serien 2009

Cinematic Televsion Mad Men und das Kino

Von Simon Rothöhler

«Cinematic Television» lautet eine Formel, die der Sender AMC von Beginn an offensiv im Marketing von Mad Men eingesetzt hat, um eine ästhetische Differenz zu markieren. «Kino» wird hier vor allem als Qualitätsreferenz aufgerufen, als Hinweis auf eine bestimmte produktionelle Investition in das Bild, die medienhistorisch betrachtet nicht mit dem System Fernsehen in Verbindung steht. In der Tat sind die genrespezifischen Production Values von Mad Men extrem hoch. Die aufwendig inszenierten zeitgeschichtlichen Details in Kostüm und Setdesign ergeben das filmische Gewicht eines dicht gewobenen Period Pictures. Vermutlich ist Mad Men die erste Serie, deren historische Maskerade ästhetisch so ausdifferenziert ist, dass auf der Hardware-Seite eigentlich nur noch die hochaufgelösten Screens und Projektoren des «Heimkinos» als Adressaten in Frage kommen. Die kritische Werkausgabe strahlt AMC dementsprechend nicht zu festen Sendezeiten aus, sondern on demand: HD, it’s toasted.

Technologisch gesehen operiert das «Cinematic Television» von Mad Men also in gewisser Weise jenseits beider Medien, zumindest in ihrer klassischen Rezeptionsform. Auf der Bildebene ist die Kinohaftigkeit der Serie zwar unmittelbar evident, aber gar nicht so einfach zu benennen. Der Eindruck entsteht wohl vor allem durch die Art und Weise, wie Figuren im Raum stehen, Blickachsen aufgebaut und gehalten werden, Texturen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken und handlungsrelevante Ereignisse an den Bildrand. Oder wie die Dialoge konstruiert sind, insbesondere die gedehnten Pausen zwischen Rede und Gegenrede, die sich das Kino im Vertrauen auf die Präsenz seines Bildes immer schon gelassener erlaubt hat als das Fernsehen, das nicht schweigen kann und auch visuell zu Zentrierung und Vereindeutigung neigt.

Das Kino tritt uns in Mad Men allerdings nicht nur als Medienhierarchien ins Spiel bringendes Marketingsignal und inszenatorisch eingelöster Bildwert entgegen – als ästhetische Praxis, die sich eine Fernsehproduktion erst mal leisten können muss –, sondern auch als medialer Resonanzraum, der selbst bereits historisch ist. Als hyper-ikonisches Zeichenmuseum verschreibt sich die Serie einer exzessiven Ansammlung signalstarker Details, die gerade die Kinogeschichte als privilegierte Codes für das Epochenkürzel «60er Jahre» rausgefiltert, überhöht und tradiert hat. Insofern ist «Kino» in Mad Men eine Art Durchlauferhitzer für die visuelle Rekonstruktion eines dennoch relativ konkret verort- und datierbareren Lebensraumes; wobei es häufig gerade Medienereignisse wie der Kennedy-Mord sind, die als zeitlicher Index fungieren.

Mad Men stellt die 60er Jahre in Bildern nach, die sich als «60er Jahre» signalisierende Kino-Bilder mediengeschichtlich durchgesetzt haben. Konsequent entwirft die Serie ihr Zeitkolorit vom Überlieferungs-Standpunkt unserer gegenwärtigen visuellen Kultur aus. Wegen dieser Medialisierungsschleife wirkt sie als Period Picture so überartikuliert. Immer wieder wird deutlich, dass die eigentliche Referenzebene von Mad Men nicht hinter den Bildern, sondern in ihnen liegt. Das betrifft zum einen eine ganze Reihe von zeitgeschichtlichen Ereignissen und Diskursen, die über ihren medialen Status erzählt werden. Vor allem aber verhandelt Mad Men einen Medienwechsel: den Siegeszug des Fernsehens und die damit einhergehende Intensivierung des individuellen Bildkonsums. Die marktförmige Durchdringung dieser neuen medialen Verhältnisse, der Aufstieg des Fernsehens als instrumentelles Leitmedium der «Bewusstseinsindustrie» ist ein wichtiger Erzählstrang der Serie (auch wenn Sterling Cooper ausgerechnet sein TV-Department nie in den Griff bekommt).

Mad Men umkreist einen historischen Moment, in dem sich ein noch junges Bildmedium als Ordnungsfaktor in Sachen Wirklichkeitsverhältnis etabliert und nachhaltig in den privaten Raum vordringt. Die Kehrseite dieser Umwälzung lokalisiert die Serie weniger in einem dadurch bewirkten Realitätsverlust, als in einer unbestimmten Nostalgie, die stetes präsent ist und in der Carousel-Episode («The Wheel», 1.13) explizit an epiphanische Medieneffekte und das Warenförmigwerden von Erinnerung gekoppelt wird. «Cinematic Television» klingt aus der Sicht des Kinos nach Zwangsehe, enthält aber nicht nur ein ästhetisches Programm, sondern auch eine Sehnsuchtsformel, die jeden Medienwechsel begleitet: Die eingespielten Gefühlsbindungen, die wir mit alten Medien unterhalten, sollen in die neuen restlos überführbar sein. Auch davon handeln die remediatisierten Kino-Bilder von Mad Men.