dokumentarfilm

Beweisaufnahme Über das Camera Distribution Projekt (Btselem)

Von Catherine Davies

Im Januar 2007 begann die israelische Menschenrechtsorganisation Btselem, Handkameras an Palästinenser zu verteilen, die in unmittelbarer Nähe jüdischer Siedlungen leben. Ziel des Camera Distribution Project ist es, nicht nur Übergriffe der Siedler auf die palästinensische Bevölkerung zu dokumentieren, sondern auch die in der Regel passive Haltung der israelischen Ordnungskräfte. Einige der kurzen Aufnahmen, die im Rahmen des Projekts entstanden, hat Btselem auf seine Website gestellt. Teilweise wirken die Bilder vertraut, man sieht Kinder und Halbwüchsige, sie werfen Steine, brüllen hasserfüllte Parolen. Aber auch Szenen brutaler Gewalt finden sich: Ein Siedler schießt in einem Handgemenge drei Menschen nieder, eine Gruppe Vermummter geht mit Schlagstöcken auf eine Schafe hütende Familie los. Der dokumentarische Wert dieser Bilder allerdings scheint auf den ersten Blick gering, gerade dort, wo es tatsächlich zu Gewalt kommt, sind die Übeltäter nur schemenhaft zu erkennen, das Bild ist wacklig und unscharf, dem Filmenden gelingt es nur in kurzen Momenten, die Kamera frontal auf die Angreifer zu richten. Dennoch konnte Btselem in einigen Fällen die Aufnahmen als Beweismaterial vor Gericht verwenden.

Wie schwierig es ist, den Wahrheitsgehalt eines Bildes zu rekonstruieren, hat der vor kurzem in der ARD zu sehende Dokumentarfilm Das Kind, der Tod und die Wahrheit (Esther Schapira / Georg M. Hafner) eindrücklich vor Augen geführt. Das Bild des Jungen Mohammed al-Dura, der in den Armen seines Vaters Schutz vor dem Kugelhagel (vermeintlich) israelischer Soldaten sucht, erhielt praktisch im Moment seiner Entstehung im Jahre 2000 ikonischen Status vor allem in der arabischen Welt – zeitweilig war es sogar auf einer ägyptischen Banknote zu sehen. Eine Google-Bild-Suche mit dem Namen al-Duras liefert zahlreiche stilisierte Zeichnungen des Jungen in Todesangst. Allerdings lässt sich die These, er sei von israelischen Soldaten erschossen worden, kaum aufrechterhalten, wie Schapira / Hafner deutlich machen. Im letzten Jahr entschied ein französisches Gericht denn auch, die Aufnahme des Senders France 2 dürfe als Fälschung bezeichnet werden. Was sie von den Amateurfilmen auf der Btselem-Seite unterscheidet, ist gerade die augenscheinliche Professionalität der Fernsehbilder. (Sie wurden von dem palästinensischen Kameramann des Senders gedreht.) Die Kamera bleibt eine volle Minute lang frontal auf Mohammed und seinen Vater gerichtet, das Voice-Over des Originalbeitrags schließt mit den Worten «Mohammed est mort». (Tatsächlich hebt er nur wenige Sekunden später den Arm.)

Die so hergestellte Evidenz scheint kaum hinterfragbar zu sein; es ist derselbe Augenblick, in dem das Bild zur Munition in einem asymmetrischen Konflikt wird. Dass die weltweit ausgestrahlten Fernsehaufnahmen wesentlich immer auch Bestandteil einer ikonografischen Bildpolitik sind, wird vor dem Hintergrund der uneindeutigen Ästhetik der Btselem-Filme erst recht erkennbar. Gegen den Verdacht der Inszenierung, der seit einigen Jahren in der gleichermaßen zynischen wie verharmlosenden Wortschöpfung «Pallywood» auf den Punkt gebracht wird, hilft der zweite Blick, ein genaues Hinsehen gerade dort, wo die Dinge allzu eindeutig scheinen. Im Falle des jungen «Märtyrers» wird so, wie Schapira / Hafner zeigen, schließlich jede Gewissheit aufgehoben: Wurde Mohammed al-Dura von palästinensischen Schützen erschossen? Ist er überhaupt getroffen worden? War es ein zufällig gefilmter Unfall? Eine gezielte Inszenierung?

Ein besonderer Wert der Btselem-Filme liegt demgegenüber jenseits ihrer zweckgebundenen Verwendung als Nachrichtenbilder und juristische Beweisstücke. Es sind gerade die Spuren des hier sichtbar werdenden Alltags, die die Filme in ihrem bruchstückhaften Charakter in das visuelle Archiv des Konflikts einführen – ein Alltag jenseits der Kampfhandlungen, die unser Bild der besetzten Gebiete prägen, der aber gleichwohl von Repression und einer extremen, nicht nachlassenden Feindseligkeit geprägt ist, in dem die Kamera zum Instrument des Schutzes und des empowerment werden kann. Weil das filmische Rohmaterial des Btselem-Projekts die kleinen Gesten der Selbstbehauptung inmitten einer von Armut und Gewalt geprägten Lebenswirklichkeit exponiert, wird ihr Wert als Zeugnis erst richtig evident