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Breitenbachs Erben Aufbau und Zerstörung des Lektorats an der Berliner Amerika-Gedenkbibliothek

Von Madeleine Bernstorff und Max Linz

 

1954 am Halleschen Tor eröffnet, ein luftiger (Zentral- und Landesbibliothek Berlin) verheerende Flachbau, die weit gespannte Lesehalle und im rechten Winkel dazu ein leicht geschwungenes 5-stöckiges Gebäude, wurde die Amerika-Gedenkbibliothek (kurz: AGB) zu einem Ort des Wunderwissens, der immer neuen Zugänge.


Madeleine Bernstorff: «Ende der 1980er Jahre war es möglich die gebundenen Ausgaben der Zeitschrift Der Querschnitt nach Hause auszuleihen, Schallplatten anzuhören in einer kleinen Kabine, und wenn ich es gekonnt hätte, auch auf dem Konzertflügel zu üben oder kurdische Literatur im Original zu lesen. Als wir 1995 unsere Film- und Vortrags-Tournee mit der vietnamesisch-amerikanischen Kulturtheoretikerin und Filmemacherin Trinh T. Minh-ha im kleinen FSK-Kino veranstaltet hatten, tauchten kurze Zeit später einige ihrer Filme als Videokassetten in der Bibliothek auf, herausgegeben vom englischen feministischen Verleih Cinenova. Das Berliner Kinoprogramm wurde in der AGB bemerkt und zugänglich gemacht. Filme von Pedro Costa waren schon lange vor dem Hype in den Regalen zu finden. Unermessliche Rechercheverzweigungen, die auf kenntnisreiche Weise von den LektorInnen an den Pulten mit weiteren Vorschlägen unterstützt wurden; vieles aus der abgeschafften Landesbildstelle war auch an die AGB gegangen».

Max Linz: «An der Berliner Filmwissenschaft galt als ungeschriebene Einstellungsvoraussetzung für studentische Hilfskräfte im Bewerbungsgespräch auf die Frage, wo man gegebenenfalls am Institut nicht zuhandene DVDs und Videos für Lehrveranstaltungen und Sichtungen auftreiben würde, zu antworten, dass man in die AGB gehen würde. Was sowieso der studentischen Angewohnheit entsprach: Es schien dort schlicht alles zu geben, was es eben gab. Zuletzt hat Simon Rothöhler an dieser Stelle der AGB im Namen von vielen – aus Anlass von Frederick Wisemans Portrait der New York Public Library EX LIBRIS – für ihre spezifische Sammlungspolitik immerwährende Dankbarkeit ausgedrückt (cargo 38). Und ein Text zu Eric Rohmers Filmen von Carolin Weidner (cargo 37) trägt als Titel die AGB-Signatur für dessen oeuvres complètes, Film 10 Roh.»


Seit einigen Jahren jedoch ist eine für gerade diesen auf wundersame Vollständigkeit orientierten öffentlich zugänglichen Buch- und Medienbestand der ZLB Tendenz zu beobachten, die ausgerechnet durch die Leitung der Bibliothek selbst ins Werk gesetzt wurde. Denn Hauptmerkmal dieser vom seit 2012 amtierenden Managementdirektor Volker Heller unter dem verschleiernden Schlagwort der «Digitalisierung» forcierten Entwicklung ist die Auslagerung der Buchbeschaffung, die seit 2016 nicht mehr in den Händen der von Gründung der Bibliothek an selbstverständlich damit befassten BibliothekslektorInnen liegt. Nachdem die Kooperation mit dem Reutlinger Bibliotheksdienstleister EKZ, der mit einer sogenannten «einheitlichen deutschen Standard-Auswahl» zahlreiche Stadtbibliotheken beliefert, gescheitert war, wurde 2017 die Auswahl von Dreiviertel des jährlichen Kaufzugangs, vorwiegend Bücher, für eine Laufzeit von zunächst drei Jahren an die Münchner Großbuchhandlungskette Hugendubel übertragen. Seitdem können die LektorInnen nicht mehr selbst auswählen, bis auf einen kleinen virtuellen «Warenkorb» aus vorgefertigten Listen von Hugendubel. Nur noch ca. ein Zehntel des Etats ist frei verfügbar für Leserwünsche und den Ersatz defekter Medien.

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Pläne für die Auslagerung Anfang 2015 hatte sich dagegen Protest organisiert. Die zu dem Zeitpunkt pensionierten LektorInnen Ursula Müller-Schüssler und Peter Delin, die für die Filmabteilung zuständig gewesen waren, machten Nutzerinnen und Nutzer mit Flugblättern auf die geplanten Veränderungen aufmerksam. Eine Online-Petition wurde gestartet und im Sommer 2015 mit 20000 Unterschriften an das Abgeordnetenhaus weitergereicht, wo sie jedoch offenbar wenig mehr als ein Schulterzucken ausgelöst hat – sie wurde tatsächlich nie beantwortet. Mit dem Regierungswechsel 2016, der Ablösung von Tim Renner (SPD) durch Klaus Lederer (Linke) als Vorsitzendem des ZLB-Stiftungsrates, verband sich die Hoffnung vieler UnterzeichnerInnen auf eine gründliche Revision dieser durch keine – auch nicht haushaltspolitische – Notwendigkeit veranlassten Umstrukturierungsmaßnahme. Diese wurde bislang jedoch komplett enttäuscht. Lederer stimmte in seiner Eigenschaft als neuer Kultursenator dem Vertrag mit Hugendubel zu und trat seinen Vorsitz im Leitungsgremium an Staatssekretär Torsten Wöhlert ab. Bei einer Anhörung im Abgeordnetenhaus im September 2018 war von ihm zu dem Thema nur zu erfahren, dass man sich die Ergebnisse in drei Jahren anschauen werde, um dann über eine Verlängerung des Vertrags zu befinden.

Bereits jetzt fällt beim Besuch auf, wie sehr die Einrichtungen der zlb, insbesondere die AGB und ihre Schwester-Institution im Ostteil, die Berliner Stadtbibliothek (BSTB), von den Veränderungen affiziert werden. Die Häuser scheinen sehr stark zu Eigenwerbung angetrieben zu werden, noch von einfachsten Gebrauchsgegenständen wie z.B. dem Schlüsselband zum Spind werben Phrasen wie «alles FÜR sie – ZLB». An den Wänden neben den Ausleihautomaten, zu deren Benutzung die FachmitarbeiterInnen die NutzerInnenschaft animieren müssen und auf den Eingangstüren hängen QR-Codes mit beschämenden Sprüchen, etwa: «Wie war ich?». Der sehr durchschaubare Versuch, sich auf diese Weise als benutzerInnenfreundliches Haus zu präsentieren und zugleich nutzerInnengeneriertes Feedback zur Wiedereinspeisung in die Bibliotheksöffentlichkeit und die administrativen Entscheidungsprozesse zu erhalten, wird durch ein übergeordnetes Programm flankiert, das immer wieder versucht, die Aufmerksamkeit auf die Bibliothek als Ambiente und «sozialen Raum» zu lenken. Neben der Werbung für eher leseferne Aktivitäten und Sonderveranstaltungen werden wiederum Umfragen durchgeführt (etwa: «Was brauchst Du für eine Bibliothek, um die Welt zu verändern?»), deren Beantwortung dann auf bunten Zetteln die Wände des Lesesaals schmückt.

In der AGB am Halleschen Tor gibt es inzwischen einen tagsüber bewirtschafteten Mini-Kaffee-Ausschank mit den allgegenwärtigen Muffins, Sonntagsöffnung mit externem Kommunikations-Personal, eine Zeitungs- leselounge und die «Themenboutique», die das selbst- bestimmte Umherschweifen und Vagabundieren allerdings nicht ersetzen kann.

Was der Bibliotheksleitung als in der Bibliothek zu würdigender öffentlicher Anlass erscheint, reicht vom Berliner Theatertreffen zur Fußball-WM, wo sich dann, wie auf den Bestseller-Tischen im Eingangsbereich, die Sportler-Biografien ballen. Zusammengenommen wäre das als Epiphänomen verunglückter institutioneller Selbstdarstellungsrituale noch mit einem Stirnrunzeln auszuhalten. Beim Blick in die Regale des größten Freihandbestands einer öffentlichen Bibliothek in Berlin jedoch ist der Effekt eines gnadenlosen Substanzverlusts nicht zu übersehen. Besonders in den Belletristik-Abteilungen der AGB fällt die Anzahl der Dubletten auf, stehen einzelne Titel bekannter AutorInnen großer Verlage im halben Dutzend in den Regalen. Durch die «automatisierte Buchauswahl genannt Standing Order» liefert Hugendubel 80 % der Buchauswahl. Eine eigene Abteilung bestellt bei erhöhter Nachfrage Mehrfachausgaben der in den gängigen Bestseller-Listen geführten Neuerscheinungen nach, die sich dann mit rückläufiger Publizität und Nachfrage in den Regalen sammeln. Den LektorInnen ist nicht mehr gestattet, diese Mehrfachexemplare ins Magazin zu räumen. Der bis 2015 in Eigenregie von den jeweiligen LektorInnen aufgebaute Bestand verschwindet aus Platzgründen mehr und mehr im Magazin bzw. Außenmagazin, von wo aus eine Bestellung nicht am selben Tag zu erhalten ist. Damit sinkt nicht nur der praktische Nutzen des Freihandbestandes für gezielte Recherchen vor Ort, sondern auch die Chance, nebenbei einen Titel im Regal zu entdecken, den ein Lektor oder eine Lektorin in freier Gestaltung und Kenntnis des selbst aufgebauten Bestands dort platziert hat. Zumal die Möglichkeit, zu Themenkomplexen mit Hilfe der Pultverantwortlichen weiteres Material aus dem Magazin zu bekommen, inzwischen obstruiert wurde, da die systematischen Signaturen durch eine zwar platzsparende, aber unspezifische ‹numerus currens›-Ordnung, welche die Bände nach Eingangsdatum einsortiert, ersetzt wurde. Stattdessen müssen die LektorInnen nun ihrerseits Hugendubel solange bei der Buchauswahl unterstützen, bis man sich in München ein hinreichendes Bild von den Ansprüchen des speziellen AGB-Publikums gemacht hat.

Dabei, so erzählt Peter Delin, als wir ihn im Oktober 2018 zum Gespräch treffen, ist auch die Entstehung der Filmsammlung der AGB auf eine Initiative bibliothekarischer Erfüllung des Zeitgeistauftrags, nämlich der seinerzeitigen «Neuen Medien», zurückzuführen. 1993 hatte die damalige Leiterin entschieden, einen «populären Bestand» von VHS-Kassetten anzuschaffen. Delin und seine 2015 verstorbene Lebensgefährtin Ursula Müller-Schüssler, deren beider Expertise auf dem Gebiet bekannt war, übernahmen diese Aufgabe, modifizierten sie allerdings entscheidend: «Wir haben gesagt, das machen wir nicht, sondern wir wählen ausschließlich nach der Qualität der Filme aus.» Innerhalb von zwei Monaten wurden 1000 Titel angeschafft. Da englische Untertitel Bedingung waren, vorwiegend aus UK. Dieser Auswahl war «sofortiger Erfolg» beschieden, was die Legitimation nach sich zog, jedes Jahr mit einem hohen Etat mehrere Tausend Titel anzuschaffen, zunächst durch Mailorder und «Beschaffungreisen» ins Ausland, später, ab circa 1998, auch über das Internet. Bis 2013 kam unter ihrer Ägide so eine Sammlung von ungefähr 50 000 Filmtiteln zu Stande.

Den auch für sie selbst überraschenden Erfolg der Filmsammlung erklärt Delin mit der eigenen Verwurzelung in der (West-)Berliner Filmszene und dem Kontakt zum Publikum: «Man kann nie wissen, was das Publikum will – wir konnten uns nur einbringen, weil wir mit der Szene verbunden waren.» Ihm ist wichtig, darauf zu verweisen, dass nicht nur Film-Experten das Angebot von Anfang an nutzten, da neben dem cineastischen auch ein Augenmerk auf dem Kinder- und Jugendfilm sowie dem Sach- und Dokumentarfilm lag. Am Beispiel der Filme von Frederick Wiseman lässt sich der Prozess des Bestandsaufbaus veranschaulichen. Als dieser endlich sein Gesamtwerk über seine Firma Zipporah auf DVD veröffentlicht, erwirbt Delin es über seine Privatanschrift, um den wesentlich höheren Tarif für den educational market, der in den USA für Bibliotheksexemplare fällig wird, zu umgehen. «Ich erhielt einen erbosten Anruf einer Mitarbeiterin von Wiseman, die herausbekommen hatte, dass ich im Auftrag einer Bibliothek bestellte, konnte sie aber irgendwie mit dem Hinweis auf die zu erhaltenden Bibliothekstantiemen beschwichtigen. Ganz astrein war es jedenfalls nicht.»

Ein besonderer Bibliotheksbestand wie jener der AGB entsteht also nicht durch das Abgreifen eines vollständig am Neuerscheinungsmarkt orientierten kommerziellen Angebots, sondern durch, wie Delin es ausdrückt, «Leute, die mit den Inhalten vertraut sind und da ein Engagement haben. Davon lebt so eine Einrichtung.» Delins Vertrautheit mit seinem Gegenstandsbereich als Lektor hat viel mit seiner eigenen Bildungsbiografie zu tun: An der Uni in Kiel betreibt er Ende der 60er Jahre einen Filmclub, die britischen Alliierten hatten darauf gedrungen, dass die Studierenden kulturelle Bildung erhalten, so dass die Mensa mit einer 35mm-Projektionskabine und einer riesigen Leinwand ausgerüstet ist, vor der sich ein Publikum von bis zu 600 ZuschauerInnen einfindet. Ab 1973 studierte Delin an der DFFB, wo er nach eigener Aussage aber «nichts erreicht», und beginnt, ohne einen Abschlussfilm fertiggestellt zu haben, in der AGB zu arbeiten. Parallel verbringt er die 70er und 80er im Kino Arsenal und begleitet das Internationale Forum des Jungen Films von Beginn an als Zuschauer. Beider Program me bleiben beständige Referenzen bei der Beschaffung neuer Titel.

Dabei spielt für die Kompetenzen des Lektorats auch die Durchlässigkeit der Organisation für ihr qualifiziertes Personal eine Rolle, bis hin zur Gestaltung der Architektur. Anfang der 70er Jahre konstituiert sich in der AGB ein Personalrat – zu diesem gehört Ursula Müller-Schüssler –, «der sich nicht auf personalrätliche Dinge beschränkt, sondern auch Bibliothekspolitik macht, Informationsrunden einführt, bei dem die Leitung Fragen aus der Belegschaft beantworten und sich ständig reinreden lassen muss.» So übernimmt im Zuge der Westberliner Modernisierungsvorhaben rund um die 750-Jahr-Feier gegen Ende der 80er Jahre eine Personalgruppe die Planung des damals schon nötig gewordenen AGB-Erweiterungsbaus. Die Leitung will lediglich ein neues Magazin errichten lassen, die LektorInnen schlagen dagegen vor – um im Sinne der Konzeption der AGB als Public Library die maximale Zugänglichkeit des Angebots zu gewährleisten –, alle Medien für das Publikum frei zugänglich aufzustellen. Als der damalige Kultursenator Volker Hassemer für den Vorschlag der Lektorinnen optiert, ist die «Leitung aus dem Spiel und die Gruppe übernimmt die Federführung über die Planung.»

Innerhalb von drei Jahren wird ein Bibliothekskonzept zur Baureife entwickelt, das bei gleichem Bauvolumen auf 12 000 qm Publikumsfläche einen Freihandbestand von 400 000 Bänden für kalkulierte Baukosten von 100 Mio DM geboten hätte: «Eine Bibliothek, die enorm erfolgreich gewesen wäre. Und sehr preiswert.» 1991 werden diese Pläne kurz vor dem geplanten Baubeginn gestrichen. Seitdem fehlt der Erweiterungsbau und wird zunehmend zum Politikum. Zuletzt scheitert ein Neubau auf dem Tempelhofer Feld am Volksentscheid, und eine Machbarkeitsstudie für einen Bibliothekscampus am Marx-Engels-Forum kommt zu einem negativen Ergebnis. Mittlerweile ist der Erweiterungsbau der AGB am heutigen Standort beschlossene Sache. Nur ist nicht zu erwarten, dass für den Planungsprozess eine ernsthafte Beteiligung der Belegschaft vorgesehen ist. Die Zahl der Fachlektoren der zlb hat sich unter Heller bereits um 40% (von 25 auf 15) im Bereich der Universalbibliothek für Erwachsene verringert, Stellen wurden nicht neu oder mit anderem Management-Personal besetzt, das die Umstrukturierungen umsetzt. (Stattdessen wird auf der Webseite vage mit «verschiedenen Partizipationsprozessen» geworben.) Der bislang fehlende Neubau diente einstweilen dazu, Entscheidungen wie das Schreddern von mehreren Hundertausend Büchern, die längere Zeit nicht ausgeliehen waren, mit Platzmangel zu begründen.

Dabei hat die autonome Arbeit des Lektorats bei der Entwicklung einer Sammlung eine konstitutive Bedeutung in der Geschichte der AGB – durch diese Arbeit wurde sie zu dem, wofür sie allseits geschätzt wird, was Peter Delin «den Clou der AGB» nennt: «Das Besondere an der AGB war von Anfang an, dass es alles gab: von der populären Literatur bis hin zu wissenschaftlichen Titeln, die von allgemeinem Interesse sind. Ernst Reuter, als Regierender Bürgermeister Westberlins, hatte den Plan verfolgt, die vom amerikanischen Hohen Kommissar John J. McCloy für die AGB vorgesehenen Bibliotheksmittel für eine Bibliothek zur Herausbildung einer neuen demokratischen Führungsschicht, die nicht vom Nazismus beeinflusst ist, zu verwenden, und zwar weil Westberlin nach dem Krieg keine wissenschaftliche Bibliothek hatte – die drei großen Bibliotheken lagen alle im Osten. Als die amerikanischen Kulturoffiziere von Reuters Ansinnen erfuhren, schritten sie energisch ein, weil sie eine Bibliothek für die allgemeine Bevölkerung haben wollten. Eine Bibliothek, die für die Berliner da ist – und zwar als Geschenk dafür, dass sie während der Blockade zu ihnen gehalten hatte.»

Dass die Mittel überhaupt für den Bau einer Bibliothek eingesetzt werden konnten, und nicht etwa, wie von Westberliner Politikern zuvor favorisiert, für den Bau einer Philharmonie, führt Delin auf den Bibliothekar und Kunsthistoriker Edgar Breitenbach (1903–1977) zurück, der in der unmittelbaren Nachkriegszeit als amerikanischer Kulturoffizier beim Hochkommissar McCloy für die westdeutschen Bibliotheken zuständig war. Breitenbach wurde in der Warburg-Bibliothek in Hamburg ausgebildet, ordnete dort die Fotoabteilung neu, wurde dann von Erwin Panofsky und Aby Warburg an die Universitätsbibliothek Göttingen empfohlen, bevor er vor dem Faschismus in die USA fliehen musste. Nach Kriegsende vom Münchener Collection-Point für die Rückführung der Raubkunst nach Frankfurt am Main versetzt, konnte er als Bibliotheksfachmann die geplante Bibliothek amerikanischen Typs, wie sie in den usa des New Deal z. B. in Baltimore oder mit der New York Public Library entstanden war, durchsetzen. «Das sollten keine hehren Einrichtungen sein, sondern die sollten eigentlich aussehen wie Kaufhäuser, mit Schaufenstern, wo die Leute reingezogen werden. Man merkt gar nicht: bin ich jetzt noch auf der Straße oder bin ich schon drin? Und dann alles in Freihand, anspruchsvoll und populär, beides eben. Das ist eigentlich durchweg den amerikanischen Kulturoffizieren zu verdanken, die alle elitären Vorhaben der Berliner Administration um Reuter abgeblockt haben. Und sie haben auch alles bestimmt: Reuter wollte die Bibliothek zwischen Zoo und HDK bauen lassen, da wo heute das Berliner Bank-Gebäude steht, er wollte es an die Tu anschließen. Und die Amerikaner verfügten, dass die Bibliothek in einem Arbeiterbezirk errichtet werden muss.»

Edgar Breitenbach hat dann die zentrale Rolle des Lektorats in der neueröffneten AGB auch selbst mit ausgefüllt, indem er als Lektor die Kunstabteilung der Bibliothek aufbaute: «Als Inspirator für die Bibliothek als ganze hat er selbst Hand angelegt und einen Bestand aufgebaut, der sich gewaschen hatte, das war absolut top. Das war ein Bestand, der alle bedeutenden einführenden Werke umfasste, von denen viele im nationalsozialistischen Deutschland in Vergessenheit geraten waren. Und er hat das als Kunsthistoriker selbst gemacht. Und diese Abteilung war bis in die jüngste Zeit sehr bedeutend, sozusagen das Gegenstück zur Kunstbibliothek, wo man ja nichts ausleihen kann. Jetzt leidet die Kunstabteilung aber unter der Zerstörung der Lektorate. Das wird jetzt bei Hugendubel in München gemacht. Das heißt, die Tradition, die eigentlich ein großer Gewinn für das Land Berlin war, durch die Amerikaner, wird 70 Jahre später zerstört. Es ist heute nicht mehr möglich, in der ZLB einen differenzierten Bestand aufzubauen, weil die Lektoren einfach abgesägt sind. Die haben da nichts mehr zu mel- den, die arbeiten nur noch Hugendubel zu.»


Anmerkung: die AutorInnen haben im Sommer 2015 gemeinsam mit Kathrin Lehnert, Nanna Heidenreich und Sebastian Bodirsky einen mehrsprachigen offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller und den damaligen Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten, Tim Renner, initiiert, um ihn über den Protest gegen die Pläne des ZLB-Managements in Kenntnis zu setzen.

Aus der damaligen Antwort: «Die Veränderung wird es der ZLB ermöglichen, neue und zusätzliche interessante und notwendige Angebote zu erarbeiten, denn die Nutzerinnen und Nutzer haben nicht nur das Recht auf eine hohe Medienvielfalt in ihrer Zentralbibliothek, so wie diese sie heute und in Zukunft anbietet, sondern auch auf Zugang und Beratung in allen heutigen Formen der Informationsbeschaffung und auf Teilhabe in der Welt von Kommunikation und Medien. Möglich werden diese neuen Services durch das Fachpersonal, das durch die veränderten Erwerbsverfahren die zeitlichen Kapazitäten für diese neuen Aufgaben gewinnt.»