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Ein Akt der Zurückhaltung Jia Zhang-ke und die Uiguren

Von Ekkehard Knörer

Wer als Regisseur in China kritischen Geistes ist und seine Filme dennoch ins Kino bringen will, kommt um Gratwanderungen nicht herum. Viele junge Filmemacher, deren meist digital und billig und ohne Genehmigung produzierte Werke dann nur im Untergrund und auf westlichen Festivals zu sehen sind, lassen sich darauf nicht ein. Andere, wie etwa Lou Ye, dessen jüngster, trotz Verbots entstandener Film Spring Fever dieses Jahr im Wettbewerb von Cannes zu sehen war, nehmen das Risiko auf sich, heimlich weiter Filme zu drehen. Und manche der einst legendären Regisseure der fünften Generation sind heute nichts anderes als Staatsregisseure: Zhang Yimou, der zuletzt das Eröffnungsspektakel der Olympischen Spiele inszenierte, als exemplarischer Opportunist vornedran.

Jia Zhang-ke, der wohl wichtigste Spielfilmregisseur der nachfolgenden Generation, sucht, wie er im cargo Interview beschreibt, nicht die Konfrontation, sondern die Diskussion mit der Zensur. Nach seinen abseits offizieller Beachtung entstandenen frühen Filmen wie dem Meisterwerk Platform sieht er sich heute in einer prekären Position, auf der sich Anerkennung im Inland und Ruhm im Ausland nicht widersprechen. Er wagt sich an problematische Themen, mit Vorsicht. Das wie er selbst sagt generationenbestimmende Thema Tiananman aber meidet notgedrungen auch er. So führt er in seinen Filmen die Auswirkungen verfehlter Regierungspolitik auf die Menschen in den Provinzen vor Augen und verhandelt die heikelsten Punkte mit den sich dafür zuständig erklärenden offiziellen Stellen.

Während er in seinem Werk nur die ausdrückliche Auseinandersetzung nicht sucht, vermied er mit einem umstrittenen Schachzug jüngst die Auseinandersetzung ausdrücklich. Er war mit seinem Film 24 City eingeladen zum Filmfestival Melbourne. Als er erfuhr, dass auch die exiluigurische Menschenrechtskämpferin Rebiya Kadeer zur Vorstellung eines Dokumentarfilms anreisen würde, sagte er seine Teilnahme ab und zog seinen Film – sowie weitere seiner Produktionsfirma – zurück. Nicht kommentarlos. «Der Rückzug», schrieb Jia, «ist keine Einmischung in die Angelegenheiten des Festivals, sondern ein Akt der Zurückhaltung.» Man muss Jia nicht übel wollen, um festzustellen, dass diese Zurückhaltung primär einen Adressaten hat: all jene, auf deren Wohlwollen er aus Rücksicht auf Weiterarbeit in seiner Heimat angewiesen bleibt.

Schließlich hat er Großes vor. Derzeit dreht er noch eine Doku über die Geschichte Shanghais. Mit seinem nächsten Projekt aber, dem historienepischen Martial-Arts-Film In the Qing Dynastie steuert er seine Karriere, auf den ersten Blick jedenfalls, in eine unerwartete Richtung. Viel deutet darauf hin, dass er an einem Scheideweg steht, der für die aktuelle Situation des chinesischen Kinos, insbesondere den Zug in Richtung panchinesischer Großproduktionen, exemplarisch sein dürfte. Erstmals dreht Jia einen Film im Blockbusterformat mit der Chance, eine wirklich große Zahl chinesischer Zuschauer zu erreichen. Allen, die fürchten, es könnte ein zweiter Zhang Yimou aus ihm werden, versichert er: «Ich weiß, dass es Zweifel gibt, aber mein Film wird sie ausräumen. Ich habe beschlossen, einen kommerziellen Film zu drehen, weil ich Einfluss nehmen möchte auf den Status Quo.»

Produzieren wird die von Hongkong aus operierende MediaAsia, verantwortlich unter anderem für die immens erfolgreiche Infernal Affairs-Trilogie. MediaAsia hat einen Distributionsdeal mit der staatseigenen China Film Group, die für den Festlandsvertrieb des Films zuständig sein wird. Dies, sowie die Wahl Johnnie Tos zum Produzenten, zeigt, wie stark die vor der Rückgabe getrennten Produktionswelten von Hongkong und chinesischem Festland inzwischen neue Wege der Kooperation suchen und finden. Wie weit einer, der aus dem Kunstfilm kommt, im Mainstream gehen darf: Wenn alles gut geht, wird Jia Zhang-kes erster Big-Budget-Film darauf die große Probe.