dokumentarfilm

Im Unterholz Aktivismus und Personenkult: Laura Poitras porträtiert Julian Assange

Von Simon Rothöhler

© Laura Poitras | praxis films (Neon/Showtime/Field Vision)

 

Nur einmal wird die Kamera fortgeschickt. Julian Assange, auf den diese Kamera zur sichtlichen Satisfaktion des WikiLeaks-Gründers fixiert ist, hat sich mit einer guatemaltekischen Unterstützerin ins Unterholz zurückgezogen. Zum Gespräch. Man ist in Norfolk, unweit von Ellingham Hall, dem luxuriösen Landhaus des Frontline Club-Gründers Vaughan Smith, das Assange im Herbst 2011 als Refugium diente. Er steht unter Hausarrest, abends muss er sich immer vor 22 Uhr auf einer lokalen Polizeistation melden. In Schweden hat ein Verfahren wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch gegen ihn begonnen. Ihm droht die Auslieferung: zunächst zur Befragung nach Stockholm, am Ende, so vermutet sein Team wohl nicht ganz zu unrecht, in die USA, deren Dienste ihn spätestens seit den Iraq War Logs (2010) nachdrücklich auf dem Radar haben.

Einer wie Assange muss deshalb auch im Gestrüpp auf der Hut bleiben. Als verdächtige Geräusche vernehmbar werden, entsteht trotz demonstrativer Coolness eine Nervosität, die nicht recht zum Ambiente einer Landpartie passen will. Ein Fuchs? Eine verdeckte Operation? Die Guatemaltekin tippt auf einen betriebsamen Vogel, Assange, zunächst camoufliert mit Sonnenbrille und Wollmütze, hat aber «two guys» ausgemacht. Deshalb wird die Kamera direkt adressiert. Sie möge doch bitte mal aufs Feld gehen und nach dem Rechten sehen. Macht sie dann auch prompt. Konspirativ angesprochen bahnt sie sich einen Weg durchs dichte Gehölz, schwenkt, im Freien angekommen, suchend umher. Es findet sich aber niemand und nichts Verdächtiges. Nur eine herrlich grüne Landschaft.

Laura Poitras, die damals mit ihrer Kamera in dieser bukolischen Szenerie stand und vergeblich nach Gefährdern fahndete, hat die vergleichsweise lange Sequenz, in der inhaltlich nichts Relevantes besprochen wird, wohl vor allem pars pro toto für ein zum damaligen Zeitpunkt anwachsendes Einkreisungsgefühl in RISK aufgenommen – ein Film, der weniger das Projekt, Vorgehen und Selbstverständnis von WikiLeaks dokumentiert, als versucht, dem mit bemerkenswert kultischen Zügen verehrten Gründer und Anführer eine Art Porträt abzugewinnen. Von wo aus Poitras’ Kamera das tun soll, wie Assange den allem Anschein nach unrestriktiven Zugang zu sich und seinen Vorhaben selbst versteht – gewährt deutlich bevor Poitras’ Verbindung zu Edward Snowden auch aus ihr eine prominente Aktivistin werden ließ (filmisch umgesetzt 2014 mit CITIZENFOUR) –, wird im Gestrüpp deutlich: Die Beobachtungsinstanz soll nicht dokumentieren, sondern kollaborativ teilnehmen und sich auch mal operativ instrumentalisieren lassen, wenn draußen etwas vor sich geht, das drinnen ein dringliches Aufklärungs-oder Mitteilungsbedürfnis auslöst.

Poitras scheint leider zu glauben, dass die Szene einer randständigen und folgenlosen Aktivierung im Norfolker Busch ihren Standort ausreichend kritisch markiert. Um reflexiv sicher zu gehen, greift sie einige Male zu einem betont monoton vorgetragenen Voice Over, der höchst ungefähr von Ambiguitäten und Grenzverläufen spricht, die «very blurred» seien. Soso. Dabei ist die jetzt veröffentlichte Version des Films eine neue Schnittfassung, eine Revision der 2016 in Cannes gezeigten Arbeit, die, so klingt es jedenfalls in Berichten, ein (noch) freundlicheres Bild von Assange zeichnete.

Dazwischen liegt bekanntlich der 8. November 2016, die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Und so beginnt RISK nach einigen vagen bis selbstgefälligen Statements der Hauptfigur zum Verhältnis von Prinzipientreue und Pragmatismus (er hätte da, tiefer Blick in die Kamera, eine gute Balance im Köcher) nun also mit einem Anruf, den Sarah Harrison – Assanges treue, immerzu fasziniert aufblickende Mitstreiterin, die hier allerdings eher eine tapfere Sekretärin gibt, die für den Chef eine Verbindung anmoderieren muss und dann abtreten darf – im State Department platziert, nachdem sie augenscheinlich auf einer öffentlichen Webseite der Behörde eine Telefonnummer ausgemacht hat, hinter der der Begriff  «emergency» auftaucht. Man möge sie, sagt Harrison tatsächlich, doch bitte zu Hillary Clinton durchstellen, Herr Assange habe eine wichtige Mitteilung für die Außenministerin (es geht um WikiLeaks’ hauseigene Datenpanne während «Cablegate», mit der auf einen Schlag die gesamten Botschafterdepeschen unredigiert, außerhalb der für diese Aktion eigentlich vorgesehenen journalistischen Zwischenmedien im Netz publiziert worden waren). Die Anfrage wird, mäßig erstaunlich, abschlägig beschieden: «You are not on the appropriate level to speak to Hillary», muss Harrison dem verächtlich grinsenden Assange übermitteln.

Assanges greifbare Abscheu gegenüber Clinton trägt unzweideutig, auch das dokumentiert RISK, persönliche Züge. Auf der einen Seite, so fasst er in einer leider nicht genauer datierten Szene gegen Ende des Films die Wahlkampfkonstellation in den USA zusammen, stehe Clinton ( a definitive warmonger who is coming for us»), auf der anderen Trump, der eben «unpredictable» sei. Auch hier zeigt sich, dass Poitras nicht bereit ist, Assanges Handeln in einer nicht-anekdotischen Weise auf seine Konsequenzen und Motive hin zu untersuchen. Die Frage, warum Assange das sehr wahrscheinlich aus einer direkt von Putin angeordneten Hackerattacke auf die US-Demokraten stammende E-Mail-Material auf seiner Enthüllungsplattform veröffentlichte – dort, um maximale Beschädigung der Kandidatin bemüht, als «Hillary Leaks» gelabelt – wird mit einem lächerlichen non-denial denial beantwortet («Assange denies his source is a state actor»), als sei der entscheidende Punkt, welche vorgeschobene Attrappenfigur die russischen Fundstücke als letztes Kettenglied in Assanges Hände gespielt hat.

Poitras ist nicht vom Glauben abgefallen. In Interviews bezeichnet sie WikiLeaks als «journalistisches Projekt» und verteidigt die Politik der Organisation unverdrossen über das ziemlich schwache Kriterium der «newsworthy information». Wenig überraschend weicht sie in Risk der neuralgischen Frage durchgehend aus, wo und wie ein ursprünglich hacktivistisch formuliertes Axiom radikaler Transparenz an de facto demokratiegefährdende Grenzen oder eben legitime Sicherheitsbedürfnisse demokratischer Gesellschaften und ihrer Institutionen stößt. In anderer Hinsicht bricht die nun veröffentlichte Schnittversion das apologetische Porträt jedoch deutlich auf. Hervor tritt männliche Egomanie. Wie misogyn es im WikiLeaks-Milieu zugeht, wie hartnäckig Assange die Anschuldigungen aus Schweden vor seinen entsetzt dreinblickenden Anwältinnen als «tawdry radical feminist conspiracy» abtut (er selbst glaubt also nicht, wie manche seiner Anhänger, dass hier feindliche Geheimdienste vorgetäuschte Opfernarrative fabriziert haben), zeigt RISK dankenswerterweise in aller Deutlichkeit (auch in Bezug auf Jacob Appelbaum, dem ebenfalls sexuelle Nötigung vorgeworfen wird, was Poitras, die mit dem Tor-Aktivisten eine zeitlang liiert war, bestätigt, wenn sie im Voice Over von ähnlichen Erfahrungen eines Opfers spricht, mit dem sie befreundet ist).

Die Nähe, der exklusive Zugang zu einem geschlossenen Aktivistenzirkel – und dem darin entfesselten Personenkult – beschert RISK spektakuläre (Flucht auf dem Motorrad in die ecuadorianische Botschaft), intime (Muttergespräche) und strategische Einblicke (Feinjustierung der Sprachregelung in der Vorbereitung auf eine Leak-PK). Bis Poitras sich entschloss, Assange die Snowden Files vorzuenthalten, konnte sie jahrelang filmisches Nahbeobachtungsmaterial sammeln. Danach dünnte der Kontakt immer mehr aus. Poitras’ Voice Over-Nachruf verzichtet darauf, die Bruchstellen zu benennen und belässt es beim zarbitteren Aber einer Ambivalenzpoetik: «Ego, yes. But also brave. He’s managing his image, but also being vulnerable.»

RISK habe Assange, so heißt es, vor allem wegen der entlarvend misogynen Szenen außerordentlich missfallen. Von Verrat ist die Rede. Poitras’ Film dokumentiert aber auch, dass sich die Erschöpfung und Invertierung utopischer Gehalte, die vor einer Dekade noch ganz selbstverständlich mit den digitalen Datentechnologien und ihrem Versprechen auf globale Vernetzung verbunden schienen, auch entlang der Geschichte des Enthüllungsprojekts ablesen lässt.

Der Umschlag in Überwachung, Fake, Hate, Konspiration und Kommerz hat längst stattgefunden, realiter wie diskursiv. Als Prophet der Transparenz ist Assange den Weg mehr oder weniger aktiv mitgegangen, von der berechtigten Demaskierung amerikanischer Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan zur Fabrikation antidemokratischer Kurzschlüsse und Allianzen. Heute wird er per Videochat mit unerträglichen Theorieclowns wie Slavoj Zizek auf Podien gebeten, wartet zwischenzeitlich auf den nächsten Botschaftsbesuch von Nigel Farrage und frische Datenlieferungen aus dem Hause Putin oder wenigstens einen weiteren gut bezahlten Auftritt im Fernsehnetzwerk Russia Today, für das er sich nach wie vor gerne Zeit nimmt.

Ins Schwitzen gerät Assange nur, als Lady Gaga in der ecuadorianischen Botschaft vorbeischaut, die Beengtheit der vorgefundenen Räumlichkeiten mit spöttischen Halbsätzen bedenkt und den weißhaarigen Guru exakt null seiner philosophischen Allgemeinplätze zu Ende sprechen lässt. Nicht dass die teeniehaft in einem Sessel lungernde Gaga sonderlich kritisch nachfragen würde, welche Prinzipien Assange mit welchem Pragmatismus in wessen Endgame wie genau zu balancieren gedenke. Erst ins Unterholz locken und dann fortschicken lässt sie sich allerdings auch nicht.

Risk kann über iTunes (US) gestreamt werden