sound/atmo

Sound

Von Dirk Schaefer

Bekanntlich sind viele Geräusche auf der Tonspur von den Klangquellen, auf die man sie im Film zurückführt, sozusagen nur adoptiert; erzeugt wurden sie woanders. Auf DVDs findet man im Bonusmaterial mitunter den Versuch, den Filmklängen so etwas wie das Recht am eigenen Bild zurückzugeben. Da sieht man beispielsweise eine Frau in einem Nachvertonungsstudio bei der Arbeit: Mit Blick auf einen Bildschirm, der eine Spielfilmszene zeigt, gelingt es ihr, jeden Schritt, der dort gemacht wird, synchron mitzugehen. Allerdings tritt sie dabei, umzingelt von Mikrofonen, auf der Stelle, wodurch ihre Bewegungen, je akkurater sie sich dem Gang anzupassen versuchen, um so mehr an einen etwas merkwürdigen Tanz erinnern. Am Ende stürzt sie fast auf den sumpfigen Boden, der im Studio eigens ausgelegt wurde, um ihre Schritte echter klingen zu lassen.

In einer Zeit, da man sich an den Gedanken gewöhnt hat, dass die spektakulären Toneffekte großer Spielfilmproduktionen am Computer erzeugt werden, muten solche Performances im Dunkel, mutet die Arbeit des Geräuschemachers archaisch an. Die Vorstellung, Hufgetrappel werde in Dolby Digital noch immer mit leeren Kokosnussschalen simuliert, ist ein wenig peinlich; fast möchte man sein Eintrittsgeld zurückfordern. Enttäuschend simpel, ja schlimmer noch: billig sind die Mittel der Geräuschemacher. Wie die Tricks der Varietézauberer sprechen sie eine Wahrnehmung an, die getäuscht werden will. In der Theorie nennt man diese für den Tonfilm grundlegende Bereitschaft, sich übers Ohr hauen zu lassen, Synchrese: die Wahrnehmung versucht ständig, Ton und Bild ineinander einrasten zu lassen. Schon die Antike kannte den Theaterdonner; im Stummfilmkino, wo es bekanntlich ziemlich laut werden konnte, hieß der Geräuschemacher «Schlagzeuger». Vertraute der frühe Tonfilm zunächst eher auf Klänge aus dem Archiv, so setzte sich in der Filmindustrie ab den 40er Jahren die Überzeugung durch, dass die Live-Nachvertonung von Filmsequenzen in einem Rutsch oft überzeugender klingt als das mühsame und zeitaufwendige Anlegen jedes einzelnen Geräusches. Nach Jack Foley, einem der Pioniere dieser Kunst, nennt man seither Performer, die für das Mikrofon Schritte, Stürze, Küsse und das Rascheln von Kleidung nachsynchronisieren, Foley Artists.

Mit der Entwicklung der Tontechnik ist ihre Arbeit interessanterweise eher wichtiger geworden. Je besser die Mikrofone lernten, Nebengeräusche zugunsten des Dialogs auszublenden, und je einfacher die Mehrkanaltechnik und der Computer es machten, beliebige Klänge zu maximalem Effekt miteinander zu verschmelzen, desto deutlicher empfand man die Sterilität solcher durchdesignten Konstrukte. Was diesen ohne die Arbeit der Foley Artists fehlen würde, ist gerade das, was bei der Dialogaufnahme als unkontrollierbarer Störfaktor meist entfernt wird: die Spuren körperlicher Anwesenheit. Im von Nerds geprägten Reich der Postproduktion wird das Foley Studio so zur Planstelle für gezielten Kontrollverlust. Anekdoten und Bilder erzählen von wüsten Happenings mit Obst, Gemüse und Tierkadavern – alles, so wird beteuert, im Dienste der story. Aber schon im Alltagsgeschäft, im Kernkompetenzbereich des Gehens, sind es die kleinen Unregelmäßigkeiten, die für Komplexität und damit ‹Natürlichkeit› sorgen. Wenn Foley Artists gehen, klingt jeder Schritt ein wenig anders, und doch bildet der Gang ein gerichtetes rhythmisches Ganzes. Entscheidend bleibt bei diesem Tanz mit der Figur auf dem Bildschirm die Fähigkeit, sich führen zu lassen. Kein Wunder, dass man unter den Foley Artists neben ehemaligen Schlagzeugern auch viele Tänzerinnen findet. Der Frauenanteil ist auffällig hoch; dies entschärft ein wenig das leidige Problem, Pumps in Herrengrößen aufzutreiben. Foley Artists schmuggeln in die Postproduktion etwas Körperliches, wenn man so will Erotisches ein: ihre Arbeit besteht, ganz wörtlich, aus Berührung. Sie wendet sich an eine Sinnlichkeit der Sinne, die mehr ist als die Addition visueller und auditiver Information. Zugleich aber markiert diese Arbeit den filmisch dargestellten Körper als Multi-Gender-Konstrukt.

Doch den Tanzfiguren der Foley-Artistin lässt sich auch das prekäre Gleichgewicht zweier gegensätzlicher Tendenzen der Filmvertonung ablesen. Auf der einen Seite ein an Fetischismus grenzender Naturalismus in der Rekonstruktion: Schuhwerk, Bodenbelag und alle möglichen anderen Details müssen «stimmen»: das Publikum darf den Betrug nicht bemerken. Andererseits spielt sich die Sache nun einmal in der völlig künstlichen Welt des Tonstudios ab und zielt auf größtmögliche Prägnanz, auf ausdrucksstarke, satte Klänge, sodass der Realität auf Schritt und Tritt nachgeholfen wird. Da kann man, während man auf der Stelle tretend rennt, schon mal ins Stolpern geraten.

In jüngster Zeit aber zeichnet sich hier ein Wandel ab. Mit zunehmender Miniaturisierung digitaler Audiotechnik können Foley Artists heute nicht nur ihren Requisitenkoffer, sondern gleich ihr ganzes Aufnahmestudio mitbringen und so bei Bedarf am tatsächlichen Drehort arbeiten. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass zu den Vorreitern dieser Entwicklung Gus van Sants Independent-Produktion Gerry (USA 2002) zählt, ein Film, der wie keiner zuvor das Gehen selbst zum Thema macht.