine Politik der staatlichen Integration in Richtung eines «progressiven, souveränen und moralischen Iran», die auch zu einer Zentralisierung des Kinos führte. Sprache wurde nun die wesentliche Organisationskategorie für das nationale Kino. Daraus erwuchsen aber auch neue Dilemmata. Denn in dem Maß, in dem populäre Filme nun bei dem literarischen Erbe ansetzten und zum Beispiel auf Nationalepen aus der Zeit der Sassaniden zurückgriffen, lief das iranische Kino, auch nach Meinung der Filmkritik, Gefahr, sich selbst zu «orientalisieren». Rekabtalaei erörtert das am Beispiel des Films Shirin and Farhad, der auf einem Epos aus dem 13. Jahrhundert (westlicher Kalender) beruht. Man sieht hier schon deutlich, wie sehr sich die Konstellationen ähneln: Ein nationales Kino steht mit seinem Stoffen in vielfachen Spannungen, die sich wiederum auf Konzepte «alternativer Modernitäten» beziehen lassen. Folklore bildet dabei einen Widerspruch zu den Ansprüchen auf eine Teilnahme an globalen kulturellen Bewegungen. Das Konzept des «Kosmo-Nationalen» (entlehnt von dem Anthropologen Michel S. Laguerre: A Cosmonational Theory of Global Neighborhoods) dient Rekabtalaei dabei als Vermittlungsform, die es immer wieder erlaubt, zwischen den Ebenen des Nationalen und den verschiedenen Modernitäten hin und her zu schalten. Mit der Professionalisierung des iranischen Kinos unter dem ersten Pahlavi-Schah wurde dann die Grundlage für die eigentlichen «Film farsi» gelegt, die zu den vereinheitlichenden, zentralistischen Interessen einer Filmpolitik von oben dann schon wieder die entsprechende Differenzierung mit sich brachten: denn sie handelten von «chaotischen sozialen Beziehungen», und ließen in häufig komischer Form die Anpassungsschwierigkeiten konkret werden, die ein Land wie der Iran auf seinem Weg in die Zukunft durchlief.

Denn natürlich waren die internationalen Filmerfolge auch der lokalen Industrie bekannt. Vor allem Italien ist ein interessanter Vergleichsfall. Dass die Schauspielerin Silvana Mangano einem iranischen Kritiker als «östliche Schönheit» erscheinen konnte (in dem Film Il lupo della Sila, 1949), ist auch Ausdruck einer – man könnte sagen – modernologischen Parallele: Italien stand nach dem Zweiten Weltkrieg vor ähnlichen Herausforderungen wie der Iran, in Hinsicht auf seine Einordnung in die politische Landschaft des Kalten Kriegs und der wachsenden Konsumkultur, wie auch auf die Integration von Zentrum und Peripherie (der unterentwickelte Süden). Wenn heute das populäre italienische Kino dieser Zeit neu in den Blick genommen wird (wie es das Österreichische Filmmuseum getan hat, und aktuell auch das Arsenal in Berlin), dann haben wir es mit Konstellationen und Strategien zu tun, die Rekabtalaei bei den Fantasien entdeckt, die sich in «Film farsi» zeigen. Sie macht nebenbei auch auf konkrete Beziehungen aufmerksam: Padri e figli (1957) von Mario Monicelli fand sich schon 1959 in dem iranischen Film The Twins von Shapur Yasami mehr oder weniger frei adaptiert. «By the 1960s, popular cinema continued to be perceived by social critics as a corruptive site of sociability, dominating over the traditional, religious and local aspects of Iranian life. […] Films were perceived as capitalist commodities that colonised cultural imaginations.» Auf dieser Ebene trafen sich übrigens die Argumentationslinien der antiimperialistischen iranischen Intellektuellen mit der der deutschen Studentenbewegung, die 1967 gegen den Besuch des Schahs in Berlin protestierte. Einer der Orientierungspunkte für Alternativen zu diesem warenförmigen Kino boten die Neuen Wellen in den verschiedenen Kinoländern, ein anderer war der Islam. Rekabtalaei zitiert eine Stelle aus dem Jahr 1962 aus der Monatszeitschrift Maktab-i Islam (Die Schule des Islam), die dem Kino die «Verbreitung von Prostitution und Unmoral» vorwirft.

1969 taucht mit Gaav (DieKuh) von Dariush Mehrjui ein Film auf, der heute oftmals als ein Vorläufer des iranischen Kinos gesehen wird, das nach 1979 starke Verbreitung fand: die Geschichte eines Bauern in einer entlegenen Gegend, der nur über eine Kuh als Mittel der Subsistenz verfügt. Das Tier hat symbolische Bedeutung, es steht aber auch für eine ganz konkrete Wirtschaftsform, der wiederum ein Stellenwert in der Verteilung von Kosmo-Nationalität zugewiesen werden kann. Der Bauer unterläuft mit seinem Status die Ambitionen von «Film farsi», zu der globalen Verteilung von Wohlfahrt auch die «chaotischen» Facetten der Teilhabe an Phänomenen wie Mode oder sexueller Befreiung hinzuzufügen. Das «Neue Kino» nach der Revolution konnte mit den Regeln der «modesty» bei einer Stunde Null ansetzen, die den Iran gleichsam aus dem Spiel der «weißen Telefone» nahm, um es mit dem Begriff zu belegen, der in Italien den Neorealismus (negativ) inspirierte. Mit den Vereinheitlichungen der Revolution erübrigte sich offiziell auch das Kosmo- Nationale. Dessen Herausforderung lag ja in der ständigen Integration von nationaler Identität mit den Modernitäten, die im Kalten Krieg sowohl mit der Chiffre des (amerikanischen) Imperialismus wie des (sowjetischen) nominellen Anti-Imperialismus besetzt waren. Es wäre spannend, wenn Golbarg Rekabtalaei die historiografischen Kategorien, die sie mit ihrem Buch erarbeitet hat, auch noch auf die Ausnahme anwenden würde, die das iranische Kino seit 1979 darstellt: ein Gegenkino, das wiederum mit seinen Strategien des impliziten Erzählens einen maßgeblichen Einfluss auf das heutige Festivalkino ausgeübt hat. 

 

Golbarg Rekabtalaei: Iranian Cosmopolitanism. A Cinematic History (Cambridge University Press 2019)